2:2 der DFB-Elf:Voetbal totaal verrückt

  • Das DFB-Team verspielt gegen die Niederlande eine 2:0-Führung, am Ende steht es 2:2.
  • Trotz der späten Gegentreffer ist es für die Elf von Joachim Löw das beste Spiel in einem verkorksten Jahr.

Von Philipp Selldorf, Gelsenkirchen

Am Ende herrschten Ärger und Verdruss in der deutschen Mannschaft, es gab hängende Schultern und fassungslose Blicke ins Nichts. Auch die letzte Partie des verflixten Länderspieljahres 2018 brachte eine Enttäuschung. Es war allerdings eine Enttäuschung, die niemanden besorgt zurücklassen musste, denn diese trauernde deutsche Mannschaft hatte ganz am Ende dieses Annus horribilis beim Treffen mit den Niederlanden ihr bestes Spiel gemacht. Doch sie hatte es eben nicht gewonnen, obwohl sie lange 2:0 geführt hatte. Die Holländer spielten voetbal totaal verrückt, wendeten in den letzten fünf Minuten ihr Schicksal glichen durch die Tore von Quincy Promes und Virgil van Dijk noch aus; sie überflügelten somit sogar noch Frankreich - und qualifizierten sich für die Nations-League-Endrunde in Portugal.

Dieses 2:2 war wirklich nicht das Abbild dieses aus deutscher Sicht ansonsten sehr erfreulichen Abends. "Ich bin sicherlich ein bisschen enttäuscht über das Ergebnis", sagte Bundestrainer Joachim Löw. "Über die gesamte Spielzeit habe ich aber mehr Positives als Negatives gesehen. Jetzt sind wir am Ende bestraft worden, das ist natürlich bitter. Es zieht sich ein bisschen durch das Jahr." Stürmer Timo Werner grantelte: "Ein 2:0 darf man fünf Minuten vor Ende nicht mehr hergeben."

Für Manuel Neuer war es diesmal eine erfreuliche Rückkehr nach Gelsenkirchen. Anders als bei den Besuchen mit Bayern München empfingen ihn keine Pfiffe und keine Schmähungen aus der Nordkurve. Die Abwesenheit von Buh-Rufen ließ sich allerdings auch als Mangel an Leidenschaft deuten, denn es war doch eine arg diskrete Kulisse, die diesen Klassiker umgab.

Das sollte sich aber bald ändern. Erstens, weil sich die beim Anpfiff noch spärlich besetzten Ränge allmählich füllten. Zweitens, weil die vom Bundestrainer moderat umformierte Nationalelf (Kroos, Hummels und Schulz ersetzten Havertz, Hector und Ginter) keine Zeit verlor, dort weiterzumachen, wo sie zur Halbzeit des 3:0 gewonnenen Spiels gegen Russland aufgehört hatte. Thilo Kehrer gab den ersten Torschuss schon nach 26 Sekunden ab, der Ball flog zwar in den Oberrang Süd, aber es war die gute Absicht, die zählte.

Deutschland spielte nicht wie ein Absteiger, so viel ließ sich nach wenigen Minuten bereits festhalten. Die erste Ecke für die Hausherren gab es nach sechs Minuten, und das erste Tor bloß drei Minuten später: Kroos setzte Serge Gnabry ein, der den Ball an Timo Werner weiterleitete. Das sah nach einem gekonnten Vorstoß aus, aber noch lange nicht gefährlich, was sich durch Werners Ballannahme im nächsten Moment wundersam ändern sollte. Einen weiteren Moment später feuerte der Leipziger Angreifer schon aus 25 Metern aufs Tor. Für die holländische Deckung ging das alles viel zu schnell, und auch Jasper Cillessen hatte gegen den platzierten Schuss keine Chance.

Wenn der einstige Schalker Leroy Sané seine Angriffe startete, ging ein Raunen durch die Ränge

"Die drei Mopeds" hatte Verteidiger Niklas Süle das neue deutsche Angriffstrio getauft, aber damit das Bild stimmt, muss man sich frisierte Maschinen mit aufgebohrten Vergasern und getunten Ritzeln dazu denken. Gnabry, Werner und Leroy Sané waren schneller unterwegs, als es die Verkehrsordnung der Holländer vorsah. Lebhaft unterstützt wurden sie dabei von Schulz, der auf der linken Außenbahn nicht immer hochelegant, aber stets geschwind voran stürmte und sich unentwegt als Flankengeber anbot. Ein Zuspiel erreichte Werner zwei Minuten nach dem Führungstreffer am Fünfmeterraum, zum nächsten Treffer fehlte nicht viel.

Was die inzwischen deutlich ermunterten Besucher sahen, war keine optische Täuschung, diese Mannschaft, die defensiv doppelt und dreifach dicht machte, mit dem sehr eifrigen Joshua Kimmich und dem coolen Kroos eine kompetente Mittelfeld-Achse besaß und im Angriffsdrittel rasend beschleunigenden Tempofußball lieferte - das war wirklich das Nationalteam, das im Sommer zum angeblich Jahre währenden Krisenfall mutiert war.

Und wo waren eigentlich jene Holländer, die am Freitag noch den Weltmeister Frankreich abserviert hatten. Sie stellten sich die alte Frage: Sind die anderen so gut oder sind wir so schwach? Diesmal war der Fall eindeutig: Die Deutschen waren nicht nur wild entschlossen, sondern auch in der Lage, daraus etwas Gutes zu machen. Das nächste Tor war daher kein plötzlicher Lichtblick, sondern eine fast logische Folge des Geschehens. Kroos spielte einen edlen Kroos-Pass in den schnellen Lauf von Sané, und mit viel Geschick sowie ein bisschen Glück fügte dieser das 2:0 hinzu (19.). Der hochgelobte holländische Verteidiger Mathijs de Ligt sah seinen Gegner zum wiederholten Male nur von hinten.

Mancher Schalker in der Arena wird sehnsüchtige Blicke auf den ehedem hier heimischen Sané geworfen haben. Immer wieder ging dieses aus dem Zirkus bekannte Raunen durch die Reihen, wenn er zu seinen spektakulären Solo-Angriffen startete. Und was noch wichtiger war: Immer wieder wurde es dann auch gefährlich. Zwei weitere Tore durch Gnabry waren schon vor der Pause möglich, und die Frequenz der deutschen Angriffe ließ auch nach der Pause kaum nach.

Die beste Gelegenheit zum 3:0 ließ Werner aus (62.), bevor er den Platz für Marco Reus verließ (62.). Auch der Jubilar Thomas Müller kam unter großem Jubel der Zuschauer in sein 100. Länderspiel. Das deutsche Tempo ließ nun allmählich nach, man beschränkte sich darauf, die Ordnung zu halten und gelegentliche Konter einzustreuen. Beides gelang über weite Strecken befriedigend - aber eben nicht bis in die letzten Minuten.

Plötzlich ist ein Spiel der Nations League am Dienstagabend ohne deutsche Beteiligung ganz wichtig: Nur wenn Polen in Portugal verliert, rutscht die DFB-Auswahl bei der Auslosung für die Qualifikation zur EM-Endrunde 2020 (am 2. Dezember in Dublin) in Topf eins. Und nur dann geht Löws Team den Top-Teams aus dem Weg.

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