Es ist schon ein wildromantischer Gedanke, in einer Jurte zu wohnen. In Zeiten von mobilen Tiny-Houses auf Rädern sollte es möglich sein, diese Behausung der zentralasiatischen Nomaden, insbesondere der Mongolen, Kirgisen und Kasachen, auch hierzulande zu adaptieren. Das geht tatsächlich, aber es gilt, einige Dinge zu beachten. Unentschlossene sollten vorab in einer Jurte Urlaub machen, um Vor- und Nachteile zu erkunden. Wer sich dann dauerhaft für eine Jurte entscheidet, kann auf Modelle zurückgreifen, die einige Jurtenbauer hierzulande anbieten. Einfache Jurten gibt es schon ab 25.000 Euro.


Der bei uns gängige Begriff Jurte ist vom türkischen „Yurt“ für „Heim“ abgeleitet. Diese Behausung zwischen Zelt und Haus ist vom Bau her auf die rauen Bedingungen der Eurasischen Steppe abgestimmt, in unseren klimatischen Bedingungen also nutzbar. Eine Jurte besteht aus einem runden Holzgerüst, in der Regel zusammenschiebbarem Scherengitter, das mit Baumvoll- und Filztextilien sowie einer wasserundurchlässigen Folie bzw. Gewebeart verkleidet wird. Das Ganze wird von zwei Pfosten getragen, an denen auch der Dachkranz befestigt ist. Diese Öffnung dient dem Rauchabzug der Feuerstelle, in der modernen Variante dem Ausgang des Ofenkaminrohres, auf alle Fälle auch der Belichtung. Solide Jurten erhalten eine Holztür. Wer mehr Raum benötigt, kann mehrere Jurten miteinander verbinden. Für die Wanderschaft der Nomaden muss die Jurte leicht ab- und wieder aufbaubar sein. Meist in weniger als einer Stunde, weiß Wikipedia. Seit 2013 gehören traditionelle mongolische Jurten übrigens zu UNESCO immateriellem Kulturerbe der Menschheit.


Was in der Eurasischen Steppe möglich ist, verträgt sich allerdings nicht mit den deutschen Gepflogenheiten, und schon gar nicht mit der deutschen Bürokratie. Und die Regeln variieren von Bundesland zu Bundesland, sodass der erste Weg immer zur örtlichen Behörde führen muss. Um der Meldepflicht nachzukommen, ist auf alle Fälle dafür zu sorgen, dass der Aufstellplatz der Jurte eine feste Adresse hat, an die amtliche Post zugestellt werden kann. Vor Aufstellung bzw. Ingebrauchnahme ist eine Ausführungsgenehmigung nötig. Sie gilt bis zu fünf Jahre. Soll eine Jurte dauerhaft stehenbleiben, so ist beim örtlichen Bauamt eine Baugenehmigung einzuholen. Ob kurz oder lang: Man muss wissen, wo die Jurte legal aufgestellt werden darf. Einfach so in der Landschaft? Das gilt als Wildcampen und wird mit Bußgeldern geahndet. Es geht also nur auf einem privaten Grundstück oder auf einem Campingplatz. Das ist aber auch nötig, denn eine abbaubare Jurte enthält keine sanitären Anlagen. Dieses Problem muss also vor allem bei der Aufstellung auf einem privaten Grundstück gesondert gelöst werden.
Inzwischen hielt die Idee der Jurte Einzug in die Architektur. Besondere Aufmerksamkeit erregte eine Neuinterpretation des Nomadenzeltes als Haus AnuAzu vom slowakischen Architekten Peter Jurkovič (JRKVC). Im Landschaftsschutzgebiet der Donauauen in der Nähe von Bratislava baute er in einer Ferienhauskolonie am Nordufer eines Sees ein solches Haus zur eigenen Nutzung.



Er stellte den Rundbau von 5,60 Metern Durchmesser in einen Kubus, um in den verbleibenden Zwickelräumen ein Bad mit WC, ein Schlafzimmer, eine Küchenzeile und zwei Stockbetten unterbringen zu können. Diese Räume sind hinter der Wandverkleidung oder hinterm Vorhang verborgen, sodass den Eindruck einer authentischen Jurte nichts stört. Beheizt wird der Bau mit einem Holzofen, der an der Wand platziert ist. Fürs Zentrum entwarf Jurkovič eine „nomadische“ Sitzgruppe, bestehend aus einem niedrigen Tisch und Sitzkissen.
Die Belichtung kommt durch das Rundfenster von oben, aber auch durch die Öffnung der Wand zu einer Terrasse mit Blick auf den See. Die Holzrahmenkonstruktion ruht auf einer Stahlbetonbodenplatte mit Perimeterdämmung aus Schaumglasschotter. So entstand ein Tiny-House mit dem Charme einer temporären Behausung, die jedoch alle Funktionen eines vollwertigen Hauses beinhaltet.
REINHARD PALMER
Erschienen im Tagesspiegel am 06.07.2024