Heidenheim-Stürmer Breunig:„Der Unfall hat meine Einstellung zum Leben verändert“

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Maximilian Breunig. (Foto: Sascha Walther/Eibner/Imago)

2019 wusste Maximilian Breunig nach einem Lendenwirbelbruch nicht, ob er jemals wieder laufen können würde. Jetzt ist der Würzburger in der Fußball-Bundesliga angekommen. Über einen Unerbittlichen, der die Beschaulichkeit braucht.

Von Sebastian Leisgang

Vor gut fünf Jahren hätte alles vorbei sein können, bevor es überhaupt so richtig angefangen hatte. Der Fußball neigt zwar zur Theatralik und Überhöhung, die Grenzen zwischen einem Duell und einem Debakel sind fließend, zwischen einem Sieg und einer Sensation. Alles wird zugespitzt, weil die Spiele mittlerweile wie Theaterstücke inszeniert werden, und im Theater braucht es Dramen – doch in diesem Fall ist nichts überhöht und nichts zugespitzt. Maximilian Breunigs Karriere, die gerade auf dem Fußballfeld ihren Anfang genommen hatte, wäre beinahe in jener Nacht im Mai 2019 auf der Autobahn zu Ende gegangen.

Und dann hätte Breunig beim SC Freiburg kein einziges Training unter Christian Streich erlebt. Dann hätte er im Oktober 2023 nicht den Rasen in der Allianz Arena betreten, und dann hätte er vor einer Woche auch nicht sein erstes Bundesligator für den 1. FC Heidenheim geschossen. Dann würde Maximilian Breunig jetzt vielleicht hier leben, in Theilheim, einem kleinen Ort rund zehn Kilometer südöstlich von Würzburg.

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Ein Vormittag in dieser Woche, in Theilheim geht es ziemlich gediegen zu. Die Sportanlagen liegen oben auf einem Berg, ein Spielplatz, Tennisfelder, der Rasen des Fußballklubs. Zur Straße hin hängt ein Plakat eines Bildungsprogramms, das Kindern den Gemüseanbau näherbringen will. Auf dem Plakat steht: „Hier wächst Abenteuer!“

Auch Breunigs Abenteuer ist hier gewachsen. Hier hat es angefangen, auf diesem Sportplatz, auf dieser Anhöhe, von der man einen guten Blick ins Tal und auf die Felder am gegenüberliegenden Berg hat. Hier hat er sich aufgemacht, und in diesem Sommer ist er in Heidenheim angekommen, in der Bundesliga. Drei Tore im DFB-Pokal beim 4:0 in Villingen, ein Treffer beim 4:0 im ersten Heimspiel gegen den FC Augsburg: Besser hätte es gar nicht losgehen können für einen Mittelstürmer wie ihn – dabei war im Mai 2019 eigentlich schon alles vorbei.

Maximilian Breunig, 24, macht einen ziemlich abgeklärten Eindruck, wenn er heute über seinen Autounfall spricht, der ihn beinahe nicht nur die Karriere, sondern auch sein freies und selbstbestimmtes Leben gekostet hätte. Das, was passiert ist, hat er inzwischen verarbeitet, es ist ja schon lange her, doch die erste Diagnose hätte ihn damals brechen können: Querschnittslähmung. Heute sagt er: „Der Unfall hat meine Einstellung zum Leben verändert. Ich gehe jetzt mit Rückschlägen anders um. Egal, was kommt. Ich weiß: Nichts ist unmöglich.“

Er saß zwei Wochen im Rollstuhl und konnte sich danach nur mit einem Gehwagen auf den Füßen halten

Die düsteren Prognosen der Ärzte ließen ihn nicht resignieren, im Gegenteil: Sie weckten seinen Ehrgeiz. Woher er damals die Zuversicht genommen hat, kann sich Breunig selbst nicht so recht erklären. In den ersten Tagen war unklar, ob er jemals überhaupt wieder laufen kann, aber irgendwas in ihm hat ihm gesagt, dass es das noch nicht gewesen sein konnte. Nicht jetzt, nicht mit 18, nicht so früh.

