1000. Bundesligaspiel des "Club":"Das Leben ist wirklich ein Scheißspiel"

Große Siege, tränenreiche Abstiege und reichlich Theater: Wenn der 1. FC Nürnberg an diesem Samstagnachmittag gegen Hertha BSC antritt, ist es das 1000. Bundesligaspiel der Club-Historie. Nicht immer lief es bei den Franken so harmonisch wie zuletzt. Eine Rückschau in Ausrissen.

Markus Schäflein

Der Club wäre nicht der Club, wenn er nicht für die erste Trainerentlassung der Bundesliga-Geschichte gesorgt hätte: Herbert Widmayer musste im Oktober 1963 gehen, nach einem 0:5 gegen Kaiserslautern - obwohl er Nürnberg 1961, noch zu Oberligazeiten, zur deutschen Meisterschaft und 1962 zum Pokalsieg geführt hatte. "Das hat er nicht verdient", klagte Ehrenspielführer Max Morlock. "Nach drei Jahren der Erfolge schickt man einen Mann so nicht weg."

Franz Brungs Nürnberg

Deutscher Meister 1968: Die Club-Legenden Franz Brungs, Trainer Max Merkel und Georg Volkert.

(Foto: imago sportfotodienst)

Stopper Ferdinand Wenauer, der als Kapitän eine Abschiedsrede hielt, erinnerte sich später: "Mit einem Würgen im Hals brachte ich gerade noch heraus: 'Uns ist das peinlich, aber wir können nichts dran ändern. Wir haben Achtung vor ihnen und wir danken ihnen mit Wehmut im Herzen.' Da drehte sich Widmayer um und sagte: 'Jungs, wenn euch einmal im Leben so etwas passiert wie mir heute, dann tragt es mit Haltung!' Selbst den Hartgesottensten ging das an die Nieren. Ohnmächtig vor Wut schimpfte der Heinz Strehl: 'Was heute hier geschehen ist, ist eine riesige Sauerei. Dieses Leben ist wirklich ein Scheißspiel!'"

Dem Club-Anhänger Thomas Holzer und seiner Internetseite www.glubberer.de ist es zu verdanken, dass derart schöne Sätze bis ins digitale Zeitalter überliefert sind.

Es folgten einige Jahre im Mittelfeld und zahlreiche Transfers - unter anderen kamen Franz Brungs (Borussia Dortmund), August Starek (Rapid Wien) und Zvezdan "Zick-Zack" Cebinac (Eindhoven), der der Überlieferung nach zuvor seinem völlig talentfreien eineiigen Zwillingsbruder zu einem gut dotierten Vertrag beim 1. FC Köln verholfen hatte, indem er das Probetraining für ihn bestritt. Unter Trainer Max Merkel gelang dem 1. FCN dann 1968 die erste (und bislang einzige) Bundesliga-Meisterschaft.

Dabei sorgte Stürmer Brungs beim 7:3-Heimsieg gegen den FC Bayern München für fünf Treffer. "Den Ausschlag gaben die Kameraden, die mir die Bälle maßgerecht servierten", bedankte sich Brungs - der den Grund für die Meisterschaft zu kennen glaubte: "Es gab keine einzige ernsthafte Verletzung, und es herrschte eine viel bessere Kameradschaft als in den Jahren zuvor."

Abstieg als Titelverteidiger

1969 musste der Club als Titelverteidiger den Abstieg aus der Bundesliga hinnehmen - was bis heute einmalig ist. Merkel schied bereits im März aus "gesundheitlichen Gründen" aus; viele gaben ihm die Schuld, weil er nach der Meisterschaft einen großen Umbruch im Kader durchgeführt und sich auch mit einigen der verbliebenen Spieler angelegt hatte.

1000. Bundesligaspiel des "Club": Abgang Nürnberg: Hans Küppers (2.v.li.) und Heinz Müller (3.v.li.) verlassen 1969 nach dem 0:3 gegen Köln als Absteiger den Platz.

Abgang Nürnberg: Hans Küppers (2.v.li.) und Heinz Müller (3.v.li.) verlassen 1969 nach dem 0:3 gegen Köln als Absteiger den Platz.

Im Mai 1969 rügte die offizielle Vereinszeitung, "dass der Trainer den Weltklassespieler Cebinac aus vorwiegend persönlichen Gründen solange provozierte und madig machte, bis der Jugoslawe in beinahe verständlichen Kurzschlussreaktionen seinerzeit kaum tragbare Torheiten beging". Merkel kehrte der Bundesliga den Rücken und ging nach Spanien zum FC Sevilla. Zudem wird in Nürnberg noch immer die Legende von Bestechung als Ursache des Abstiegs überliefert.

