Noch nie hat Volvo so ein kleines SUV gebaut. Der voll elektrische EX30 will tief in die Kompaktklasse vordringen und trifft dort auf Jeep Avenger und Co. Mit einem attraktiven Design und einem nicht minder attraktiven Preis soll das gelingen. Das schwedische Produkt aus dem chinesischen Haus Geely hat allerdings einen kleinen Pferdefuß. Erste Testfahrt. Über skandinavisches Design ist eigentlich alles gesagt. Es ist klar, sauber und uneitel. Das Interieur im neuen EX30 wirkt so leergefegt wie die ewigen Weiten der lappländischen Tundra nach einem Wintersturm. Arm an Farben, Konturen und Kontrasten, aber trotzdem nicht ungemütlich. Ganz anders das Exterieur: Hier spielen die Designer mit Flächen und Formen, da prallt Rundes auf Eckiges. Das Heck verblüfft mit noch mal separat abgesetzten Leuchten, auf beiden Seiten der oberen Schulterpartie. Was sie können? Rot leuchten! Der legendäre Rambo-Dialog lässt grüßen. Die Frontseite wird von einer weiteren Lichtsignatur dominiert. Wer es nicht schon wusste: Das lange Tagfahrlicht mit der Querstrebe am Ende erinnert an Thors Hammer. Im neuen EX30 strahlt er noch heller.
Mit einem Hammer hat auch die Beschleunigung des EX30 zu tun. Hier muss man unterscheiden zwischen Single- oder Twin-Motor-Ausführung. Schon mit dem 200-kW-Aggregat (272 PS/343 Nm Drehmoment) und Heckantrieb geht es rasant zur Sache: 5,3 Sekunden von 0 auf 100. Im Vergleich zum Allradmodell ist das aber nur ein Hämmerchen. Die Twin-Motoren zeigen mit ihren 315 kW (428 PS/543 Nm), wo der Hammer wirklich hängt: In 3,6 Sekunden erreicht das Doppelgespann die magische 100er-Marke. Verrückte Zeiten, wenn Kompaktwagen spielend auf Supersportwagen-Werte kommen. Aber auch das ist Elektromobilität. Ob es Sinn macht, mit immer mehr PS die Mobilitätswende zu befeuern, bleibt fraglich. Denn auch hier gilt: Beschleunigung kostet Energie. Energie kostet Geld, und vor allem muss sie hergestellt werden: mehr oder weniger umweltverträglich.
Unstrittig bleibt: Wer mit dem Strompedal nicht pfleglich umgeht, den bestraft die Reichweite. 64 Kilowattstunden stellt der Akku in der Extended-Range-Variante (ab 41.790 Euro) zur Verfügung. Beim Basismodell (ab 36.590 Euro) sind es nur 49 kWh. Auf unseren Teststrecken erreichten wir mit dem einmotorigen Hecktriebler tatsächlich die angegebenen Verbrauchswerte von 17 kWh. Selbst damit ist es schon schwierig, auf die angepeilten Reichweiten von 344 respektive 463 Kilometer zu kommen. Wenn man da auch noch aufs Gaspedal drückt, schmilzt die Batteriepower dahin wie Vanilleeis in der prallen Sonne. Trost verspricht die Schnellladesäule: Mit bis zu 153 kW soll der Akku schon in einer halben Stunde wieder 80 Prozent haben.
