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Prof. Dr. med. Ursula Peschers und Dr. med. Annette Heine: Wenn die Blase laufend den Alltag bestimmt

Foto: Freepik

Trotz der hohen Zahl an Frauen und Männern, die darunter leiden, ist Harninkontinenz immer noch ein Tabuthema. Viele trauen sich nicht damit zum Arzt, leiden still vor sich hin. Dabei gibt es Hilfe, denn Harninkontinenz ist in der Regel sehr gut therapierbar. Viele moderne Behandlungsansätze führen zum Ziel, den Betroffenen wieder einen normalen Alltag ohne Einschränkungen und Schamgefühle zu ermöglichen. Aber wie behandelt der Urologe Betroffene, was für Möglichkeiten gibt es und muss man am Ende doch unter das Messer? Fragen an Prof. Dr. med. Ursula Peschers vom Bayerischen Beckenbodenzentrum des Isarklinikums in München und Dr. med. Annette Heine von der urologischen Praxis in Gröbenzell.

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Prof. Dr. med. Ursula Peschers und Dr. med. Annette Heine: Wenn die Blase laufend den Alltag bestimmt

Volkskrankheit Harninkontinenz: Therapieansätze und Behandlungsmöglichkeiten - Expertenrat im Interview.

Frau Prof. Dr. med. Peschers welche Arten von Harninkontinenz gibt es eigentlich?

Es gibt mehrere Arten, aber zwei sind besonders häufig. Wer etwa beim Lachen, Niesen, Husten oder Heben plötzlich Urin verliert, leidet an einer sogenannten Belastungs- oder Stressinkontinenz. Die Blase verliert in diesen Fällen also Urin, wenn Druck auf sie ausgeübt wird. Bei der Dranginkontinenz hat man hingegen plötzlich ganz dringend das Gefühl, zur Toilette zu müssen. Oft schafft man es dann nicht mehr rechtzeitig. Sehr unangenehm für Betroffene ist, dass diese beiden Arten der Inkontinenz häufig gemeinsam auftreten, wir sprechen dann von gemischter Inkontinenz.

Aber was ist die Ursache dafür, dass Betroffene den Urin nicht mehr halten können?

Da gibt es viele und ich möchte an dieser Stelle nur die gängigsten ansprechen. Den Begriff Beckenboden haben sicherlich schon die meisten gehört. Ganz vereinfacht gesagt, ist das ein anderes Wort für das Muskelsystem unter unserer Blase. Der Beckenboden sorgt dafür, dass wir das Entleeren der Blase steuern können. Ist dieses System geschwächt - etwa durch chronischen Dauerhusten, eine Schwangerschaft, Übergewicht, Operationen an Blase oder Prostata oder einfach das Alter der Patienten - kann es die Blase nicht mehr so gut unterstützen. Das ist die klassische Ursache einer Belastungsinkontinenz.

Und wie entsteht eine Dranginkontinenz?

Häufige Ursachen sind etwa Infektionen der Blase oder des Harnwegs, Blasensteine oder Tumore in der Blase. Bei Männern entsteht sie häufig durch eine vergrößerte Prostata. Aber auch hier gibt es wieder viele weitere mögliche Auslöser, von Nervenschädigungen über falsche Ernährung bis hin zum Reizdarmsyndrom.

Frau Dr. med. Heine eine Inkontinenz kann viele verschiedene Auslöser haben - gibt es ebenso viele Therapieformen?

Allerdings. Das reicht vom gezielten Training des Beckenbodens über medikamentöse Therapiemöglichkeiten bis hin zu modernen Therapien wie digitale Gesundheitsanwendungen, Laser- oder Wasserdampf-Behandlungen. Operiert wird nur in schweren Fällen.

Und die Behandlungsmethode hängt sicherlich vom individuellen Krankheitsbild ab?

Ganz genau. Durch die verschiedenen Inkontinenzarten und all die Dinge, die wir Urologen dagegen tun können, kann man das Thema nicht einfach in einem Interview wie diesem vollumfänglich behandeln. Da kommt es immer auf den einzelnen Patienten und seine Geschichte an. Diese muss jedoch zuallererst einmal unser Gehör finden.

Wie meinen Sie das?

Wie ich es sage. Die Patienten müssen es zunächst zu uns in die Praxis schaffen. Denn das ist für Viele eine der größten Hürden auf ihrem Weg, diese lästige, alltagseinschränkende Krankheit zu bekämpfen. Das Thema Wasserlassen ist immer noch sehr schambehaftet.

Sie sagen also, dass viele Menschen sich lieber irgendwie mit dieser großen Einschränkung ihrer Lebensqualität arrangieren, als einem Urologen davon zu erzählen?

Leider ja. Das ist übertragen so, als würde man mit einem gebrochenen Arm durch die Gegend laufen, den man selbst notdürftig geschient hat, weil einem der Besuch beim Arzt unangenehm ist. Das würde niemand tun. Daher noch einmal ganz klar: Niemand, der sein Wasser nicht richtig halten kann, muss mit diesem Problem leben. Wir können in der Regel jedem Patienten helfen und die Menschen meist sogar wieder völlig beschwerdefrei machen. Und noch ein Wort zum Thema Scham: Wir als Urologen befassen uns jeden Tag mit Geschlechtsorganen, Urin, Inkontinenz, Erektionen, Sexualität - das ist für uns das Normalste auf der Welt. Es ist einfach unser Beruf.

Frau Prof. Dr. med. Peschers der Leidensdruck bei Betroffenen ist oft hoch. Man wird ja sozusagen von seinem Problem bestimmt und muss den gesamten Alltag darauf einstellen, etwa immer Wechselklamotten mitführen, Einlagen tragen oder schlicht Schmerzen erleiden. Gibt es weitere Einschränkungen bei Inkontinenz, die Vielen nicht so bekannt sind?

Die Psyche ist ein nicht zu unterschätzender Faktor. Sie leidet oft bei den Betroffenen. Im sozialen Leben ziehen sie sich zurück, fühlen sich minderwertig, hadern oft still mit ihrem Schicksal. Eine weitere Komponente ist, dass häufig auch das Sexualleben leidet. Alleine die Angst, im Bett Wasser zu verlieren, ist für viele schon Lustkiller Nummer Eins. Oft kommen Schmerzen beim Verkehr hinzu. All das lässt sich mit einer individuell zugeschnittenen Behandlung abschalten.

Wo können Interessierte weiterführende Informationen zum Thema finden?

Interessierte finden auf unserer Website beckenbodenzentrum.isarklinikum.de bzw. urologie-groebenzell.de tiefergehende Informationen zur Harninkontinenz und deren Behandlung. Dort kann man auch mit nur einem Klick direkt einen Termin zur Sprechstunde bei unseren spezialisierten Experten zu diesem Leiden vereinbaren.

Er­schie­nen im Ta­ges­spie­gel am 17.05.2024

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