Absteigskampf in  Heidenheim:St. Pauli wird „Württembergischer Meister“

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Spiel entschieden: Morgan Guilavogui (rechts) trifft zum 2:0 für St. Pauli. (Foto: Harry Langer/dpa)

Der FC St. Pauli vollendet in Heidenheim eine kuriose Siegesserie, während die Gastgeber nach diesem 0:2 wieder tief im Abstiegskampf stecken. Noch kurioser ist nur ein Systemausfall im Kölner Keller.

Von Sebastian Leisgang

Alexander Blessin war angeschlagen. Allzu lange könne er nicht mehr reden, sagte der Trainer des FC St. Pauli, als er auf dem Podium im Presseraum des Heidenheimer Stadions Platz genommen hatte. Die vorangegangenen 90 Minuten hatten Spuren hinterlassen, Blessins Stimme war mitgenommen, aber das war noch nicht alles. „Ich habe gemerkt, dass ich total unfit bin“, sagte Blessin und grinste. In der Nachspielzeit, nach dem 2:0 durch Morgan Guilavogui, war er zu seinen Spielern gerannt, um das entscheidende Tor vor dem Gästeblock zu bejubeln. „Dieser Sprint“, verriet Blessin, „hat mich wirklich so ausgeknockt, dass ich erst mal gar nicht mit meinem Co-Trainer beratschlagen konnte, wie wir wechseln, weil mir einfach die Luft gefehlt hat.“

Nach Blessins Ausführungen reichte ihm St. Paulis Pressesprecher eine Packung Lutschbonbons. Balsam für die Stimme, nach einem Spiel, das den Hamburgern zwar alles abverlangt, ihnen aber auch drei Punkte eingebracht hatte. St. Pauli wirkte agiler, dynamischer, abgeklärter. Für Heidenheim hingegen bedeutete dieses 0:2 nach zuvor vier Punkten aus den beiden ersten Spielen des Jahres einen herben Rückschlag. „Bei uns ist sehr wenig aufgegangen von dem, was wir uns vorgenommen haben“, sagte Trainer Frank Schmidt vor einer Kulisse, die an die guten Heidenheimer Tage erinnerte.

Auf den Bildern, die im Presseraum an der Wand hängen, sieht man den langjährigen Kapitän Marc Schnatterer, wie er mit zwei Fäusten ein Tor bejubelt, Schmidt selbst, wie er seinen damaligen Stürmer Florian Niederlechner im Arm hat, und die gesamte Heidenheimer Mannschaft, wie sie sich 2014 nach der Meisterschaft in der dritten Liga für ein Siegerfoto aufgestellt hat.

Es sind besondere Momente, die da festgehalten sind, doch die Gegenwart ist eine andere. Heidenheim steckt tief im Abstiegskampf, die Zugehörigkeit zur Bundesliga steht auf dem Spiel, die Lage ist ernst. „Wir müssen die Spieler hinbekommen, dass sie in jedem Spiel auf Knopfdruck zu 100 Prozent da sind. Das haben wir heute nicht geschafft“, räumte Schmidt ein und hatte damit im Grunde alles gesagt. Denn wenn die Heidenheimer nicht alles aufbieten, was sie aufzubieten haben, verlieren sie selbst gegen einen Aufsteiger wie St. Pauli.

Schmidts Mannschaft kann nur bestehen, wenn alle Rädchen ineinandergreifen

Dabei wissen sie auf der Ostalb eigentlich schon lange, wie sie sich mit ihren Mitteln im Wettstreit mit den Großen behaupten können. Wenn die Mannschaften auf dem Schlossberg den Platz betreten, laufen sie unter einem Aufsteller hindurch, auf dem geschrieben steht: „exzellente Teamplayer“. Es ist die letzte Botschaft, die die Spieler mit auf den Weg bekommen, die beiden Worte sind Auftrag und Anspruch zugleich. Ein funktionierendes Gefüge, das besser ist als die Summe seiner Teile: Das war der zentrale Faktor, der Heidenheim in der vergangenen Saison auf den achten Platz und in die Conference League verholfen hat.

Schmidts Mannschaft kann nur bestehen, wenn alle Rädchen ineinandergreifen, aber in dieser Saison, auch bedingt durch die internationalen Spiele und die Doppelbelastung, knarzt es im Getriebe. Die Not ist so groß, dass sich die Heidenheimer jüngst sogar veranlasst sahen, etwas zu tun, was sie sonst so gut wie nie tun: Sie besserten in diesem Winter nach und verpflichteten Frans Krätzig (Leihgabe des FC Bayern, zuletzt beim VfB Stuttgart) und Budu Zivzivadze (Karlsruher SC).

„Man hat in den ersten beiden Spielen gesehen, dass uns die Jungs extrem guttun“, betonte Rechtsverteidiger Marnon Busch am Samstag und wollte die Niederlage deshalb auch nicht allzu hoch hängen. Auch gegen St. Pauli hätte Heidenheim ja zumindest unentschieden spielen können. Als Maximilian Breunig in der 87. Minute traf, standen die Zeichen auf Jubel und Remis, aber dann rührte sich der Videoassistent und wies Schiedsrichter Bastian Dankert nach minutenlanger Prüfung auf eine Abseitsposition hin. Es blieb beim 1:0 für St. Pauli, und im unmittelbaren Gegenzug erzielte Guilavogui jenes 2:0, das Blessin zu seinem Sprint motivierte.

Für St. Paulis Trainer, in Bad Cannstatt geboren, der Heimat des VfB Stuttgart, war es bereits der vierte Auswärtssieg in Baden-Württemberg nach einem 3:0 in Freiburg, einem 2:0 bei der TSG Hoffenheim und einem 1:0 kurz vor Weihnachten in Stuttgart. „Württembergischer Meister“ sei er mit St. Pauli jetzt, schmunzelte  Blessin später. Dieses Mal hatten die drei Punkte kurz vor Schluss auf einmal auf der Kippe gestanden. Nach Breunigs vermeintlichem Tor dauerte und dauerte es bis zu einer Entscheidung. Niemand wusste, ob es um eine Abseitsstellung oder um ein Handspiel ging. Nach dem Spiel wurde der Grund für die lange Wartezeit bekannt: Im Kölner Keller hatte es einen Systemausfall gegeben. In Heidenheim hoffen sie jetzt, dass das kein Zeichen für den Abstiegskampf ist.

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