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Strategien gegen den Pflegekräftemangel
Strategien gegen den Pflegekräftemangel

Pflegeschulen vermitteln neben Fachwissen auch Sprach-, Kommunikations- und Kulturkompetenzen mit Kl. Foto: Adobe Stock, gen. 

BILDUNG AKTUELL

Strategien gegen den Pflegekräftemangel

Pflegeschulen spielen eine Schlüsselrolle bei der Gewinnung neuer Arbeitskräfte aus dem In- und Ausland - dort wird sogar Dialekt und Umgangssprache gelehrt

Ende Mai schlug Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) im Bundestag Alarm. Der Grund: der Mangel an Pflegekräften, der in den kommenden Jahren exorbitant zunehmen wird. Das Statistische Bundesamt (Destatis) hatte dazu schon zu Jahresanfang beeindruckende Zahlen genannt: Demnach steigt der Bedarf an Pflegekräften von 2019 bis 2049 voraussichtlich um ein Drittel auf 2,15 Millionen. Laut der jüngsten Pflegekräftevorausberechnung liegt die erwartete Zahl an Pflegekräften im Jahr 2049 zwischen 280.000 und 690.000 unter dem erwarteten Bedarf, teilten die Statistik-Profis mit. Auch in Bayern sieht es nicht besser aus, weiß Gesundheitsministerin Judith Gerlach (CSU): Die Zahl pflegebedürftiger Menschen werde sich bis 2050 verdoppeln: von 580.000 auf 1,1 Millionen, sagte sie kürzlich.

Eine Schlüsselrolle bei der Deckung dieser Personallücke spielen alle Einrichtungen, die in Pflegeberufen ausbilden. Insbesondere Pflegeschulen, die etwa an große Kliniken angeschlossen und in der Lage sind, Pflegeberufsinteressierte aus anderen Ländern aufzunehmen. Denn eines ist klar: Ohne Zuzug lässt sich die Fachkräftelücke nicht schließen - ein Problem, das praktisch in allen Berufsfeldern zu finden ist. Nicht zuletzt, weil die geburtenstarken„Boomer-Jahrgänge“ in Rente gehen. „Der größte Babyboomer-Jahrgang 1964 wird im Jahr 2024 sechzig Jahre alt“, weiß die Destatis-Ökonomin Olga Pötzsch und sagt voraus: „Der Gipfel der sogenannten demografischen Welle erreicht somit Ende der 2020er-Jahre das Rentenalter.“

Das sind Zahlen, die seit langer Zeit bekannt sind und gegen die immer wieder Gegenmaßnahmen gestartet werden. Doch „Anwerbeaktionen“ führen bislang nicht zum erhofften Zustrom aus fernen Ländern. Eine der Ursachen: Die Beliebtheit Deutschlands als Einwanderungsland für Fachkräfte ist nicht gerade überwältigend. In der Studie„Expat Insider 2023 - Best & Worst Places for Expats“ des Netzwerks „Internations“ rangiert Deutschland auf Rang 49 von 53 gelisteten Ländern - auf den ersten beiden Plätzen finden sich übrigens Mexiko und Spanien. Die wichtigsten Vorbehalte lauten: Die hier lebenden ausländischen Fachkräfte finden die Deutschen unfreundlich: Es fehle an einer Willkommenskultur, Freunde zu finden, sei sehr schwierig. Mehr Erfolg haben wohl gezielte Maßnahmen, wie beispielsweise im ostbayerischen Raum. Etwa dank des Gesundheitscampus Bad Kötzting der Technischen Hochschule Deggendorf. Hier wurde in den Jahren von 2016 bis 2020 ein Konzept für die Aus- und Weiterbildung von Pflegekräften und Gesundheitsberufen im bayerisch-tschechischen Grenzraum entwickelt. 

