Beginnt die PK im Darm?
Die faszinierende Welt des menschlichen Körpers offenbart immer wieder neue Geheimnisse, die unser Verständnis von Gesundheit und Krankheit grundlegend verändern. Eine der spannendsten Beobachtungen der vergangenen Jahre ist, wie intensiv der Darm und das Gehirn miteinander kommunizieren. Diese bidirektionale Kommunikation, vergleichbar mit Highways bestehend aus Gefäßen und Nerven und als Darm-Gehirn-Achse bezeichnet, spielt eine entscheidende Rolle für unser Wohlbefinden und unsere Gesundheit. Erstaunlicherweise hat sich gezeigt, dass unser Darm, der oft nur als „Verdauungshohlorgan“ betrachtet wird, tatsächlich ein „zweites Gehirn“ ist, welches unsere Stimmung, unser Verhalten und sogar unser Risiko für die Entstehung und den Verlauf unterschiedlicher Krankheiten, so auch des Gehirns, entscheidend beeinflussen kann. Der Volksmund spricht nicht umsonst: „Alles geht durch den Magen.“ Ein besonders spannendes Beispiel für die Bedeutung der Darm-Gehirn-Kommunikation liegt möglicherweise bei der Parkinson-Krankheit (PK) vor. Bei Betroffenen treten Symptome im Verdauungssystem wie Völlegefühl, Übelkeit oder Obstipation sehr häufig bereits bis zu zehn Jahre früher auf als die ersten für die PK typischen Symptome wie Bewegungsverlangsamung, Muskelsteifigkeit oder Zittern bemerkt werden. Diese zeitliche Abfolge der Symptome, die bereits vor dem Beginn sowie auch im Frühstadium der PK beobachtet werden, legt die Vermutung nahe, dass der Darm eine wichtige Rolle bei der Krankheitsentstehung spielen könnte. Solche Zusammenhänge führten zur Annahme, dass die PK im Darm beginnt („body first“-Hypothese) und sich vom Darm aus in das Gehirn ausbreitet. Ein Erklärungsmodell geht noch einen Schritt weiter und postuliert, dass es bei der PK zu Veränderungen in der Zusammensetzung von Darmbakterien (Gesamtheit der Bakterien, Synonym Mikrobiom) bzw. des bakteriellen Stoffwechsels kommt und die damit verbundene entzündliche Veränderung in der Darmschleimhaut eine Initialzündung für die PK darstellen könnte. Die gemeinsame Forschung von klinischen wie experimentellen Gastroenterologen und Neurologen am Standort Erlangen konzentriert sich nun darauf, besser zu verstehen, welche Bakterien im Darm zur Entstehung der PK beitragen können und wie ihre Stoffwechselprodukte (alternative Botenstoffe) zuerst das Darmnervensystem oder über den Blutkreislauf das Gehirn schädigen können.
Die Erforschung der Darm-Gehirn-Achse bei der PK

Diesen innovativen Konzepten widmet sich die neu eingerichtete klinische Forschungsgruppe „Schaltstellen der Darm-Gehirn-Kommunikation bei entzündlichen und neurodegenerativen Erkrankungen“ (GB.Com) unter der Leitung von Prof. Dr. Claudia Günther, FAU-Professur für Gastrointestinale Pathophysiologie, und Sprecherin Prof. Dr. Beate Winner, Neurobiologin und Leiterin der Stammzellbiologischen Abteilung des Uniklinikums Erlangen. Elementar für das junge Forschungsfeld ist nicht nur die enge Zusammenarbeit zwischen Neurologen und Gastroenterologen, sondern auch die Integration von weiteren Disziplinen aus Medizininformatik, Bildgebung und Medizintechnik.
Das Ziel dieser Forschungsgruppe ist es, ein tieferes Verständnis der Mechanismen zu entwickeln, die der Interaktion zwischen Darm und Gehirn zugrunde liegen und wie diese unsere Gesundheit beeinflussen können. Das Verständnis dieser komplexen Interaktionen könnte zu innovativen, bahnbrechenden Therapien führen, die auf die Modulation des Darmmikrobioms abzielen, um neurologische Erkrankungen wie die PK bereits in ihrer Entstehung zu verhindern oder in ihrem Verlauf positiv zu verändern. Dies würde einen Paradigmenwechsel in der Behandlung der PK darstellen: weg von traditionellen medikamentösen Therapien hin zu einer ganzheitlichen Betrachtungsweise, die Ernährung, Lebensstil und möglicherweise probiotische Interventionen einbezieht. Die DFG-geförderte Klinische Forschungsgruppe (KFO 5024) steht dabei mit einer ersten Förderung in Höhe von über 7 Mio. Euro an der Spitze dieser aufregenden Entwicklungen. Ihre Arbeit verspricht, in den kommenden Jahren unser Verständnis der Darm-Gehirn-Kommunikation genauer zu definieren und die Schaltstellen dieser Kommunikation zu entschlüsseln. Auf dieser Grundlage könnten die Forscherinnen und Forscher den Weg für innovative Ansätze zur Behandlung der PK ebnen. Kurz gesagt: Sie verfolgen einen äußerst vielversprechenden, neuen Behandlungsansatz, der das Leben von Millionen von Betroffenen weltweit verbessern könnte.
