In den Nachkriegsjahren hat es sich der SZ-Adventskalender zur Aufgabe gemacht, dort in München und der Region zu helfen, wo die Not am größten ist: Damals fehlte es vielen Menschen an warmer Kleidung und an Lebensmitteln. Auch heute noch bildet Einzelfallhilfe einen Schwerpunkt. Das dokumentieren die jährlich rund 3000 Lebensmittelpakete und die 1500 Lebensmitteltaschen, die vor allem an alte Menschen und Alleinerziehende mit geringem Einkommen verteilt werden, sowie die rund 900 mit nützlichen Dingen gefüllten Rucksäcke für Obdachlose.
Dazu kommen Einkaufsgutscheine, die eine schnelle Hilfe in Notlagen ermöglichen, aber auch die Einzelvergaben: Damit erhalten Menschen wichtige Unterstützung, um Betten, Möbel und Haushaltsgeräte zu ersetzen. Seit die Kosten für Brillen für Erwachsene nicht einmal mehr teilweise von der gesetzlichen Krankenversicherung übernommen werden, sind alte Menschen häufig nicht in der Lage, sich eine dringend benötigte Sehhilfe von ihrer kleinen Rente zu finanzieren. Neben der unmittelbaren Hilfe schließt der Adventskalender inzwischen auch Lücken in der sozialen Versorgung.
Ein gutes Beispiel dafür ist das Projekt „Zuhause gesund werden“ des Vereins für Fraueninteressen, das berufstätige Eltern unterstützt, wenn die Kinder krank werden. Es schickt kurzfristig ehrenamtliche Helferinnen, wenn die Eltern eines kranken Kindes nicht zu Hause bleiben können, weil sie befürchten, sonst ihren Job zu verlieren. Mit einer Anschubfinanzierung des Adventskalenders von knapp 20 000 Euro 1989 gestartet, wurde es wegen des Erfolgs dann weiter von der Stadt finanziert - und zum Vorbild für viele ähnliche Initiativen in anderen Städten.
Menschen, die mit wenig Geld auskommen müssen, sind meist nicht in der Lage, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Der Besuch im Café, im Kino, im Zoo, die Mitgliedschaft im Verein - alles kostet. Die schlechte finanzielle Lage versperrt den Zugang zu Erlebnissen und Erfahrungen in der Gemeinschaft - sei es bei dem Mittagstisch in der Schule, dem Sport im Verein, dem Musizieren oder dem Ausflug in der Gruppe.
Schülerlunch
Nicht nur in den Mangeljahren nach dem Krieg litten viele Kinder Hunger. 1947 wurde die kostenlose Schulspeisung eingeführt. Als sich die Lage besserte. 60 Jahre später, 2007, aber erlebte die Schulspeisung für Kinder aus Familien mit geringem Einkommen in München eine Neuauflage. Denn nach den Hartz-IV-Gesetzen, die 2005 in Kraft getreten waren, hatte sich gezeigt, dass Langzeitarbeitslose oft nicht in der Lage waren, die Schulmahlzeit zu bezahlen. So blieben ihre Kinder ausgeschlossen von der gemeinsamen Mahlzeit, aber auch von der Nachmittagsbetreuung, die mit dem Mittagessen beginnt.
Mithilfe einer Erbschaft startete der SZ-Adventskalender deshalb im Jahr 2007 die Aktion „Schülerlunch“, um fünf Jahre lang jeweils etwa 1000 Kinder aus bedürftigen Familien mit einem Mittagessen zu versorgen. Der damalige Sozialreferent Friedrich Graffe sah darin eine „Initialzündung, um Kindern in schwieriger Perspektive zu helfen“. Dem Projekt verschafften der damalige OB Christian Ude und die damalige Regionalbischöfin Susanne Breit-Keßler weiteren Rückenwind; Unterstützung kam auch von der Stadtsparkasse.
Das erhöhte den Druck auf die Politik. Der Freistaat und die Landeshauptstadt sprangen mit ein. Auf diese Weise konnte der Adventskalender im Schuljahr 2010/11 mehr als 3200 Kindern die gemeinsame Mahlzeit sichern. Schließlich übernahm der Bund im April 2011 mit dem Bildungs- und Teilhabepaket für Kinder aus armen Haushalten die Kosten.
Sport für alle Kinder
Sport ist nicht nur gesund, sondern lässt auch Gemeinschaft erleben, schafft Freundschaften und formt Teamgeist. Die umfangreichen Angebote der Vereine sind günstig - und dennoch für Familien mit kleinem Einkommen zu teuer.
