1. FC Nürnberg:Glaube versetzt Zwerge

1. FC Nürnberg - FC Augsburg

Niedergekämpft: Der Nürnberger Patrick Erras (links) versucht mit Erfolg, den Augsburger Michael Gregoritsch klein zu halten.

(Foto: dpa)

Nach dem ersten Sieg seit mehr als einem halben Jahr schöpft der Club neue Hoffnung im Abstiegskampf.

Von Maik Rosner, Nürnberg

Den Überschwang des Augenblicks hatte Boris Schommers, 40, rasch abgelegt, daran änderte der Verweis auf einen berühmten früheren Trainer des 1. FC Nürnberg nichts. Mit der Frage, ob er sich - wie Hans Meyer einst gerne kokettierte - nach dem 3:0 (0:0) gegen den FC Augsburg einen Rotkäppchen-Sekt genehmigen werde, ließ sich der Interimscoach nach dem ersten Sieg im sechsten Spiel seit der Beurlaubung seines vorherigen Chefs Michael Köllner nicht locken. Nein, sagte der Rheinländer und langjährige Jugendtrainer des 1. FC Köln nüchtern: "Ich bin gut bedient, erstmal bei acqua naturale zu bleiben."

Dass stilles Wasser den Vorzug erhielt, war nach dem ersten Sieg seit einem halben Jahr und einem Tag sowie dem erst dritten insgesamt in dieser Saison auch jenem Realismus geschuldet, mit dem sie beim Aufsteiger die seltenen Glücksgefühle begingen. Ausgiebige Feierlichkeiten gab es zwar zu bestaunen. Die Fans intonierten sehr traditionelles Liedgut und besangen einen wunderschönen Tag, den man schon lange nicht mehr erlebt habe. Die Stadionregie spielte zudem die Vereinshymne "Die Legende lebt" ein, was nach den Toren von Mikael Ishak (52.), Matheus Pereira (88.) und Eduard Löwen (90.+1) mal wieder stimmig klang. Doch zugleich wissen sie beim Club, dass es weiterhin unwahrscheinlich ist, den Relegationsplatz oder gar die direkte Zulassung zur nächsten Bundesligasaison zu erreichen.

Gut bedient und vor allem gut beraten sind sie auch deshalb mit stillem Wasser, weil nach wie vor deutlich mehr dafür spricht, dass Nürnberg seinen nicht gerade schmückenden Titel als "Rekordabsteiger" festigt. Achtmal hat sich der Club bisher aus der ersten Liga verabschiedet. Um den neunten Abstieg zu verhindern, müsste es in den verbleibenden sieben Spielen einige wundersame Erfolge geben. Noch geht es für den Club vor allem darum, sich anständig zu verabschieden. Gegen die Versetzung spricht ja, dass er über den ungefährlichsten Angriff verfügt (22 Tore) und kein Klub seit Einführung der Drei-Punkte-Regel 1995 mit nur 13 Zählern in einen 27. Spieltag gezogen war, geschweige denn sich danach gerettet hat. Dagegen spricht zudem, dass der Spielplan abschließend Herausforderungen in Leverkusen, gegen den FC Bayern, in Wolfsburg, gegen Mönchengladbach und in Freiburg bereithält.

Nicht mehr ganz so utopisch klingt die Hoffnung auf die Versetzung des sportlichen und wirtschaftlichen Ligazwerges aktuell dennoch, weil es am Samstag zum ebenfalls sehr ertragsarmen Konkurrenten VfB Stuttgart geht und danach der auch noch gefährdete FC Schalke nach Nürnberg kommt. "Wir haben immer dran geglaubt", sagt Kapitän Hanno Behrens, "jetzt, nach so einem Sieg, glauben wir noch mehr dran." Torwart Christian Mathenia prognostizierte vor dem nächsten Duell im Tabellenkeller optimistisch: "Wir müssen nächste Woche die Punkte vergolden, dann sind wir dick im Geschäft."

Zumindest in der Theorie eröffnete das Tabellenbild vor dem Sonntagsspiel der Stuttgarter neue Perspektiven. Bis auf vier Punkte hatte sich der Club an den Relegationsplatz geschoben. Und das mit einer Leistung, die durchaus zu weiteren Erträgen verhelfen könnte, wenngleich die grundsätzlichen Qualitätsdefizite auch gegen die enttäuschenden Augsburger zu erkennen waren. Genährt wird die Hoffnung der Nürnberger, weil zu ihrer ohnehin meist gezeigten Leidenschaft unter Schommers eine bessere Organisation gekommen ist. Zu jener kontrollierten Offensive, die er verordnet hat, gesellte sich praktischerweise Augsburgs Nachlässigkeit bei Sebastian Kerks Freistoßflanke, die Ishak unbehelligt von André Hahn vollendete. Danach schlossen Pereira und Löwen noch zwei Konter zum verdienten Sieg ab, der wie ein Erweckungserlebnis zelebriert wurde.

Schommers hat vorsichtshalber aufs Hochrechnen verzichtet und lieber erinnert, genauso konzentriert weiterzuspielen. Einstweilen freute er sich schlicht über dreierlei. Erstens: "Dass sich die Mannschaft für ihre aufopferungsvollen Leistungen der letzten Wochen endlich mal belohnen konnte." Zweitens: "Dass wir uns nicht mehr über die Serie unterhalten müssen." Drittens: Dass er nach 20 sieglosen Spielen in zufriedene Gesichter blicken könne. Den Samstag beendete er übrigens pflichtbewusst mit der Videoanalyse, "damit ich der Mannschaft eine Rückmeldung geben kann". Den Ausschank von Meyers Sekt am Saisonende könnte er ihr wohl erst halbwegs guten Gewissens in Aussicht stellen, wenn in Stuttgart und gegen Schalke weitere Siege folgen sollten.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: