Wer nach stimmungsvollen Plätzen sucht, um Natur und Landschaft mit allen Sinnen spüren und erleben zu können, wird am Tegernsee schnell fündig. Wer will, kann auch von Kraftorten sprechen, und sei es nur, weil derjenige meist gut erholt zurückkommt, der sich zwischen Berg, Wald, Wasser und Almen an der frischen Luft bewegt. Eine kulturhistorisch wie landschaftlich gleichermaßen reizvolle Gipfeltour führt zum Riederstein.
Sagenumwobene Riederstein-Kapelle
Unübersehbar markant ragt der zackige Felsspitz des Riedersteins oberhalb von Tegernsee über die baumbestandenen Höhenzüge der Umgebung hinaus. Gekrönt wird der 1207 Meter hohe Berg zudem von einer kleinen Kapelle. An der besonderen, exponierten Lage könnte es liegen, dass sich zahlreiche Mythen und Legenden darum ranken, warum der Sakralbau auf dem Gipfelplateau entstanden ist.
Zum einen heißt es, dass ein Jäger einst die Fährte eines Bären durch das Gelände aufgenommen habe. Auf dem Riedersteinplateau sollen das Tier und sein Verfolger aufeinandergetroffen sein. Der Jäger soll den Bären dort erschossen haben, woraufhin das Tier in die Tiefe stürzte. Anschließend rutschte der Mann im steilen Terrain selbst ab, fiel über die Felsen, landete jedoch auf dem weichen Körper des erlegten Bären und überlebte dadurch. Aus Dank soll er die Kapelle gestiftet haben. In einer zweiten Geschichte spielen in Gefahr geratene Pferde für den Ursprung des kleinen Sakralbaus die entscheidende Rolle. So soll ein Raubtier die Rösser des Bauern am Leeberghof verfolgt und auf den Felssporn des Riedersteins getrieben haben. Weil alle Pferde trotzdem wieder unbeschadet auf den Hof des Landwirts zurückkamen, soll dieser angeregt haben, das Kirchlein zu bauen.
So dramatisch beide Geschichten klingen mögen: Als gesichert gilt, dass die heutige kleine Kapelle zur Mitte des 19. Jahrhunderts errichtet und wenige Jahre später erweitert worden ist. Laut dem bayerischen Denkmalatlas handelt es sich um einen neuromanischen Satteldachbau mit Dachreiter. Die klagende Maria mit dem Leichnam des vom Kreuz abgenommenen Jesus ziert den Altar. Bauherr soll laut einer Tafel Josef Hupfauer gewesen sein, zur damaligen Zeit als Schlossdiener in Tegernsee beschäftigt. Das ist historisch interessant. Vor allem aber bietet der Standort herrliche Tiefblicke auf alles, was die Region des Tegernseer Tals ausmacht – auf Wasser, Berge, Wälder und Wiesen.
Eine um die eineinhalb Stunden lange Aufstiegsroute könnte am Bahnhof in Tegernsee beginnen. Über die Max-Josef-Straße und den Prinzenweg geht es ostwärts in das Alpbachtal hinein. Am Wanderparkplatz führt die Tour nach Süden über die Schützenstraße und den freie Wiesen querenden Sonnleitenweg. Die Wanderer folgen schließlich den Schildern Richtung Galaun und durch Wald hinauf zum Pfliegeleck. Der Weg geht jetzt mehr oder minder eben bis zum Berggasthof Galaun dahin. Die letzte Etappe führt über mehr als 500 Stufen auf dem Kreuzweg mit den Leidensstationen Christi auf den Gipfel des Riedersteins. Um den Weg und die Treppen sowie die Kapelle zu erhalten, gründeten Tegernseer im Jahr 1897 den bis heute existierenden Verein Riederstein. Ein etwa einen Meter breiter und mit Geländern gesicherter Weg führt rund um die Kapelle. Mit etwas Fortune sichert man sich eine der Bänke auf dem Gipfel für eine kurze Rast. Die Riederstein-Tour kann man auch verlängern: Etwa 40 Minuten dauert die Wanderung auf die Baumgartenschneid (1448 Meter). Die Baumgartenschneid ist ein leichter Gipfel mit Blick auf den Wendelstein im Osten und die Tegernseer Berge im Südwesten. Wer die Tour mit einer zünftigen Einkehr abschließen möchte, kann dies im familiengeführten Berggasthaus Riederstein am Galaun tun, dem man beim Aufstieg schon begegnet ist. Es liegt auf einer Höhe von 1060 Metern direkt am Fuße des Riedersteins. Von der Sonnenterrasse aus genießt man noch einmal den herrlichen Blick auf die Kapelle und den Gipfel.
Benjamin Engel