Ohne Zweifel: Aufgrund der flotten Leistung ist es schon ziemlich verführerisch, den EX30 nach vorne zu peitschen. Auch wenn man je nach Ausstattung zwischen 1,8 und 1,9 Tonnen bewegt - es fühlt sich leichtfüßig an. Leichtgängig ist auch die Lenkung. Für unseren Geschmack vielleicht einen Tick zu easy, weil die Bindung zur Straße zu gering ist. Die Federung ist komfortabel und trotzdem straff. Respekt, weil die Volvo-Ingenieure das ganz ohne adaptive Dämpfer geschafft haben. Ein Kurvenräuber ist der EX30 trotzdem nicht, die Neigung zum Wanken schränkt den Fahrspaß ein. Und das teigige Sitzgestühl sowieso. Von daher ist die Frage, ob man - das entsprechende Kleingeld vorausgesetzt - das Twin-Motor-Modell (ab 48.490 Euro) kaufen soll, schnell beantwortet. Nein, der Hecktriebler reicht völlig. Ob der Kofferraum mit seinen eher mickrigen 318 Liter Kleinfamilientauglichkeit aufweist, darf bezweifelt werden. Außerdem ist das Teil unpraktisch: Allein schon wegen der hohen Ladelippe und des tiefen Bodens. Aber es gibt ja auch noch eine Rückbank. Erwachsene könnten hier zwar auch sitzen, aber erst wenn sie die etwas komplizierte Einsteigegymnastik mit Erfolg gemeistert haben. Hinten ein Bettler, vorne ein König: Fahrer und Beifahrer residieren herrschaftlich. Vergeblich suchen wir einen Tacho oder etwas Ähnliches. Gibt es nicht - und das geht auch gar nicht! Die Geschwindigkeit liest man vom Bildschirm in der Mitte ab. Wenn man zu lange hinsieht, mault aber der Aufmerksamkeitsassistent. Und das soll sicher sein? Hauptsache, der Geschwindigkeitswarner piepst ab einem Kilometer Überschreitung. Da wäre uns lieber gewesen, die Autoregulierer in Brüssel hätten sich mit der Frage beschäftigt, ob das Einstellen der Seitenspiegel im Volvo EX30 nicht zu sehr ablenkt. Denn das geht nur über den Hauptbildschirm. Erst muss man sich über die Fahrzeugeinstellungen zum Spiegel klicken, dann die richtige Seite wählen. Das sind drei Schritte. Und jetzt kommt's: Eingestellt werden die Spiegel dann über die auch noch ziemlich unempfindlichen Tasten am Lenkrad. Während der Fahrt ein Ding der Unmöglichkeit. Passend dazu werden übrigens auch die Fensterheber über Schalter in der Mittelkonsole bedient. Alles über die Mitte - das Auto kommt ja auch aus dem Reich der Mitte.
Unser Fazit zum neuen Volvo EX30: Wer Designer-Autos mag, der wird das kompakte SUV lieben. Es wirkt frisch, jung und modern. So fährt sich das kleinste Volvo-SUV auch. Die Reichweiten sind okay, die Ladegeschwindigkeit mit 153 kW ebenfalls. Betrachtet man das Gesamtpaket und vergleicht das alles mit dem preislich ähnlichen Opel Corsa Electric, gewinnt der Schwede das Duell deutlich nach Punkten. Nicht, weil das Produkt mit dem Blitz so schlecht ist. Der Volvo ist einfach so gut. Rudolf Bögel
TECHNISCHE DATEN
VOLVO EX30 SINGLE MOTOR
EXTENDED RANGE
Antrieb: Heckmotor / Automatik
Spitzenleistung: 200 kW (272 PS)
Drehmoment: 343 Nm
0-100 km/h: 5,3 s
Höchstgeschwindigkeit: 180 km/h (limitiert)
Akku-Kapazität: 64 kWh (netto)
Ladezeiten: 0-100 Prozent bei 11 kW AC 7,5 h
10-80 Prozent bei 153 kW DC 28 min
Verbrauch: 16,9-17,5 kWh/100 km
Reichweite: 462-476 km
Länge/Breite/Höhe: 4,23/1,84/1,55 m
Radstand / Wendekreis: 2,65 m / 10,7 m
Bodenfreiheit/Wattiefe: 15,5 cm/50 cm
Leergewicht/Anhängelast:
1765-1885 kg/ 1400 kg
Kofferraum: 318-9041
Preis: 41.790 Euro / mit dem Twin Motor
ab 48.490 Euro
Erschienen im Tagesspiegel am 29.01.2024