Schon vor Weihnachten 2023 war bei Drechslermeister Georg Hörmann Bescherung. Das Komitee der Deutschen UNESCO-Kommission hatte das Traditionshandwerk ins bundesweite Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes aufgenommen. Zwischen Brotkultur und Flechthandwerk, Flößerei und Teerschwelerei, zusammen mit hessischem Kratzputz und Oberpfälzer Spitzenklöppelei sowie 55 weiteren traditionellen Handwerkstechniken, hat nun diese Art „der mechanischen Werkstoffbearbeitung auf Basis rotierender Werkstücke“, wie es in der Urkunde heißt, ihren Platz in der UNESCO-Walhalla.
Nun ja, Drechsler Georg Hörmann fühlt sich deshalb nicht wirklich persönlich geadelt. Aber einen gewissen Stolz auf sein Handwerk und seine Arbeit empfindet er schon. „Ich fühle mich als Drechsler ungebunden, liebe meine kreative Arbeit mit dem Holz.“ Man müsse schon ein gewisses künstlerisches Talent spüren und sich für diesen Arbeitsprozess begeistern können, meint er mit seiner mehr als zwanzigjährigen Erfahrung. Obwohl sich das Werken in einzelne Bearbeitungsschritte teile, liege doch alles in seiner Hand, an seiner Routine und seinem Können.
Das Handwerkliche beginnt bereits mit dem Fällen ausgesuchter Bäume. Laubholz muss es sein. Aufgespürt hat er es im Umkreis seiner Werkstatt in Dietmannsried, einem kleinen Weiler im Ostallgäu, 15 Kilometer nördlich von Kempten. Ist der Laubbaum gefällt, schneidet er ihn in unterschiedlich große Stümpfe, Scheiben, Klötze und Stücke. Dabei begutachtet er die Stücke bereits mit Blick auf den späteren Verwendungszweck: Welche Form die Schale haben könnte, ob das zersägte Stück Holz Pfeffermühle, Stuhlbein oder Säule sein könnte. Aus langjähriger Erfahrung weiß der Mittvierziger um die Charakteristik der unterschiedlichen Laubhölzer wie Buche, Birne, Kiefer, Esche, Kastanie oder Walnuss. Er kennt ihre Maserung, Festigkeit und die speziellen Eigenschaften bei der Behandlung mit den unterschiedlich geformten Drechslermessern. Es macht den Meister aus, im noch unbehandelten Block schon das fertige Teil zu sehen.
Man muss weit zurückschauen, um zu den Anfängen des Drechselns zu kommen. Und diese Zeitstrecke war es auch, die das UNESCO-Komitee bewogen hat, die sich wandelbare und anpassungsfähige Rotationstechnik als ältestes Handwerk der Welt in die Welterbeliste aufzunehmen (neben diversen anderen, die sich um diesen Titel streiten). Eigentlich recht spät, möchte man meinen. Schließlich lassen sich erste Spuren bearbeiteten Alabasters, Bernsteins, Elfenbeins, Holzes oder Horns schon vor 4500 Jahren nachweisen – im Niltal Ägyptens. Zugrunde liegt ein ebenso einfacher wie genialer Gedanke. Und den kann Georg Herrmann sehr anschaulich erklären, wie er es immer wieder für Interessierte bei seinen Einführungskursen in die Drechselei macht: „Stellen Sie sich einen Bohrer vor, wie er als Fiedelbohrer zum Feuermachen benutzt wurde. Den um 90 Grad gedreht – von der Senkrechten in die Waagrechte – und voilà, das erste Arbeitsgerät fürs Drechseln! So einfach ist das.“ Dazwischen liegen aber die berühmten 4500 Jahre und ein erhellender Besuch beim steinzeitlichen Ötzi und der überlieferten Kunst des Feuermachens. Sie beruht auf dem Prinzip, einen angespitzten Holzstab quirlig hin und her zu drehen. Er steckt in oder auf einem Stück Holz mit Feuerschwamm als Funkenfänger. Durch die ständige Reibung und die entstehende Hitze funkt’s im Zunder, er beginnt zu glimmen, und schließlich lodert eine Flamme. Das Prinzip des Fiedelbohrers war gefunden – womöglich der erste mechanische Arbeitsgang der Menschheit!
Wie gesagt, erst den Fiedelbohrer in die Waagerechte bugsieren, dann die Zeitachse bis ins 17. Jahrhundert drehen. Die Drechselei ist zur Kunst avanciert. Bis es soweit war, waren Technik und Wissenschaft im Einsatz. Mathematiker berechneten Steuerkurven für ovale Formen und die Apparaturen, auf denen solche Gegenstände aus dem vollen Holz gedreht werden konnten. Das technische Kunstwerk Drechselbank traf auf handwerklich begabte Bearbeiter. Figuren können ausgedreht werden, und eine Vieleckdrehbank erlaubt dank ihrer besonderen Steuerung das Abtasten von Reliefs, etwa Münzen oder Plaketten, um sie in Holz zu spanen.
Königliches Vergnügen
Damaliges Zentrum des Kunstdrechselns war das fränkische Nürnberg. Hier schufen Meister wie Gesellen in ihren Werkstätten Prachtstücke, die besonders bei Hofe en vogue waren. Hobbydrechseln kam in Mode. Die Drechselbank als fürstliches Geschenk, der passende Kurs als Beigabe. Die Reichsfürsten fanden Geschmack daran. Verbürgt ist, dass Zar Peter der Große während seiner Wanderjahre in den Niederlanden eine Lehre als Schiffszimmermann absolvierte und selbst begeisterter Drechsler war. Dem preußischen Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. schenkte er – durchaus üblich unter seinesgleichen – eine reich verzierte Luxusdrechselbank aus Messing, ein Meisterstück der Feinmechanik. Aber es half wenig: Zar Peter konnte ihn dennoch nicht zum Eintritt in den Großen Nordischen Krieg bewegen.
Im Laufe der Jahrhunderte wurde so gut wie alles auf die Drechselbank gespannt und zum Rotieren gebracht, auf dass die Späne tanzten: Stein wie Bein. Ob die langen afrikanischen oder kürzeren asiatischen Elefantenzähne; ob das Elfenbein vom Narwal oder Nashorn oder edler Alabaster. Je exaltierter, umso größer die Bewunderung. Edelste Hölzer kamen ebenso unter die Schnitteisen wie die äußere Schale der Kokosnuss. Dabei ist sie als Drechselobjekt als Schau-Schale auf dem Couchtisch nahezu programmiert, weil kein Abfall. Denn, so Drechslermeister Georg Hörmann: „Bis zu 80 Prozent Späne können schon anfallen, wenn wir aus dem Vollen drechseln.“ Der Fußboden seiner Werkstatt ist voll davon.
Wolfgang Stegers
Einen praktischen Einführungskurs in die königliche Kunst des Drechselns samt Erfolgstrophäe gibt Georg Hörmann gerne auf Anfrage: www.georg-hoermann.de