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Sibylle Krafft im Interveiw: Ein Zuhause für einen Ort mit viel Geschichte

DAS 700 QUADRATMETER UMFASSENDE GEBÄUDE BIETET MIT SEINEN DIVERSEN AUSSTELLUNGSBEREICHEN TIEFE EINBLICKE IN DIE VIELSCHICHTIGE VERGANGENHEIT VON WALDRAM. FOTOS: FRANZISKA HORN

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Sibylle Krafft im Interveiw: Ein Zuhause für einen Ort mit viel Geschichte

Rettung des historischen Badehauses in Waldram, Umwandlung in ein Museum zur regionalen Geschichte und Auszeichnung mit dem Bundesverdienstkreuz 2024 für Denkmalschutz

Es gibt hier Geschichten über Geschichten“, sagt Sybille Krafft auf dem Vorplatz des Erinnerungsorts Badehaus in Waldram, einem Ortsteil von Wolfratshausen südlich von München. Mehrere Jahrzehnte „deutsche Geschichte wie unter dem Brennglas“ hat sie mit ihrem Team hier erforscht und aufgedeckt. Sie erzählt: „,2012 haben wir begonnen, um das alte Haus zu kämpfen, da es abgerissen werden sollte. Kaum einer hier aus dem 3000-Einwohner-Ort Waldram wusste noch von dessen Vergangenheit: 1939 war das Badehaus für die männlichen Zwangsarbeiter der nahen Munitionsfabriken errichtet worden, als Teil des vom NS-Regime geplanten Lagers Föhrenwald. 

SIE IST PROMOVIERTE HISTORIKERIN, JOURNALISTIN, MUSEUMSGRÜNDERIN, ALTBAU-EXPERTIN: FÜR IHR ENGAGEMENT ERHIELT SYBILLE KRAFFT IM JAHR 2024 DAS BUNDESVERDIENSTKREUZ.
SIE IST PROMOVIERTE HISTORIKERIN, JOURNALISTIN, MUSEUMSGRÜNDERIN, ALTBAU-EXPERTIN: FÜR IHR ENGAGEMENT ERHIELT SYBILLE KRAFFT IM JAHR 2024 DAS BUNDESVERDIENSTKREUZ.

Später, nach Ende des Zweiten Weltkriegs, diente Föhrenwald als Auffanglager für ,Displaced Persons', für Heimatlose also. Zwischenzeitlich lebten an die 10.000 Überlebende der Schoah im Camp, bevor das Lager 1957 ans Katholische Siedlungswerk verkauft und geräumt wurde.“ Die neuen Eigentümer schütteten die in den Nachkriegsjahren im Keller eingerichtete „Mikwe“ zu, wie das jüdische Tauchbad für die rituelle Reinigung heißt. Auch die Namensgebung unterlag dem Wandel: Aus dem Föhrenwald der NS-Zeit entstand nach Kriegsende das jüdische Ferenwald, später das heutige Waldram.

„Das Badehaus ist ein bauhistorisches Juwel und einer der letzten öffentlichen Bauten der NS-Zeit im Wolfratshauser Stadtteil Waldram. Deswegen haben wir 2012 einen Verein gegründet und das Gebäude der katholischen Kirche abgerungen. Mit der Zeit formierte sich das Ziel, einen gesellschaftspolitischen Erinnerungs- und Begegnungsort zu schaffen, den jeder einmal gesehen haben sollte, ebenso wie die ehemaligen Konzentrationslager in Dachau oder Flossenbürg“, so Krafft weiter. Ohne diese Initiative gäbe es das historische Haus nicht mehr. Ein langgestrecktes, spitzgiebeliges, im sogenannten Heimatstil erbautes Gebäude, auf den ersten Blick eher unscheinbar - mit Intention: Angeglichen an die typisch regionale Bauweise, sollte nichts von der in den 1930er Jahren geplanten Anlage auf die im nahen Forstgelegenen Munitionsfabriken hindeuten. Achitektonische Tarnung also.

Es klingt wie ein Husarenstück: Nach über 17.000 ehrenamtlichen Arbeitsstunden eröffnete das sanierte und umgestaltete Badehaus im Oktober 2018 als Museum - und zählt bis heute bereits rund 22.000 Besucher. Zum Erinnerungsort gehören das Max-Mannheimer-Forum und mehrere Ausstellungsräume innen wie außen, die eindrückliche Exponate der Vergangenheit zeigen - nahbar, anschaulich und detailgenau aufbereitet. Wer Sybille Krafft über den Ort und seine Menschen sprechen hört, spürt die persönliche Anteilnahme an all den Schicksalen, von denen die etablierte Dokumentarfilmerin und Journalistin berichtet. Über 90 jüdische Biografien recherchierte sie mit ihrem Team und verewigte die persönlichen Begegnungen mit Überlebenden in Interviews.

HOCHKONZENTRIERTE ZEITGESCHICHTE: DAS BADEHAUS DES LAGERS FÖHRENWALD SOLLTE 2012 ABGERISSEN WERDEN. 2018 WURDE ES NACH MEHRJÄHRIGEM UMBAU ALS ERINNERUNGSORT ERÖFFNET.
HOCHKONZENTRIERTE ZEITGESCHICHTE: DAS BADEHAUS DES LAGERS FÖHRENWALD SOLLTE 2012 ABGERISSEN WERDEN. 2018 WURDE ES NACH MEHRJÄHRIGEM UMBAU ALS ERINNERUNGSORT ERÖFFNET.

„Wenn Mauern reden könnten“ - dieses Motto könnte wohl über allen beruflichen Projekten von Museumsleiterin Krafft stehen, die allein für ihre BR-Reihe „Leben mit einem Denkmal“ über 25 Dokumentarfilme drehte. Aussagestarke Orte vor dem Vergessen bewahren, per Schulterblick die Dinge im toten Winkel erkennen und diese in den Fokus rücken, um sie zugänglich und zukunftsfähig zu machen, das zeichnet ihre Arbeit aus. Dazu zählen ebenso Objekte wie Schloss Erkersreuth in Selb, der Berggasthof Streichen im Chiemgau und das Haus „Judengasse 10“ in Rothenburg ob der Tauber-allesamt „Schützlinge“ der energischen Altbauexpertin, in Zusammenarbeit mit der gemeinnützigen Initiative „Kultur Erbe Bayern“, deren Vereinsvorsitzende und Mitgründerin sie ist. Ihr Engagement für alte Bausubstanz wurde vielfach preisgekrönt, so etwa mit dem Deutschen Preis für Denkmalschutz. 2024 erhielt Sybille Krafft das Bundesverdienstkreuz am Bande. Aus der Laudatio: „Dr. Krafft vollbringt beispiellose Leistungen für das Bewahren des einzigartigen kulturellen Erbes Bayerns und für eine lebendige Erinnerungskultur: Mit dem Erhalt von Denkmälern gibt sie der Erinnerung ein Gesicht und baut damit Brücken aus der Vergangenheit in die Zukunft.“
Franziska Horn

Er­schie­nen im Ta­ges­spie­gel am 07.12.2024

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