Dass die Wirbelsäule leicht gekrümmt ist, hat seinen Sinn. Wäre sie nämlich gerade wie eine starre Säule, würden wir beim Stehen, Gehen oder Laufen nicht die Balance halten können. Und ebenso würden wir bei jeder Bewegung einen harten Ruck spüren. Allerdings: Zu stark gekrümmt darf die Wirbelsäule auch nicht sein. Welche Folgen dies haben kann, wissen hierzulande mehr als 900.000 Menschen leider nur zu gut. Sie sind an einer Skoliose (griech. skolios = krumm) erkrankt: Ihre Wirbelsäule ist unnatürlich gekrümmt und in sich verdreht. Je nachdem, wie ausgeprägt die Veränderung ist, sind die Einbußen der Lebensqualität erheblich und können sogar zu einer verkürzten Lebenserwartung führen.
Skoliose, von Ärzten als „dreidimensionale Achsabweichung der Wirbelsäule“ definiert, ist wohl das am längsten bekannte Sorgenkind der Orthopädie: Trotz jahrzehntelanger intensiver Bemühungen um die Aufklärung und Behandlung sind bis heute viele Probleme, die mit der Skoliose einhergehen, noch nicht befriedigend gelöst. Auch die Ursache bleibt in den meisten Fällen unbekannt; sekundäre Formen, etwa als Folge einer Wirbelverformung durch Verletzungen oder einer Grunderkrankung, sind sehr selten. Auffällig ist jedoch, dass eine Skoliose fast immer während des Wachstums entsteht. Meist sind die Heranwachsenden zwischen zehn und zwölf Jahre alt, wenn bei ihnen das erste Mal eine skoliotisch veränderte Körpersymmetrie festgestellt wird - wobei Mädchen siebenmal häufiger betroffen sind als Jungen. Die Verformung kann relativ rasch weiter zunehmen, sodass sich im Extremfall aus einer leichten Skoliose innerhalb weniger Monate eine schwere Verformung entwickelt. Es kommt aber auch vor, dass mäßig ausgeprägte Formen ein Leben lang bestehen, ohne weiter voranzuschreiten und die Betroffenen in ihren täglichen Aktivitäten kaum beeinträchtigen. Manch eine Skoliose bleibt sogar unentdeckt oder sie ist der zufällige Befund einer orthopädischen Untersuchung.
Prinzipiell kann sich an allen Abschnitten der Wirbelsäule eine Skoliose entwickeln, besonders oft ist die Brustwirbelsäule betroffen. Meist weicht dieser Abschnitt zur rechten Seite hin ab, was dann eine Gegenkrümmung der Lendenwirbelsäule nach links zur Folge hat. Aber auch im Lendenwirbelsäulenbereich oder in der Übergangsregion von Brust- und Lendenwirbelsäule kann die Krümmungsmitte liegen. Manchmal weisen sowohl die Brust- als auch die Lendenwirbelsäule einen Hauptkrümmungsbogen auf (Doppel-S-Skoliose). Dabei reichen die Schweregrade von minimalen Verbiegungen, ohne dass gleichzeitig eine Verdrehung (Rotation) der Wirbelkörper besteht, bis hin zu schwersten Formen, bei denen es den Betroffenen nicht mehr möglich ist, aufrecht zu stehen oder ohne Gehhilfe die Balance zu halten.
Therapiemöglichkeiten
Physiotherapie, Korsett oder gar OP: Ob eine Behandlung notwendig ist und wenn ja, welche den größtmöglichen Erfolg verspricht, hängt wesentlich vom Grad der Verbiegung ab und davon, wie rasant die Krümmung fortschreitet. Aber auch, welcher Bereich der Wirbelsäule am stärksten betroffen ist (Bestimmung des Scheitelwirbels) und nach welcher Seite die Krümmung der Wirbelsäule zeigt, sind Aspekte, die bei der Therapieplanung berücksichtigt werden. Schwerere Formen der Wirbelsäulenverkrümmung sind zwar äußerlich erkennbar, dennoch lässt sich das genaue Ausmaß einer Skoliose erst mithilfe einer Röntgenuntersuchung erkennen. Das Röntgenbild dient außerdem dazu, den Cobb-Winkel sowie die Skelettreife zu bestimmen. Ergibt die Auswertung eine Verbiegung von mehr als zehn Grad, liegt eine Skoliose vor. Ein grenzwertiger Befund zieht normalerweise erst einmal regelmäßige Kontrolluntersuchungen alle vier bis sechs Monate nach sich, um zu prüfen, ob die Krümmung zunimmt. Ist dies der Fall, wird meist eine speziell für Skoliose entwickelte Physiotherapie verordnet, allen voran die Therapie nach Vojta oder die dreidimensionale Skoliose-Behandlung nach Katharina Schroth. Studien belegen, dass auf diese Weise ein Fortschreiten der Erkrankung deutlich verzögert beziehungsweise im Idealfall sogar aufgehalten werden kann.
Und noch eine andere Erkenntnis wurde inzwischen durch zahlreiche Untersuchungen bestätigt: Je früher mit der Skoliosebehandlung begonnen wird, desto größer sind die Chancen für eine gute Prognose. Dabei kommt es wesentlich auf die Geduld und das Durchhaltevermögen der Skoliosepatientin oder des Skoliosepatienten an: Im Zweifelsfall müssen die Therapieempfehlungen über Monate und sogar Jahre konsequent umgesetzt werden. Das kann auch bedeuten, dass man für längere Zeit ein Korsett tragen muss. Diese Maßnahme kommt in der Regel in Betracht, wenn der Krümmungswinkel 20 Grad überschreitet und das Knochenwachstum noch nicht abgeschlossen ist, oder wenn sich der Cobb-Winkel zwischen zwei Kontrolluntersuchungen um mehr als fünf Grad vergrößert hat. Am besten wird das Korsett 18 bis 22 Stunden am Tag getragen - und das ist gerade für junge Menschen keine leichte Situation. Der Erfolg spricht jedoch für sich: Bei der Mehrzahl der Betroffenen kommt die Skoliose durch das konsequente Tragen des Korsetts zum Stillstand - und sie haben im Erwachsenenalter nicht mit skoliotisch bedingten Beschwerden zu kämpfen. Allerdings: Auch mit einer Korsettbehandlung kann der Ausgangsbefund in der Regel nicht mehr verbessert werden.


