Anzeige

Weg vom Dogma der Moderne

HANS HOLLEIN, MUSEUM FÜR MODERNE KUNST 1991. FOTO: WIKIMEDIA/EVA KRÖCHER

Webimmobilien

Weg vom Dogma der Moderne

Die Postmoderne Architektur steht zwischen Konservatismus und Revolution

Mit der Benennung der Kunststile ist es so eine Sache: Sie entsteht immer im Nachhinein, nicht selten durch einen von Kritikern intuitiv gewählten Begriff, der bisweilen sogar als Beschimpfung gedacht war, wie etwa bei den Impressionisten. In den meisten Fällen drückt das Wort aber schon eine gewisse Charakteristik der darunter figurierenden Kunstobjekte aus. Bei dem Begriff „Postmoderne“ ist dies nicht der Fall. Er drückt im Grunde nur eine Reihenfolge aus, also was nach der Moderne kommt, sagt aber nicht aus, in welche Richtung sich die Entwicklung vollzieht. Schon bei der zeitlichen Zuordnung wird es schwierig: Wann hört die Moderne denn auf? Wie kann etwas nachmodern sein, wenn die Moderne noch andauert?

Es wird noch komplizierter: Der Begriff ist aus einer umstrittenen philosophischen, vom französischen Philosophen und Literaturtheoretiker Jean-François Lyotard (1924-1998) propagierten Position hervorgegangen, die mit dieser Begrifflichkeit das Postulat des ewigen Fortschritts hinterfragt. Die dadurch angestoßene Diskussion fand dann unter dem Begriff der Postmoderne eine so enorme Vielfalt an Richtungen und Kontexten, dass seine Verwendung heute mehr zur Verwirrung als zur Klärung beiträgt.

Auf die Architektur übertrug den Begriff der Postmoderne der US-amerikanische Architekt und Architekturtheoretiker Charles Jencks (1939-2019), der sich in seiner Theorie für eine kulturelle Symbolik in der Architektur ausspricht und eine kommunikative Verbindung zur Gesellschaft fordert. Seine diesbezügliche Abhandlung von 1977 erschien ein Jahr später auch in Deutschland unter dem Titel „Die Sprache der postmodernen Architektur. Die Entstehung einer alternativen Tradition“.

Wie dies in den Jahren 1960-1980 aussah, zeigte eine Ausstellung des Deutschen Architekturmuseums in Frankfurt am Main 1984, zu deren Katalog der renommierte Kunsthistoriker und Architekturexperte Heinrich Klotz (1935-1999) eine klärende Einführung verfasste und darin die Entscheidung zur Betitelung der Ausstellung als „Die Revision der Moderne“ überzeugend darlegte. „Revision ist der dritte Weg zwischen Konservativismus und Revolution, den wir für den inzwischen bereits zum Schimpfwort gewordenen Begriff der ,Postmoderne' reklamieren möchten“, schrieb er. Unter Revision ist konkret die Hinterfragung der Prinzipien der Moderne zu verstehen, mit dem Ziel, die moderne Architektur, die im Grunde mit jeder Tradition gebrochen hatte, wieder in einen historischen Kontext zu bringen. „Die Revision der Moderne läßt uns fragen, ob nicht unter den vom Dogma der Moderne verketzerten und zum Schutt der Geschichte geworfenen Möglichkeiten einige sind, die der Stadt des späten 20. Jahrhunderts aufhelfen könnten“, hieß es bei Klotz, nicht ohne Kritik am Bauwirtschaftsfunktionalismus ab Mitte des 20. Jahrhunderts. Auch wenn für alle einhellig gilt, „nicht nur Funktion, sondern auch Fiktion“, entwickelte sich die Revision der Moderne in Amerika anders als in Europa. In Übersee folgten Architekten der Forderung von Robert Venturi (1925-2018), zwischen Gehäuse und Fassade zu unterscheiden. Projizierte die Fassade der Moderne die innere Organisation nach außen, machte Venturi sie zum Bedeutungsträger und Träger der Symbolik in Form von Dekoration. Darin folgt er den Ideen seines US-amerikanischen Landmanns Charles Moore (1925-1993), der dabei tief in die Kiste der historischen Vorbilder bis zur Antike griff, um seine Bauten kulissenartig zu inszenieren.

