In den ersten von Menschenhand erschaffenen Wohnbauten gab es meist nur zwei Öffnungen: die Tür nach draußen und eine Öffnung im Dach für den Rauchabzug. Fenster, wie wir sie heute in der Grundform kennen, haben eine jahrtausendalte Entwicklungsgeschichte hinter sich und waren zunächst nur den Adligen, Reichen und Sakralbauten vorbehalten. Sie dienten zum Schmuck, als Öffnung für das Licht und zum Lüften. Daran hat sich nichts geändert - außer dass sich eine weitere mögliche Funktion von Fenstern gerade ganz besonderer Beliebtheit erfreut: die Möglichkeit zur Erholung auf kleinstem Raum. Den Blick in relaxter Position nach draußen schweifen lassen, im Schein der Tageszeiten ein bisschen „Cosiness“ spüren oder sich mit einem Buch einfach eine Mini-Auszeit nehmen mitten im Wohngefüge, aber dennoch auch ein bisschen für sich. Die Interior-Gazetten sind voll mit Bildern und begeisterten Berichten über die so angesagten Sitzfenster. Und in der Tat hat er natürlich was, dieser Wellness-Platz in den eigenen vier Wänden. Er erhöht das eigene Wohlbefinden und nicht zuletzt auch den Wert einer Immobilie. Ein Sitzfenster kann zum absolut stylischen Centerpiece werden, denn die Gestaltungsmöglichkeiten sind schier endlos.
Vom geradlinigen Rückzugsort bis zu schön-kitschigen Kuschel-Höhlen ist vieles möglich, worauf sich mittlerweile ganze Schreinereien spezialisiert haben oder die Konzeption zu ihren selbstverständlichen Leistungen zählen. Auch immer mehr Wohnbaufirmen, etwa im Fertighaus-Bereich, bieten bei der Gestaltung ihrer Häusertypen gleich Optionen für Sitzfenster an. Rein formal eine vor dem Fenster eingerichtete Sitzgelegenheit, unterhalb der Fensterbank. Je nach baulichen Gegebenheiten innerhalb der Ausmaße, die die Leibungen vorgeben, oder auch etwas in die Tiefe des Raumes gehend - man möchte ja auch bequem sitzen und eine Breite von mindestens 40 Zentimetern sollte der Bereich schon haben.

Im Gegensatz dazu darf die Einstiegshöhe nicht zu groß sein. Mit um die 80 Zentimeter kommen Menschen ohne Einschränkungen aber sicher gut klar. Das anvisierte Fenster oder der Platz dafür sollte auf jeden Fall großzügig gewählt werden. Es muss ja nicht gleich Panorama-Charakter haben, aber durch eine Luke will ja auch niemand gucken. Die Dreifachverglasung des Fensters sorgt dabei für eine gewisse Grundwärme und in höheren Stockwerken sollte Verbundsicherheitsglas Standard sein. Generell fährt man sicherlich gut damit, die Ausarbeitung einem Fachbetrieb zu überlassen oder sie als Modul im Neubau gleich mit zu ordern. Ein nachträglicher Einbau, etwa im Rahmen einer Sanierung, ist genauso möglich. Im Altbau lassen sich zum Beispiel aus vorhandenen Erkern richtig kleine Entspannungs-Landschaften machen. Oder das neue Sitzfenster wird als Bestandteil der Sofalandschaft oder als Bank am Essbereich Teil der Möblierung.
In jedem Fall steht aber, wie so oft, die umsichtige Planung an erster Position auf der To-do-Liste. Zumal man die Sitzfenster auch mit zusätzlicher Ausstattung versehen kann.
Sitzfenster mit Plus
Eine Heizung passt z.B. darunter oder auch ein kleiner Einbauschrank, um etwa Kissen und Kram unterzubringen. Wichtig dabei: der Entstehung von Schimmel vorzubeugen. Sollte in der Heizperiode Kondenswasser an Glas und Rahmen anfallen, darf nicht alles mit Kuschelzubehör oder geschlossenen Einbauten verdeckt sein. Wo eine bauseitige Vorbeugung nicht möglich ist, wird der regelmäßige Blick auf den Bereich und das sofortige Trocknen obligatorisch. Auch die Frage der Fenster-Ausführung spielt eine wichtige Rolle: Sollte es zu öffnen sein und wie kann es verschattet werden? Das Budget, das man dafür locker machen muss, dürfte sich meist im verträglichen Bereich bewegen. Ein großes Fenster mit hochwertigem Rahmen und einer breiten und stabilen Sitzbank sollte sich im unteren vierstelligen Bereich realisieren lassen. KAI-UWE DIGEL
Erschienen im Tagesspiegel am 09.06.2024