Anspruchsvolle Operation
Bei schweren Formen der Skoliose, bei denen die Verbiegung 40 Grad und mehr beträgt, wird eine Operation meist unausweichlich. Hierfür stehen zahlreiche bewährte Verfahren zur Verfügung - welche im Einzelfall infrage kommt, wird der behandelnde Arzt nicht nur aufgrund des objektiven Befunds, sondern auch anhand der individuellen Krankengeschichte (Alter? Abgeschlossene Wachstumsphase? Welche Beeinträchtigungen gibt es? Sind noch andere Erkrankungen bekannt?) klären. Die klassische Skoliose-Operation zielt auf die Versteifung von bestimmten Wirbelsäulensegmenten ab, um so die Wirbel im Krümmungsbereich bestmöglich zu begradigen und miteinander zu verbinden. Da die Operation sehr anspruchsvoll ist, sollte sie allerdings nur von ausgewiesenen Spezialisten durchgeführt werden. Fast immer ist im Anschluss an die Operation eine mehrmonatige Rehabilitation notwendig; die durch die Versteifung hervorgerufene Bewegungseinschränkung ist jedoch von Dauer. Einige spezialisierte Kliniken führen inzwischen auch sogenannte wuchslenkende Operationen durch: Bei diesem Verfahren kann die Wirbelsäule weiterwachsen, ohne dass sie versteift werden muss. Diese Methode bietet sich aber nur an, wenn das Wachstum noch nicht abgeschlossen ist.
Es kommt vor, dass sich die Wirbelsäule immer weiter verkrümmt - auch wenn sämtliche Therapien gewissenhaft durchgeführt wurden; eine bittere Erfahrung für die Betroffenen und eine enorme Beeinträchtigung ihrer Lebensqualität. Oft sind sie dann lebenslang auf orthopädische Hilfsmittel angewiesen. Es kann aber auch sein, dass Rückenschmerzen zum ständigen Begleiter werden oder dass immer wieder Beschwerden auftreten, die Folgen einer gestörten Organfunktion sind. Besonders häufig sind Atemprobleme und eine Rechtsherzüberlastung - hierdurch wird die körperliche Leistungsfähigkeit zusätzlich eingeschränkt. Im Extremfall sind Skoliosepatienten nicht (mehr) in der Lage, ihren Beruf auszuüben.
Quälende Dauerschmerzen infolge einer ausgeprägten Skoliose sind zwar zum Glück sehr selten, aber auch sie kommen vor. In diesen Fällen ist meist eine spezielle Schmerztherapie notwendig. Die optimale Schmerztherapie einer Skoliose stützt sich in der Regel auf eine individuelle Kombination von verschiedenen Verfahren. Hierbei reicht die Bandbreite von einer kontrollierten medikamentösen Schmerztherapie bis hin zu Akupunktur und einer gezielten Physiotherapie. Auch das Erlernen einer Entspannungstechnik kann helfen, besser mit dem Schmerz umzugehen. Selbst wenn sie vor anhaltenden Schmerzen verschont bleiben: Für Menschen, die im Erwachsenenalter mit den Folgen einer ausgeprägten Skoliose zu kämpfen haben, ist es nicht leicht, mit den täglichen Herausforderungen durch ihre Erkrankung zurecht zu kommen - auch wenn sie vielleicht schon seit vielen Jahren mit einer verkrümmten Wirbelsäule leben und sie ein verständnisvolles soziales Umfeld haben, das ihnen mit Rat und Tat zur Seite steht. Viele schließen sich deshalb einer Selbsthilfegruppe an und machen die Erfahrung, wie hilfreich der offene Austausch mit ebenfalls Betroffenen sein kann.
Nicole Schaenzler
Schmerzgedächtnis
Länger andauernde und nicht behandelte Rückenschmerzen können zur Entstehung eines sogenannten Schmerzgedächtnisses führen. Dabei kommt es zu funktionellen und strukturellen Veränderungen im zentralen Nervensystem. Nun genügt schon ein minimaler Reiz wie eine Berührung, eine leichte Dehnung oder Wärme, um Schmerzempfinden auszulösen. Mit einer multimodalen Schmerztherapie kann man das Schmerzgedächtnis zwar wieder löschen oder zumindest lernen, mit den Schmerzen umzugehen. Doch das ist eine langwierige Angelegenheit. Besser ist es, bei Rückenschmerzen, die länger als drei Tage anhalten, diese ernst zu nehmen und einen Arzt aufzusuchen. dfr
So erkennt man eine Skoliose
Eine skoliotisch veränderte Wirbelsäule ist oftmals sichtbar. Typische Anzeichen sind zum Beispiel:
▸unterschiedlich lange Beine,
▸eine Seitendifferenz des Schulterstands,
▸ eine schräge Kopfhaltung,
▸ ungleich hohe Hüften,
▸ unterschiedlich geformte Taillendreiecke,
▸ein Rippenbuckel,
▸ eventuell eine deutliche Verbiegung der Wirbelsäule nach links oder rechts,
▸je nach Lokalisation der Skoliose mitunter eine Lendenwulst beim Vorbeugen.
schae