Die europäischen Hauptvertreter der Postmoderne, der Deutsche Oswald Matthias Ungers (1926-2007) und der Italiener Aldo Rossi (1931-1997), gingen weit umsichtiger mit der Moderne um. Vor allem Ungers, der ein Applizieren von Dekorationen ablehnte und das Erscheinungsbild der Architektur als eine „abstrakte Repräsentation“ verstand. Beide Architekten stützten sich wie die Moderne auf die rein architektonische Typologie, erlaubten ihr aber historische Bezüge. Es dürfen auch neue Typologien geschaffen werden. Jedes Thema kann sozusagen variiert werden, wobei Themen nicht nur Funktionen abgeleitet sind. „So kann zum Beispiel ein Durchgang eine Tür, eine Pforte oder ein Tor sein: Alle diese Formen des Durchgangs unterscheiden sich nicht allein in der Größe, sondern auch als Charaktere“, erläuterte Klotz.

Vergleichsweise wenige Entwürfe postmoderner Architektur wurden tatsächlich realisiert. Museen beherbergen unzählige Zeichnungen und Modelle fantastischer Bauten, die bisweilen doch mehr als Bildwerke reizvoll, hingegen gebaut kaum vorstellbar sind. Einige Beispiele postmoderner Architektur sind aber auch in Deutschland durchaus realisiert worden, vor allem in West-Berlin, wo sie zum Schwerpunkt der Internationalen Bauausstellung 1987 wurden. Die Ausstellung bedeutete für Berlin zugleich einen Wendepunkt im Umgang mit historischer Substanz. Prägte nach dem Krieg zunächst tabula rasa das Flächensanierungskonzept vor allem in Kreuzberg und Neukölln, so gelang es nun führenden Architekten, den Senat von einer „Behutsamen Stadterneuerung“ zu überzeugen. Auch Ungers war mit sogenannten Sommerakademien in die Vorbereitung der Ausstellung involviert. Stilistisch bot sich die postmoderne Architektur geradezu an, ließ sie sich mit ihrer Kompromissbereitschaft in die bestehende Bebauung und in die gewachsenen Strukturen optimal integrieren. Neben Ungers und Rossi waren hier weitere große Architekten am Werk, so etwa Mario Botta, Zaha Hadid, Hans Hollein, Josef Paul Kleihues, Rem Koolhaas, Otto Steidle, James Stirling und viele mehr.

Einige Bauwerke der Postmoderne gelangten auch außerhalb Berlins zur Realisierung. Zu den Architekten gehörten Heinz Bienefeld (1926-1995) etwa mit seinem Haus Heinze-Manke von 1988 in Köln sowie der nur dank seiner Metropolitankirche, der griechisch-orthodoxen Kirche Agia Trias, in Bonn von 1976 bekannte Klaus Hönig. Herausragende Beispiele sind zudem Museumsbauten vom Österreicher Hans Hollein (1934–2014), so das Städtische Museum Abteiberg in Mönchengladbach von 1982 und das Frankfurter Museum für Moderne Kunst von 1981. Der Brite James Stirling (1926-1992) sorgte indes mit der 1984 eröffneten Neuen Staatsgalerie Stuttgart für Aufsehen, wobei hier von der äußeren Erscheinung her die Grenze zur organischen Architektur fließend ist. Ein bemerkenswerter, wenn auch wesentlich kargerer Bau ist die Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland vom Österreicher Gustav Peichl (1928-2019), die 1992 in Bonn eröffnet wurde.

Durchaus interessante Beispiele brachte auch die Sozialistische Postmoderne der DDR zwischen 1980 und 1990 hervor. Die meisten Beispiele basieren auf dem Konzept der Plattenbauweise, sind jedoch auf den ersten Blick kaum von der historischen Bauweise zu unterscheiden. Anders geartet ist der Berliner Friedrichstadt-Palast von 1984. Seine Schöpfer waren die Architekten Manfred Prasser (1932-2018) und Dieter Bankert (geb. 1938), die unter anderem auch den abgerissenen Palast der Republik geschaffen hatten. Der Friedrichstadt-Palast entstand nach dem Vorbild Pariser Revuetheater, die Presser eingehend studierte. „Ich baue hier keinen Larifari-Schuppen, von dem die Leute sagen: Guckt mal, das ist die kleinkarierte DDR“, stellte er schon im Vorfeld klar.

REINHARD PALMER

Er­schie­nen im Ta­ges­spie­gel am 03.05.2025

Das könnte Sie auch interessieren