
Eine der Hauptursachen für Krankschreibungen in Deutschland sind Rückenschmerzen. Von der Halswirbelsäule bis zum Iliosakralgelenk können zahlreiche Probleme auftreten. Speziell der untere Rücken, das sogenannte Kreuz, schmerzt oft heftig. Die Gründe dafür sind unterschiedlich: Mangelnde Bewegung, falsche Körperhaltung am Arbeitsplatz, beim Heben und Tragen. Übergewicht, Stress und Ängste, eine Überlastung der Rückenmuskulatur oder Grunderkrankungen wie Osteoporose können gleichfalls Auslöser sein.
Auch wenn es sich anders anfühlt: Akute Rückenschmerzen sind häufig eher leicht zu behandeln. "Nur selten liegt eine Erkrankung zugrunde“, sagt der Orthopäde Professor Christoph Siepe, Chefarzt an der Schön Klinik München Harlaching. „Die häufigsten Beschwerden entstehen durch degenerative Veränderungen und sind meistens nicht gefährlich. In der Regel muss man damit nicht gleich zum Arzt, sondern kann erst mal zu Hause schauen, wie es sich entwickelt“. Eine Ausnahme bilden Bandscheibenvorfälle. Hier beschreiben Patientinnen und Patienten einen starken Beinschmerz, der durch Druck auf die Nerven durch das ausgetretene Bandscheibengewebe entsteht. Meist sind es alltägliche Dinge wie zu schweres Heben, falsches Liegen, Stress, zu viel Training oder plötzliche, ruckartige Bewegungen, die zur Überforderung und Verspannung der Muskulatur führen - und zu Schmerzen. Aber auch Übergewicht und Verschleißerscheinungen zählen dazu. Früher lautete der ärztliche Rat: Schonung, Bettruhe und Stufenlagerung, häufig bis zu vier Wochen. Heute weiß man, dass sich damit die Beschwerden sogar verschlimmern können - im schlimmsten Fall werden die Schmerzen chronisch. Deshalb sollten sich Rückenpatienten im Akutfall zwar durchaus kurzfristig schonen. Sobald es die Schmerzen zulassen, heißt es jedoch: So gut wie möglich weiter bewegen, zurück zum normalen Bewegungsablauf finden und langsam wieder den Alltagstätigkeiten nachgehen.
Zur Schmerzlinderung gibt es verschiedene Maßnahmen. Ruhe beispielsweise kann für einige Stunden oder wenige Tage sinnvoll sein. Wärme wirkt entspannend und fördert die Durchblutung. Dabei helfen Wärmflasche, Kirschkernkissen, Vollbad oder spezielle Pflaster und Packungen. Oft hilft auch die Stufenlagerung: Dazu legt man sich flach auf den Rücken und legt die Beine hoch, so dass Ober- und Unterschenkel einen rechten Winkel bilden. Das entlastet den Rücken und sorgt für Entspannung der betroffenen Muskelpartien. Auch vorsichtige Massagen können wohltuend wirken.
Auslöser Stress
Stress kann viele Probleme verursachen, auch Rückenschmerzen. Deshalb ist es wichtig, gezieltes Relaxen in den Alltag einzubauen. Entspannungsübungen wie einfache Atemübungen oder Meditation sind eine Wohltat für Körper und Geist. Hilfreich sind eine ruhige, warme und bequeme Umgebung sowie ausreichend Zeit. Die Übungen können in Rückenlage, Stufenlagerung oder im Sitzen durchgeführt werden. Ein einfaches Beispiel ist die Bauchatmung. Dazu atmet man in der gewählten Entspannungsposition ruhig und tief in den Bauch ein und aus. Die Hände ruhen auf dem Bauch in Nabelhöhe. Die ganze Aufmerksamkeit liegt bei der Atmung, die möglichst regelmäßig sein sollte.
Beim Beobachten des Atemvorgangs und Verfolgen des Luftstroms durch den Körper entspannt sich die Muskulatur, und der Geist wird beruhigt. Durch die tiefe Atmung gelangt frischer Sauerstoff in den Organismus, Stoffwechsel und Durchblutung werden angekurbelt. Der Atem ist auch die Verbindung zwischen dem somatischen und dem vegetativen Nervensystem. Das somatische Nervensystem steuert bewusst ablaufende Körperfunktionen wie gezielte Bewegungen. Das vegetative Nervensystem ist für unbewusst ablaufende Körperfunktionen wie den Herzschlag zuständig. Spezielle Techniken wie die Progressive Muskelentspannung nach Jacobson führen zu einem Entspannungszustand im ganzen Körper, der Muskelverspannungen und Schmerzen lindern kann.
Professor Siepe rät zu mehr Aktivität im Alltag: „Bewegung gehört zwingend zu einem gesunden Lebensstil dazu. Eine sitzende berufliche Tätigkeit ohne Ausgleich ist denkbar schlecht für den Rücken. Da helfen schon kleine Dinge wie Treppe statt Aufzug, Fahrrad statt Auto, eine Station früher aus dem Bus steigen und den Rest zu Fuß gehen.“ Grundsätzlich gebe es keine falsche Bewegung für den Rücken, schon 20 bis 30 Minuten täglich würden viel bewirken. „Wichtig ist, eine Sportart zu finden, die Spaß macht und der man regelmäßig nachgeht. Und natürlich ein gesundes Körpergewicht.“ Als besonders rückenfreundliche Sportarten gelten Nordic Walking, Aqua-Fitness und Tanzen. Und jede Form von Rückengymnastik: Einfache Dehn- und Kräftigungsübungen helfen bei Schmerzen und tragen zur Prävention bei. Mit täglich zehn Minuten Training lassen sich viele Probleme vermeiden. Vom Holzhacker“ beispielsweise profitiert der ganze Rücken: Im aufrechten Sitz die Oberarme seitlich am Brustkorb anlegen, die Unterarme zeigen im rechten Winkel nach vorne und führen kurze, hackende Auf- und Abbewegungen aus. Die„diagonale Katze“ trainiert nicht nur den Rücken: Im Vierfüßler-Stand (auf Händen und Knien) ein Bein und den Gegenarm parallel zum Boden ausstrecken und für einige Atemzüge halten. Es folgt die andere Seite. Der Nacken ist dabei lang und entspannt, der Blick geht zum Boden. Danach Knie und Ellbogen diagonal unter dem Körper zusammenführen und wieder strecken, etwa fünf Mal pro Seite.
Wann zum Arzt?
„Nicht jeder Hexenschuss muss gleich zum Arzt“, erklärt Professor Siepe, „aber wenn sich die Schmerzen nach einigen Tagen trotz Ruhe und Hausmitteln nicht bessern, muss abgeklärt werden, worum es geht.“ Wenn jedoch die Rückenschmerzen sehr stark sind und auch Beinschmerzen, oder gar Lähmungserscheinungen oder Taubheitsgefühle in Händen, Armen oder Beinen oder Unterleib auftreten, heißt es: Sofort zum Arzt! Das gilt auch bei schlechtem Allgemeinbefinden oder Fieber.
Silvia Schwendtner
Erschienen im Tagesspiegel am 12.07.2024