So behauptete Verteidiger Wenauer, dass mindestens Torhüter Jürgen Rynio bestochen gewesen sei: "Bekannt ist, dass Borussia Dortmund unseren Torhüter Jürgen Rynio eingekauft hat, der im Schicksalsspiel, dem 2:2, zumindest einen vermutlich haltbaren Treffer passieren ließ." Nachgewiesen wurde dies nie. Die Jahre 1969 bis 1978 verbrachte der 1. FC Nürnberg in der Zweitklassigkeit, erst in der Regionalliga, ab 1974 in der neu gegründeten zweiten Liga. Dort fiel der Club zwischenzeitlich gar hinter die fränkischen Konkurrenten Bayern Hof und Schweinfurt 05 zurück.

Roths erste Ära

1978 gelang die Rückkehr in die Bundesliga - ausgerechnet in einer Saison, in der kaum jemand damit gerechnet hätte. Wichtige Spieler wie Nüssing, Geinzer, Pechthold und Hannakampf hatten den Club verlassen. Aus dem Nachwuchs, der 1974 erstmals deutscher Jugendmeister geworden war, waren Talente wie Norbert Eder und Bertram Beierlorzer gekommen, die zusammen mit den verbliebenen Erfahrenen den überraschenden Aufstieg schafften. Nach dem entscheidenden Spiel in Essen staunte Beierlorzer über die mitgereisten Anhänger: "Ich habe nicht geglaubt, dass solch eine Begeisterung möglich ist."

In der ersten Ära von Präsident Michael A. Roth ab 1979 plante der Teppichhändler die Rückkehr in die Bundesligaspitze und das internationale Geschäft. Doch das Konzept mit Altstars wie Rudolf Kargus, Manfred Burgsmüller und Rüdiger Abramczik ging nicht auf. In vier Spielzeiten verschliss der Club zehn Trainer. 1984 kam nach einer missratenen Saison ohne einen einzigen Auswärtspunkt der erneute Abstieg.

Roth trat zurück und wurde von Gerd Schmelzer abgelöst. In der zweiten Liga legte der Club den Grundstein für eine erfolgreiche Zeit. Als im Oktober 1984 erfahrene Spieler wie Udo Horsmann und Rudi Kargus die weitere Zusammenarbeit mit Trainer Heinz Höher verweigerten, wurden sie entlassen. Um junge Spieler wie Hans Dorfner, Dieter Eckstein, Roland Grahammer und Stefan Reuter entstand die als Club-Fohlen bekannte Mannschaft, die den sofortigen Wiederaufstieg schaffte.

Duelle mit den Bayern

REIMANN UND ROTH

Vereinspräsident Michael A. Roth und der spätere FCN-Coach Willi Reimann (li.). 

(Foto: DPA)

Spieler wie Manfred Schwabl im Mittelfeld, Jörn Andersen als Torjäger und Andreas Köpke im Tor kamen hinzu, das Team schaffte 1988 als Tabellenfünfter die Qualifikation für den Uefa-Pokal. Danach wechselten Grahammer und Reuter für zusammen rund sechs Millionen Mark zum FC Bayern München, was Präsident Schmelzer mit den Worten kommentierte: "Die Bayern haben uns das Herz herausgerissen."

Nun ging es wieder bergab - und diesmal steil. Erst sorgte der Verteidiger Vlado Kasalo für Aufsehen: Als er 1991, mitten im Abstiegskampf, beim 0:1 gegen den VfB Stuttgart Andreas Köpke nach 366 Minuten ohne Gegentreffer mit einem Eigentor überwand, dachte sich keiner etwas dabei. Dann köpfelte der Jugoslawe im folgenden Auswärtsspiel in Karlsruhe erneut den Ball ins eigene Netz, auch dieses Spiel ging deshalb verloren.

Es stellte sich heraus, dass Kasalo Stammgast in Spielcasinos war. Die Polizei begann wegen Wettbetrugs zu ermitteln. Nachgewiesen wurde dieser Verdacht nie, doch Kasalo wurde wegen Fahrens ohne Führerschein und illegalen Glücksspiels verurteilt, später auch mehrfach wegen illegalen Waffen- und Drogenbesitzes. In dieser Zeit, unter Schmelzers Nachfolger Sven Oberhof, führten Baumaßnahmen, wahnwitzige Transferpolitik sowie Steuerhinterziehung und Schiedsrichterbestechung den Club kurz vor den finanziellen Ruin - 1992 hatte der Club 23 Millionen Mark Schulden. Schatzmeister Böbel, der sich wegen Kasalo "tief traurig und menschlich ziemlich enttäuscht" gezeigt hatte, musste wegen Unterschlagung von Vereinsvermögen ins Gefängnis.