Der Adventskalender startete deshalb 2009 gemeinsam mit dem Münchner Sportamt die Initiative „Sport für alle Kinder“, die, unterstützt auch von der Stadtsparkasse, etwa 1000 Kinder in die Sportvereine brachte - und damit eine weitere Leistung des Bildungs- und Teilhabepakets vorwegnahm: Das sah für Vereinsmitgliedschaften, Musikunterricht und andere Freizeitangebote maximal zehn Euro pro Monat vor. Das reichte nicht für jede Sportart, deshalb ergänzt „Sport für alle Kinder“ die staatliche Leistung und übernimmt die Ausrüstungskosten, damit der Gang zum Fußballtraining nicht an den fehlenden Stollenschuhen scheitert.
Außerdem unterstützt der Adventskalender Sportangebote wie das Straßenfußballprojekt „Bunt kickt gut“, das nicht nur eine gesunde Freizeitbeschäftigung bietet, sondern auch zur Verständigung zwischen unterschiedlichen Kulturen und Nationalitäten beiträgt.
Musik für alle Kinder
Das Projekt wurde 2009 vom Hilfswerk der SZ-Leser gemeinsam mit dem BR-Symphonieorchester unter Leitung von Mariss Jansons gestartet, um Kindern ärmerer Familien die Teilnahme an Musikprojekten zu ermöglichen, Unterrichtsstunden zu bezahlen oder beim Kauf von Instrumenten zu helfen. Auch den inklusiven Gospelchor Oh Happy Day unterstützten SZ-Leser, ein Projekt der Caritas, das mehr als 150 Sänger mit und ohne Behinderung zusammenbringt.
Freizeit
Kinder aus Familien mit geringem Einkommen kommen selten aus ihrem Stadtviertel heraus. Zwar gibt es in der Großstadt und deren Umland auch vieles, was Daheimgebliebenen schöne Ferienerlebnisse bescheren kann: Tierpark, Freibäder, Museen. Aber München zu entdecken, kann für Familien ziemlich teuer werden.
Längst ist deshalb der Münchner Ferienpass ein Verkaufsschlager nicht nur in der Stadt, sondern auch in vielen Umlandgemeinden. Gerade die kostenfreien Angebote - unter anderem zwei Tierparkbesuche - erfreuen sich großer Beliebtheit. In den Pfingst- und Sommerferien ist der Eintritt in die städtischen Freibäder beliebig oft frei. Außerdem sind Kinder und Jugendliche von sechs bis einschließlich 14 Jahren in den Sommerferien zur kostenlosen MVV-Nutzung im gesamten Tarifgebiet berechtigt.
Für Kinder bis 14 Jahre kostet der Ferienpass 14 Euro - für Haushalte, die knapp bei Kasse sind, zählt dieser Posten nicht zu den wichtigsten Ausgaben. Seit vielen Jahren schon finanziert der SZ-Adventskalender für Familien mit geringen Einkommen Ferienpässe. „Gemeinsam durch die Stadt“ lautet das Motto für Eltern und Kinder auch dank der von Spenden finanzierten Familienpässe, die viele Gutscheine und Ermäßigungen für die gemeinsame Freizeitgestaltung erhalten.
Damit Kinder mit Behinderungen, Kinder, die in Heimen untergebracht sind, ebenso wie Erwachsene mit Behinderungen oder psychischen Erkrankungen die Chance auf ein paar unbeschwerte Tage haben, übernimmt der SZ-Adventskalender für sie auch Teilnehmergebühren für Ferienfreizeiten. So können ältere Menschen mit Behinderungen eine Reise unternehmen, die sie sich von ihrer Rente nicht leisten könnten.
Psychisch kranke Menschen verbringen eine Woche Urlaub in einem Selbstversorgerhaus, um Woche Abstand zum gewohnten Alltag zu bekommen. Auch alte Menschen, die im Pflegeheim leben, lässt der Adventskalender am Leben teilhaben, vermittelt Konzerte und kleine Ausflüge, so etwa mit der Fahrrad-Rikscha.
Um Menschen in sehr schwierigen Lebenssituationen kümmert sich der Adventskalender ebenso und versucht, Krankheit und Behinderung erträglicher zu machen. So konnte dank Spenden in Höhe von rund 100 000 Euro 1997 der Katholische Männerfürsorgeverein zusammen mit den Barmherzigen Brüdern das „Obdachlosen mobil“, eine rollende Arztpraxis, durch München fahren lassen, um Menschen, die auf der Straße leben, medizinisch zu versorgen. Inzwischen umbenannt in Münchner Straßenambulanz, gelingt es den Helfern immer wieder, über den Kontakt Vertrauen aufzubauen und Menschen von der Straße zu holen.
Der Adventskalender hat dabei geholfen, in Pflegeheimen eine zeitgemäße, ansprechende Gestaltung von Wohnräumen oder die Nutzung von Gartenbereichen zu ermöglichen, Fahrzeuge für soziale Einrichtungen zu finanzieren oder den Garten einer integrativen Krippe, wie etwa in Unterhaching, anregend mit Barfußweg und Wassertisch zu gestalten. Auch bei der Ausstattung des 2016 eröffneten Kinderpalliativzentrum des Klinikums Großhadern mit einem wohnlichen Ambiente halfen die Leserinnen und Leser mit mehr als 250 000 Euro.