Die Zielgruppe war Pflegepersonal mit einer im Ausland absolvierten Ausbildung oder mit einem Studium der Gesundheits- und Krankenpflege. Fachkräfte, die im Rahmen der Prüfung auf Gleichwertigkeit ihres Berufsabschlusses eine Prüfung oder einen Anpassungslehrgang vorweisen müssen. Für diesen Personenkreis entwickelten die Kötztinger ein Kurskonzept, das einen besonderen Schwerpunkt auf Sprach-, Kommunikations- und Kulturkompetenz legte. Eines der Lernmodule beinhaltete bayerischen Dialekt und Umgangssprache, denn die Pflegepersonen mit Migrationshintergrund“ hätten mit Verständnisprobleme zu kämpfen, nicht nur sprachlicher, sondern auch kultureller Art, wie es im Abschlussbericht des Projekts heißt. Ein weiteres Modul beschäftigte sich mit „pflegespezifischem Deutsch“, da in den üblichen Anfängerkursen „Deutsch als Fremdsprache“ nicht einmal Pflegealltags-Vokabeln wie „Zahnbürste“ oder „Nachtschränkchen“ vorkämen.

Diese besondere Hinwendung machte Schule. So bietet etwa die Berufsakademie Passau heuer schon zum sechsten Mal eine „Vorklasse für Pflegeberufe“ an - ursprünglich ein Modellversuch des Bayerischen Kultusministeriums, der bis 2020 begrenzt war, sich inzwischen aber wegen des Bedarfs und des Erfolgs verstetigt hat; zumindest in den grenznahen Regionen Ostbayerns. Diese „Vorklasse“ ist auf Pflegeberufsinteressentierte aus dem Ausland zugeschnitten, darunter Asylbewerberinnen und -bewerber, Flüchtlinge sowie Migrantinnen und Migranten. Dass die Pflegeschule Passau ebenfalls auf „Vorklassen“ setzt, ist daher nicht überraschend. Die einjährige Ausbildung schließt neben intensivem Sprachunterricht auch zwei jeweils dreiwöchige Praktika in Pflegeeinrichtungen ein. „In der fundierten Berufsvorbereitung für den Pflegeberuf werden zudem wichtige Themen der gesellschaftlichen Integration behandelt“, heißt es auf der Homepage der Pflegeschule Passau. Zum Ausbildungsverbund zählen rund 70 Einrichtungen aus der Region, darunter namhafte Träger wie AWO, BRK und Caritas. Die Passauer Pflegeschule wie die Passauer Pflegeakademie bieten auch im kommenden Schuljahr Vorklassen an. In unmittelbarer Nähe der beiden Einrichtungen ist die Berufsfachschule für Pflege am Klinikum Passau beheimatet. Sie fungiert zum einen als klassische Ausbildungseinrichtung für Pflegeberufe, bietet zum anderen aber auch einen „Plan B“ für Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger an. Dank dieses Plans qualifiziere man sich binnen drei Jahren Umschulung zur professionellen Fachkraft, schreiben die Klinik-Pflegeprofis auf ihrer Internetseite. Ausbildung und Praxis gehen am Passauer Klinikum Hand in Hand. Ein Blick auf die offenen Stellen zeigt, dass erfolgreiche Umschulende nicht lange nach einem Job suchen müssen.

Dass in Ostbayern sehr viel in Sachen Pflegekräfte-Suche getan wird, hat womöglich auch mit der engen Kooperation in der „Bio Regio Regensburg“ zu tun, ein von der EU zertifizierter Biotechnologie-Cluster mit zwei Dutzend Standorten in Niederbayern und der Oberpfalz. Doch nicht nur (ost-)bayerische Institutionen kümmern sich um die Behebung des Pflegekräftemangels, wie ein Beispiel aus Niedersachsen zeigt: der luvare Pflegecampus in Petershagen, ein sogenanntes Pflegeinternat. Dort werden gezielt ausländische Fachkräfte für die Qualifikationsprüfungen durch deutsche Stellen vorbereitet. Die luvare Unternehmensgruppe verfügt selbst über acht Pflege- und Betreungshäuser sowie zahlreiche ambulante Zweigstellen, die ständig nach Fachkräften suchen.                             Horst Krame

Er­schie­nen im Ta­ges­spie­gel am 21.06.2024

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