Chaos herrschte auf allen Ebenen: Am 9. November 1993 wurde Trainer Willi Entenmann von Präsident Gerhard Voack entlassen - nach einem 2:0-Sieg gegen den FC Bayern (!). Voack begründete die Trennung später damit, dass Entenmann "kein Kaufmann" gewesen sei und Sponsorentermine stets mit einem "Noi, des mach mer ned" abgelehnt habe. Die Paraden von Nationaltorhüter Andreas Köpke verhinderten zunächst weiter den Absturz - 1994 brachte jedoch das so genannte Phantomtor im Spiel beim FC Bayern den vierten Abstieg.

Helmers Phantomtor

Bayern Nürnberg

Weit daneben und doch drin: Bayerns Thomas Helmer stochert im jahr 1994 einen Ball am Nürnberger Tor vorbei - trotzdem gab der Schiedsrichter Tor.

(Foto: imago)

In der 26. Minute rollte ein Schuss von Thomas Helmer am linken Pfosten vorbei. Köpke fragte Helmer, wie man diesen Ball vorbeischießen könne. Helmer antwortete: "Ich weiß es auch nicht." Dann entschied Schiedsrichter Hans-Joachim Osmers auf Tor. Bayern gewann 2:1; im Nachhinein erklärte der DFB das Tor zwar für ungültig, doch das Nachholspiel gewann Bayern 5:0. Umso bitterer: Schwabl verschoss im ersten Spiel kurz vor Schluss einen Elfer für den Club. Bei einem 2:2 hätte es keinen Protest gegeben. Dann wäre der FC Bayern nicht Meister geworden (sondern Kaiserslautern) - und der Club in der Liga geblieben (statt Freiburg).

Im Oktober 1994 kehrte Roth ins Präsidentenamt zurück. Binnen eines Jahres drückte er - durch Werbeverträge mit seinem Teppichkonzern und durch persönliches finanzielles Engagement - die Schulden auf 11,6 Millionen Mark und bewahrte den Verein vor einem Lizenzentzug. 1996 stieg der Club allerdings in die damals drittklassige Regionalliga Süd ab. Finanziell leicht erholt gelang unter Rückkehrer Entenmann der Wiederaufstieg in die zweite Liga. Mit Felix Magath als Übungsleiter folgte 1998 der Durchmarsch in die erste Bundesliga. Der Club manifestierte danach ein Jahrzehnt lang seinen Ruf als so genannte Fahrstuhlmannschaft, die zwischen erster und zweiter Liga pendelt.

Marek Mintal und der Pokalsieg

Ab 2003 war das Wort "Phantom" als Spitzname von Torjäger Marek Mintal wieder positiv besetzt. 2007 wurde der Club DFB-Pokal-Sieger - unter Trainer Hans Meyer durch ein 3:2 nach Verlängerung gegen den VfB Stuttgart. Es war der erste Titel seit 1968 und bedeutete die Uefa-Cup-Qualifikation. Nachdem der Club bereits als Meister aus der Bundesliga abgestiegen war, passierte ihm das 2008 auch als Pokalsieger. Erneut war der Abstieg von unglücklichen Umständen begleitet: Das Heimspiel gegen Wolfsburg Mitte April wurde zum ersten Spiel der Bundesligageschichte, das wegen zu starken Regens abgebrochen wurde.

Iwan Saenko (35.) hatte den Club in Führung gebracht. "Das ist für uns nicht gerade schön. Wenn wir gleich weitergespielt hätten, dann wären wir jetzt durch", klagte Trainer Thomas von Heesen. Das Nachholspiel ging 0:2 verloren. 2009 legte Roth sein Amt nieder. Am 7. Oktober 2010 trat die ein Jahr zuvor beschlossene Satzungsreform in Kraft. Das bisherige Präsidium wurde aufgelöst, an seine Stelle trat ein hauptamtlicher Vorstand mit den Mitgliedern Martin Bader und Ralf Woy. "Das Ziel ist unverändert", sagt Bader: "Wir wollen einfach als 1. FC Nürnberg Mitglied in der Bundesliga sein."

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