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Schanigärten: „Schani, stell die Tische raus!“

DRAUSSENSITZEN MIT SIXTIES-FLAIR: AUCH IN DER RUHIGEN KURFÜRSTENSTRASSE IN SCHWABING FREUEN SICH DIE GÄSTE DES CAFÉS EIGENLEBEN ÜBER EINEN PLATZ AN DER SONNE. FOTOS: FRANZISKA HORN

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Schanigärten: „Schani, stell die Tische raus!“

Als positives Erbe der Pandemie sprießen zwischen April und Oktober die Münchner Schanigärten als luftige Outdoor-Gastro-Inseln am Straßenrand

Wer in diesen Tagen durch die Innenstadt wandert, dem stechen sie in fast jeder Straße ins Auge: Kreativ umzäunte Tische und Stühle auf ehemaligen Parkplätzen direkt neben dem Gehsteig. Luftige Outdoor-Inseln, die für ein geselliges Beisammensein stehen, angesiedelt auf hölzernen Podesten oder direkt auf dem Asphalt, dem Straßenverkehr abgetrotzt und als Gastro-Institution behauptet. In den Jahren der Pandemie bekam das Draußensitzen einen neuen Stellenwert, den viele Inhaber von Cafés und Kneipen, von Restaurants oder Bistros gern beibehielten. Den Gästen gefällt's.

Schanigärten - so heißen die sommerlichen Freischankflächen, die als gastronomische Außenplätze genehmigt sind für die Zeit von April bis Oktober. Der Name stammt vom Wiener Vorbild und bezeichnet vor allem in Österreich einen direkt vor dem Gastronomiebetrieb liegenden Bereich auf öffentlichem Grund, auf dem Tische zum Essen und Trinken aufgestellt sind. Mit „Garten“ hat der Schanigarten aber nix tun, eher mit dem Schani. Denn eine Theorie besagt, dass so manch Diener im alten Wien der Einfachheit halbe Johann genannt wurde. Und weil damals Französisch als Modesprache galt, mutierte der Johann zum „Jean“ - oder Schani, im Diminutiv. Von Schani, stell die Tische raus!“ ist es nicht mehr weit zur Namensgebung des Schanigarten. Häufig zeigen sich die Schanigärten von Blickschutzwänden umzäunt, fantasievoll dekoriert und mit Topfpflanzen geschmückt. Auch weil die Draußentische dem „Sehen-und-Gesehen-Werden dienen, passen sie so gut zum freiluftverliebten München. Wichtig: Per definitionem ist bei einem Schanigarten stets öffentlicher Grund involviert, anders als beim Gastgarten oder bei der Terrasse. Erstmals tauchten die improvisierten Freisitze übrigens im Jahr 2020 auf und veränderten seitdem das Stadtbild nachhaltig. Fasziniert von diesem Phänomen, widmete der Münchner Architekt Alexander Fthenakis der Interims-Architektur ein eigenes Buch namens „Schanitown: Eine Momentaufnahme und erklärt darin, warum es gut ist, dass diese bestehen blieben. Er weiß zudem: Mit einfach Tische rausstellen ist es nicht getan. „Es gibt strenge Regeln. Wir alle kennen die Markierungen für die Tische, die das Kreisverwaltungsreferat auf Freischankflächen anbringt. Sobald da etwas verrückt wird, sobald ein Fuß außerhalb steht, werden die Kellner ganz nervös. Der Unterschied zwischen Freischankfläche und Schanigarten besteht darin, wo sich beide befinden. Die Freischankfläche ist unmittelbar vor dem Lokal auf dem Gehweg. Ein Schanigarten befindet sich in der Regel auf dem Parkplatzstreifen der Straße“, sagte er in einem Interview mit „Einfach München“.

Darin erklärt Fthenakis auch, warum - anders als Freischankflächen - Schanigärten einen größeren Eingriff darstellen: „Man erkennt sie daran, dass sie tatsächliche Bauten sind. Meist aus Holz: Baupaletten, Sperrholz, Pressspan. Dazu kommt ein Geländer. Das ist notwendig, denn der Schani ist ja mitten auf der Straße, und man muss verhindern, dass Gäste auf diese stürzen, zumal ja getrunken wird.“ Was ihn daran so fasziniert? „Zunächst einmal, dass es eine Mini-Architektur ist. Man hat es mit einer baulichen Manifestation zu tun. Die meisten Schanis sind sehr spartanisch, nur Holz, das wares.“

Das Kreisverwaltungsreferat sei zu Beginn der Pandemie sehr großzügig bei der Bewilligung der Flächen gewesen, man wollte der leidenden Gastronomie helfen und ging wohl von einer vorübergehende Erscheinung aus. „Bis Ende August 2020 wurden über 400 Schanis genehmigt. Es wurden fast an die 1000 Parkplätze verdrängt. Dafür entstanden rund 8000 Sitzplätze. Wäre Corona vor zehn Jahren passiert, hätte das sicher nicht zu dem Boom der Schanis geführt.“ In diesem Sinne ist so ein Schanigarten also nicht nur ein Zeitgeistphänomen, sondern echte Beute der Stadtbewohner nämlich, die sich im Nahkampf gegen das Auto stückchenweise ihren Raum zurückerobern.

FRANZISKA HORN

Er­schie­nen im Ta­ges­spie­gel am 04.05.2024

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