Süddeutsche Zeitung

0:0 in Mönchengladbach:Der Anfang vom Ende der Kleinkunst

Lesezeit: 3 min

Im ersten Bundesligaspiel der Borussia unter Marco Rose zeigen sich die Stärken und Schwächen des Stils des neuen Trainers. Gladbach spielt wuchtig und kräftig, aber selten überraschend.

Von Philipp Selldorf, Mönchengladbach

Dem Schlusspfiff von Felix Brych folgte von den Rängen ein ausgesprochen warmer und wohlwollender Applaus. Auf beiden Seiten zeigte sich das Publikum nicht verdrossen, dass die Begegnung zwischen Borussia Mönchengladbach und Schalke 04 keine Tore hervorgebracht hatte. Während sich die Fans der Grünweißen damit trösteten, dass ihr Team die zweite Halbzeit überlegen gestaltet hatte, freuten sich die Blau-Weißen an einer Darbietung, die zu den besten im Kalenderjahr 2019 gehörte. In Anbetracht der nicht selten gespenstischen Darbietungen in der vorigen Saison ist der Maßstab zwar bescheiden, aber die Steigerung war umfassend und substanziell. In der Gästekurve wurden die Spieler, die vor ein paar Monaten noch auf den Mond gewünscht wurden, herzlich willkommen geheißen und ausgiebig gefeiert. Dass eines der Schalker Lieder den Gewinn der deutschen Meisterschaft versprach, war Ausdruck von Übermut, nicht von Überzeugung.

Den Schlusspfiff hatten die Schalker schon einigermaßen dringend herbeigesehnt, die Frequenz der Angriffswellen, die auf ihr Tor zurollten, war zum Ende hin bedenklich hoch. Beim intensiven Pressing, das nach dem Willen des neuen Trainers David Wagner künftig das Schalker Spiel maßgebend markieren soll, seien "viele Körner draufgegangen", hatte Alexander Nübel erkannt. Je mehr sich der Kräfteverschleiß bemerkbar machte, desto mehr war Nübel gefordert. Der 22 Jahre alte Torwart wusste damit umzugehen und gab auch nicht zu erkennen, dass ihn seine neue Rolle als Kapitän und königsblaue Galionsfigur aus der Ruhe bringen würde. Entsprechend gelassen formulierte er seinen Spielbericht: "Die Gladbacher hatten in der zweiten Halbzeit ein, zwei Chancen, aber die hatten wir in der ersten Hälfte - deswegen sehe ich es ausgeglichen." Dass Schalkes Coach Wagner hervorhob, die Partie sei von "extremer Intensität und Leidenschaft" erfüllt gewesen, nahm sein Gladbacher Kollege Marco Rose zum Anlass, die Veranstaltung als gelungen zu loben: "Wenn ich die Attribute höre - Leidenschaft, Tempo und Intensität -, dann klingt das für mich nach Fußball und damit nicht schlecht."

Für langjährige Besucher des Borussia-Parks bot die erste Halbzeit allerdings einen ungewohnten Anblick: Sie sahen eine Fohlen-Elf, die sich von den Vorjahresmodellen so grundlegend unterschied wie das Pferd von der Kuh. Die geschätzten Merkmale des Borussia-Stils - das zielstrebige Flügel-Spiel, die leichtfüßigen Kombinationen, die schnellen Konter - blieben in einer Weise abwesend, als hätte sie jemand aus dem Programm genommen. Wo früher Techniker, Kleinkünstler und Steilpassspieler wie Thorgan Hazard, Lars Stindl, Raffael, Ibrahima Traore oder Patrick Herrmann die Offensive prägten, da bestimmten nun kraftvolle Männer wie Breel Embolo, Marcus Thuram und Alassane Plea das Bild. Der einzige Engländer auf dem Platz gehörte zwar der Gegenseite an - der Rechtsverteidiger Jonjoe Kenny -, aber man kann schon sagen, dass der erste Auftritt unter der Aufsicht des neuen Choreographen Marco Rose eine britische Note an sich hatte. Dazu trug nicht geringfügig auch der Rückraum-Stratege Denis Zakaria mit seinen Siebenmeilenschritten und seinen großräumigen Grätschen bei.

Der Zugewinn an Wucht und Kraft hatte aber auch die Schattenseite, dass die Gastgeber selten die Mittel entwickelten, um die stabile Schalker Deckung zu überraschen. Was die Gladbacher an Kampfgetöse entfachten, das erwiderten die Gäste mit gleicher Münze. Dabei fanden sie über ihre frühen Balleroberungen, um die sich vor allem Omar Mascarell und Weston McKennie verdient machten, immer wieder in den Gladbacher Strafraum. Neuzugang Benito Raman, zuletzt öfter verletzt und selbst überrascht darüber, dass er in der Startelf stehen durfte, hätte nach sieben Minuten die erste gute Gelegenheit und in der 27. Minute die beste Chance des Spiels. Mascarell hatte den Ball gewonnen, Guido Burgstaller gab ihn perfekt weiter, aber Raman beendete sein Solo Richtung Yann Sommer mit einem Schuss, der krass das Ziel verfehlte. Typischer Nübel-Kommentar dazu: "Es ist schade - aber es passiert." Ansonsten war er sehr zufrieden mit seinen Vorderleuten, Borussia habe nach vorn "praktisch nicht stattgefunden", sagte er und übertrieb damit keineswegs. Die Neuzugänge Embolo und Thuram wirkten noch wenig vertraut mit ihren neuen Mitspielern.

Nach etwa einer Stunde traten die Schalker allmählich den Rückzug an und die Borussia kam, unverändert angetrieben von Zakaria, dem gegnerischen Strafraum prompt näher. Matija Nastasic, der dienstälteste Schalker Profi, sorgte bei seinen Leuten für einen Schockmoment. Eben hatte er noch mit einem glänzenden Tackling in höchster Not gerettet, da gab er im nächsten Moment den Fehlpass, der den Hausherren ihre beste Chance bescherte: Plea zielte gut, aber nicht gut genug - er traf den Pfosten (57.).

Zur Schlussphase wechselte der Reform-Trainer Rose doch noch die alte Borussia ein. Erst Raffael, dann Traoré, und zumindest Raffael war dann auch drauf und dran, die alte Rolle des Schalker Schreckgespensts zu bedienen. Doch zunächst parierte Nübel seinen Scharfschuss, bevor in der nächsten Szene ein ganzes Rudel von Verteidigern einen Torerfolg des alternden, aber beizeiten immer noch brillanten Brasilianers verhinderte. So endete die Partie torlos, und beide Parteien fanden genügend Argumente, das ganz in Ordnung zu finden. Nicht nur das Unentschieden vereinte sie, sondern auch das Bewusstsein, beim ersten Schritt in die neue Zeit zumindest nicht schlimm gestolpert zu sein.

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Quelle:
SZ vom 18.08.2019
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