1. FC Nürnberg:Lebenszeichen aus dem Mondkrater

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Fehler, die man im Abstiegskampf lieber nicht machen sollte: Nürnbergs Verteidiger lassen den Wolfsburger Tisserand per Kopf das 2:0 erzielen. (Foto: imago images)

Der Club besiegt sich in Wolfsburg selbst - hofft aber weiterhin auf ein kleines Wunder, um den VfB Stuttgart noch abfangen zu können.

Von Javier Cáceres, Wolfsburg

Die Last der Vergangenheit ist unendlich, sagte einmal der argentinische Schriftsteller Jorge Luis Borges, der zwar den Club nicht kannte und den Fußball verschmähte, aber doch so einiges übers Leben wusste. Die Vergangenheit, die auf dem 1. FC Nürnberg lastet, ist einerseits ruhmreich - neun Meistertitel, vier Pokalsiege -, andererseits geprägt von einem Aphorismus, der allmählich Züge eines unüberwindlichen Fluches annimmt, weil der Club selten eine Gelegenheit auslässt, sich selbst zu übertölpeln. Der Aphorismus lautet: "Der Glubb is a Depp."

Am Wochenende also gastierte dieser 1. FC Nürnberg beim nicht ganz so ruhmreichen VfL Wolfsburg - ein Meistertitel, ein Pokalsieg -, am Ende stand ein 0:2, das der Club in erster Linie sich selbst zuzuschreiben hatte. An einem Tag, da die Rivalen im Abstiegskampf - Hannover und Stuttgart - ebenfalls Niederlagen erlitten. An einem Tag, an dem man insgesamt sogar besser war als eine Mannschaft, die beste Aussichten hat, im kommenden Jahr einen europäischen Wettbewerb zu bestreiten. Doch am Ende blieb Club-Trainer Boris Schommers nur, eine bittere Wahrheit auszusprechen: "Wir haben uns selbst geschlagen."

Fürwahr. Knapp 38 Minuten lang spielte der Club gefälliger als die Platzherren, wollte - überraschend frei von Beklemmungen - eine fußballerische Idee umsetzen und hatte, mehr noch, diesen brasilianischen Leihspieler von Sporting Lissabon in seinen Reihen, der nach einem Apostel benannt ist und mitunter wie ein Engel spielt: Matheus Pereira. Knapp 38 Minuten, wie gesagt. Dann spielte Sebastian Kerk einen schicksalsschwangeren Pass.

Kerk stand, nahezu unbedrängt, im Mittelfeld, und spielte den Ball zu Torwart Christian Mathenia in den eigenen Strafraum zurück. Doch Kerk übersah, dass sich Wolfsburgs Admir Mehmedi im Stile einer Schlange im schattigen Teil des Rasens versteckt hatte. Mehmedi spitzelte Nürnbergs Keeper den Ball von der Stiefelspitze, und Wolfsburgs Felix Klaus musste den Ball nur noch ins Tor schieben, um die Wolfsburger Führung zu erzielen.

Auf den angeschlagenen Pereira wird der Club wohl zählen können

"Aus keiner Chance bekommen wir das Gegentor ...", klagte Trainer Schommers, aber er brachte es nicht übers Herz, jemandem einen Vorwurf zu machen, "das macht ja keiner absichtlich." Dass die direkten Rivalen im Abstiegskampf zur Halbzeit ebenfalls zurücklagen, dass man also die Gelegenheit hatte, ohne jede Rücksicht auf Verluste zu kämpfen, wurde in der Kabine dann nicht thematisiert. Man habe vielmehr die Devise ausgegeben, wie zuvor zu kombinieren und lange Bälle in das von Hünen besetzte Wolfsburger Abwehrzentrum zu vermeiden. Das war nachvollziehbar und löblich. Nur: Es fehlte an letzter Dringlichkeit und Präzision.

Stattdessen leistete sich der Club entscheidende Unzulänglichkeiten: Einmal übersah Stürmer Mikael Ishak bei einem Konter den besser positionierten Pereira, bei einem Freistoß in der 78. Minute nutzte Wolfsburgs Marcel Tisserand ein mondkratergroßes Loch in Nürnbergs Defensive, um per Kopf das 2:0 zu erzielen. Und so war das einzige Geschenk, das sich der Club an seinem 119. Geburtstag bereitete, die Verlängerung der eigenen Agonie.

"Es hätte heute auch schon vorbei sein können", sagte Schommers. War es aber nicht, der Club liegt bei zwei verbleibenden Spielen fünf Punkte hinter Relegationsplatz 16. "Ich weiß, dass die Chance sehr, sehr klein ist, dass wir ein kleineres, mittleres Wunder brauchen", sagte Schommers. Seine Mannschaft muss noch gegen Gladbach und in Freiburg antreten, in dieser Verfassung könnten das lösbare Aufgaben sein, der Tabellen-16. Stuttgart muss gegen Wolfsburg und auf Schalke spielen. "Ich glaube an diese Chance. Warum sollte ich es nicht tun?", fragte Schommers.

Immerhin: Auf Matheus Pereira wird er im Endspurt wohl zählen können. Der Brasilianer musste kurz vor dem 0:2 ausgewechselt werden, die Oberschenkelmuskulatur zwickte. Er lief mit einer dicken Bandage in die Kabine und sagte, dass die Blessur nicht dramatisch sei, war ansonsten aber nicht gesprächswillig. So blieb seine berufliche Zukunft weiter offen. Ein Verbleib in Nürnberg ist unwahrscheinlich.

Die portugiesische Zeitung Récord berichtete, Pereira stehe kurz davor, die vor drei Jahren beantragte portugiesische Staatsbürgerschaft zu erhalten. Ein EU-Pass würde ihm die Türen des englischen Marktes öffnen - von dort soll er, wie auch aus der Bundesliga, diverse Vertragsangebote erhalten haben. Das wäre kein Wunder: In seinem kleinen Körper konzentrierte der Dribbler auch in Wolfsburg mehr Fußball als alle anderen 21 Akteure zusammen. Was die weitergehende Frage aufwarf, warum der Spieler in der Hinserie unter dem geschassten Trainer Michael Köllner nur eine untergeordnete Rolle spielte. Doch die Vergangenheit ist auch deshalb eine unendliche Last, weil sie nicht zu ändern ist.

© SZ vom 06.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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