Innovatives digitales Versorgungsmodell bei der Parkinson-Krankheit in der Klinik angekommen
Betroffene mit der PK stehen vor vielen Herausforderungen im Alltagsleben. Eine sich langsam reduzierende Bewegungsfähigkeit, Stürze oder Freezing (ein Einfrieren beim Gehen) sind ständige Begleiter dieser Erkrankung, die derzeit in Deutschland etwa 400.000 Menschen betrifft. Die PK ist nach der Alzheimer-Krankheit die zweithäufigste neurodegenerative Erkrankung weltweit. Aufgrund steigender Lebenserwartung geht man davon aus, dass sich die Patientenzahlen im kommenden Jahrzehnt weltweit verdoppeln.
Mehr Beweglichkeit und Sicherheit im Alltag
Biomarker sind in aller Munde, wenn es um Früherkennung, Verlauf oder Therapieerfolg bei chronischen Erkrankungen geht und haben so Einzug in der Onkologie oder bei neurologischen Erkrankungen gehalten. Im Allgemeinen verbinden Erkrankte damit Marker, die aus dem Blut oder anderen Körperflüssigkeiten bzw. Geweben gewonnen werden. Digitale Biomarker beziehen sich nun auf die Erfassung physikalischer Größen, die mit einer hochkomplexen Medizintechnik am Betroffenen gewonnen werden können. Zusammen mit Ingenieuren, Datenwissenschaftlern und KI-Experten wurde in der Sprechstunde der Molekularen Neurologie für Bewegungserkrankungen am Uniklinikum Erlangen (Prof. Dr. Jürgen Winkler/ Leiter und PD Dr. Martin Regensburger) in enger Zusammenarbeit mit einem in Erlangen ansässigen Start-up-Unternehmen in den vergangenen Jahren mit ParkinsonGo TM (Tele Monitoring) ein innovatives digitales Versorgungskonzept für Parkinson-Erkrankte entwickelt, in zahlreichen Studien erprobt und nun in die klinische Versorgung überführt. ParkinsonGo TM setzt auf einen hybriden Versorgungsansatz: Dieser besteht aus einer Kombination aus Kl-gestützter Ganganalyse und intensiver Betreuung durch speziell ausgebildete Parkinson-Telenurses. Ziel ist es, durch digital-unterstützte Technologien und Fern-Monitoring den Krankheitsverlauf zu verlangsamen, die Mobilität und die Selbstständigkeit zu erhalten sowie die Lebensqualität von Betroffenen zu verbessern.
Dazu tragen die Patientinnen und Patienten kleine Bewegungssensoren an ihren Schuhen. Eine Smartphone-App analysiert die Gangqualität und erfasst Symptommuster (z. B. Unterbeweglichkeit) und alltägliche Herausforderungen. Intelligente Algorithmen leiten daraus personalisierte, von Sportwissenschaftlern entwickelte Handlungsempfehlungen (leitender Sportwissenschaftler: PD Dr. Heiko Gassner) ab, darunter gezielte physiotherapeutische Übungen sowie Tipps zum Umgang mit der Erkrankung. ParkinsonGo TM fördert somit die Beweglichkeit und die Sicherheit der Betroffenen im täglichen Leben.
Optimierte Therapieplanung für Neurologen

Für die behandelnden Neurologinnen und Neurologen besteht der Mehrwert von Parkinson Go TM vor allem in der Unterstützung der Therapieplanung. Über die enge Zusammenarbeit mit den Parkinson-Telenurses sowie über ein sicheres Webportal erhalten die Ärztinnen und Ärzte einen präzisen und individuellen Einblick in Gangqualität, Symptommuster und Wohlbefinden, die den Gesundheitszustand ihrer Patientinnen und Patienten im Alltag auf einen Blick widerspiegeln. Diese Informationen ermöglichen eine objektive Darstellung des Krankheitsverlaufes und der therapeutischen Wirkung, wodurch eine schnellere, zielgerichtete und individualisierte Anpassung der Therapie an das sich teils rasch ändernde motorische Profil ermöglicht wird.
Versorgungsmodell der Zukunft
ParkinsonGo TM ist seit Januar 2024 mit der Erstattung durch Krankenkassen in der Versorgung angekommen. Mit dem dahinterstehenden Medizinprodukthersteller Portabiles Health Care Technologies und dem Lehrstuhl für Maschinelles Lernen und Datenanalytik der FAU (Prof. Dr. Björn Eskofier) forscht das Uniklinikum Erlangen derzeit an der Vorhersage des individuellen Sturzrisikos sowie an der Vermeidung von Freezing-Episoden mittels Kl. Für chronische Erkrankungen wie die PK besteht die Zukunft der Versorgung aus derartigen hybriden Modellen. Dabei werden digitale Technologien und persönliche Tele-Betreuung angewandt, um Patientinnen und Patienten sowie deren Angehörige durch ein gezieltes und individualisiertes Management zu unterstützen.
Team des Deutschen Zentrums Immuntherapie (DZI)
des Uniklinikums Erlangen und der Friedrich-Alexander-Universität
Erlangen-Nürnberg (FAU):
Prof. Dr. Beate Winner, Prof. Dr. Björn Eskofier,
Prof. Dr. Claudia Günther, PD Dr. Heiko Gassner,
Prof. Dr. Jürgen Winkler, PD Dr. Martin Regensburger
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Erschienen im Tagesspiegel am 11.04.2024