Von Sven Loerzer
Helfen über den Tod hinaus
Die Stiftung der SZ Leser.
Gute Werke stehen für den Zusammenhalt einer Gesellschaft, mit ihrem Engagement für andere Menschen zeigen SZ-Leserinnen und SZ-Leser alljährlich aufs Neue, dass sie die Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich nicht hinnehmen wollen. Vielen ist wichtig, dass der Gedanke des Eintretens füreinander auch nach dem eigenen Tod weiterlebt. In den letzten Jahrzehnten hat das Spendenhilfswerk deshalb immer wieder Erbschaften und Vermächtnisse von alleinstehenden oder kinderlos verstorbenen Lesern und Leserinnen erhalten. Ohne das Millionenerbe eines kinderlosen Ehepaars wäre der Schülerlunch, der Kindern aus bedürftigen Familien die Teilnahme am Mittagessen in der Schule gesichert hat, nicht zu finanzieren gewesen, bis der Staat schließlich einsprang. Überzeugt habe die beiden laut Testamentsvollstrecker, „das jeder gespendete Euro die Empfänger direkt erreicht“.
Den Wunsch aus der Lesergemeinde der SZ, das Hilfswerk langfristig über den eigenen Tod hinaus zu unterstützen, hat vor mehr als einem Jahrzehnt die damalige Adventskalender-Geschäftsführerin Claudia Strasser aufgegriffen. Zu diesem Zweck wurde im Jahr 2009 die „Stiftung der SZ-Leser“ errichtet, sie ist von der Regierung von Oberbayern als rechtsfähige Stiftung des bürgerlichen Rechts anerkannt worden.
Stiftungsvorstand ist heute der Leiter des SZ-Lesermarkts, Mario Lauer, seine Stellvertreterin ist Sandra Geisler, die sich auch als geschäftsführende Vorständin um den Adventskalender kümmert.
Erbschaften und Vermächtnisse kommen regelmäßig vor
Zweck der Stiftung ist, Menschen zu unterstützen, die wegen ihres körperlichen, geistigen oder seelischen Zustands auf die Hilfe anderer angewiesen sind. Auch die Förderung kultureller Veranstaltungen gehört dazu. Als Grundstockvermögen hat der SZ-Adventskalender 58 000 Euro aus einer Erbschaft eingebracht. Durch weitere Zustiftungen und Erbschaften ist es auf rund 3,1 Millionen Euro angewachsen. Die Stiftung sollte die Hilfe des Adventskalenders unabhängiger von Schwankungen des Spendenaufkommens machen, eine Idee, die in den letzten Jahren unter der Niedrigzinsphase litt. Sie machte ganz allgemein den Stiftungen zu schaffen, zumal das Vermögen konservativ anzulegen ist, denn es muss erhalten bleiben.
Zustiftungen sind jederzeit möglich. So hat bereits zu Beginn ein SZ-Leser aus dem Landkreis Mühldorf/Inn 20 000 Euro gestiftet, weil er eine unverhoffte Erbschaft machte. München sei seine Vaterstadt gewesen, die lokale Hilfe dort und in der Region sei ihm wichtig, zumal er einige geförderte Projekte selber kenne. Das Geld sei somit „in guten Händen“. In ähnlicher Weise äußerte sich ein Pensionisten-Ehepaar sein Motiv für eine Zustiftung: „Es geht uns nicht darum, in der Zeitung zu erscheinen. Wir wollen einfach etwas tun für Leute, denen es nicht so gut geht wie uns.“
In den vergangenen 15 Jahren erhielt das Spendenhilfswerk alljährlich Erbschaften und Vermächtnisse in sehr unterschiedlicher Höhe, von etwa 20000 bis fast 2,8 Millionen Euro, die überwiegend an den Adventskalender gingen und daher unmittelbar in Hilfen für Bedürftige flossen. In der Regel erfährt das Hilfswerk erst durch das Nachlassgericht oder durch einen Testamentsvollstrecker davon, dass es von einem Leser oder einer Leserin zum Erben eingesetzt worden ist. Wie etwa bei einer 75-Jährigen, die 2013 starb. Die alleinstehende Frau, die ihre Mutter bis zu deren Tod zuhause gepflegt hat, vermachte ihr Einfamilienhaus aus den Dreißigerjahren dem Adventskalender - ein Millionenobjekt. Die Frau gehörte zu den treuen Spenderinnen, „es war ihr ein großes Anliegen, anderen Menschen zu helfen“, erzählte eine Nachbarin und Freundin.
Sven Loerzer
Erschienen im Tagesspiegel am 23.02.2024