Die weiteren Untersuchungen machten Mut, er schrammte um Millimeter an einer Querschnittslähmung vorbei und kam nach seinem Lendenwirbelbruch wieder auf die Beine. Breunig saß über zwei Wochen im Rollstuhl und konnte sich danach nur mit einem Gehwagen auf den Füßen halten, doch neun Monate später stand er wieder für die Würzburger Kickers in der dritten Liga auf dem Platz und schoss bei einem 6:0 in Großaspach auf Anhieb das 1:0.

Dann wurde er vom Umfeld regelrecht überfrachtet mit Erwartungen und Hoffnungen. Er, der Junge aus Theilheim, der erste gebürtige Würzburger, der es bei den Kickers zum Profi brachte, er sollte mit seinen Toren wieder für bessere Zeiten am Dallenberg sorgen. Heute sagt Breunig: „Auf der einen Seite ist es schön, wenn die Leute dir was zutrauen. Auf der anderen war es auch schwierig. Überall wurde geschrieben, dass ich der Hoffnungsträger bin. Aber ich war noch nicht so weit, um damit umgehen zu können.“ Breunig wurde an Admira Wacker Mödling verliehen. In der österreichischen Bundesliga sollte er sich entwickeln, und tatsächlich hat ihn die Zeit in Wien, über sechs Autostunden entfernt von Theilheim, reifen lassen. Als das Coronavirus um sich griff, war die Grenze zeitweise zu und Breunig auf sich alleine gestellt. Das hat ihn weitergebracht, obwohl es eigentlich doch das Heimelige ist, das Vertraute, das ihm Kraft gibt.

Maximilian Breunig blüht dann auf, wenn er sich wohlfühlt. Und wohl fühlt er sich dort, wo es gemächlich zugeht und das Warme so groß geschrieben wird wie in Theilheim. Dort, in der Beschaulichkeit, ist die Welt noch in Ordnung. Unten im Dorf zuckt eine Franken-Fahne im Wind, oben, im Wohngebiet, stöckeln Hühner durch ein Freilaufgehege, während Schafe neugierig zur Straße schauen. Die Hecken sind gestutzt, die Blumenbeete gepflegt. Und wenn der Bus aus dem Ort fährt, stehen zwei Männer in einem Kleingarten und winken hinterher.

„Er ist in der Box einfach brutal, deswegen wird er seinen Weg gehen.“

Hier ist Maximilian Breunig groß geworden, hier hat er Halt gefunden, als er bei der SpVgg Greuther Fürth weggeschickt wurde. Er war damals 14 und wollte nach dem großen Rückschlag schon Schluss machen mit dem Fußball, doch sein Vater hielt ihn davon ab. Und dann, in seinem gewohnten Umfeld, ging alles ganz schnell. Unter Trainer Michael Schiele spielte er mit 17 zum ersten Mal für die Kickers in der dritten Liga, dann wurde er für ein Jahr zum FC Ingolstadt ausgeliehen und überstand im Mai 2019 sogar den Autounfall, der alles in Frage stellte. Schiele besuchte ihn damals im Krankenhaus und hat auch heute noch Kontakt zu ihm. Er sagt: „Maxi ist ein Kämpfer.“ Breunig brauche zwar noch Zeit, um sich in Heidenheim zu behaupten und in der Bundesliga einen Namen zu machen – aber, da ist sich Schiele sicher: „Er ist in der Box einfach brutal, deswegen wird er seinen Weg gehen.“

Das hat Maximilian Breunig ja immer getan. Damals, als sie in Fürth nichts mehr mit ihm anzufangen wussten. Später, als er die Diagnose Querschnittslähmung erhielt. In Wien, als er alleine zurechtkommen musste. In Freiburg, als er sich für höhere Aufgaben empfahl. Und jetzt in Heidenheim, das ja, wenn man so will, das Theilheim der Bundesliga ist. Das, was er durchgemacht hat, hat das Vertrauen in ihn selbst unerschütterlich werden lassen.

„Ich denke nicht mehr so oft an den Unfall“, sagt Breunig, „aber er begleitet mich schon noch.“ Vor jedem Training macht er Übungen für seinen Rücken, und mit dem Arzt, der ihn damals in Ingolstadt operiert hat, ist er bis heute im Austausch. Er ist es ja, der dafür gesorgt hat, dass Maximilian Breunigs Karriere, die auf dem Fußballfeld anfing, auf der Autobahn nicht zu Ende ging.

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