
Es gibt Kindheiterlebnisse, die vergisst man nie. Duzi, Duzi! Gefährlich nähert sich der zugespitzte Mund nebst Mondgesicht. Duzi, Duzi - und man selber im Kinderwagen ohne Fluchtmöglichkeit. Ähnlich schlimm für manche die vom Metzger geschenkte Gelbwurst, wenn man keine Gelbwurst mag. Und dann noch der „Du bist aber groß geworden“-Klassiker, den man sich von der entfernten Verwandtschaft anhören muss, auch wenn man knapp vor der Verrentung steht. Das neue Flaggschiff von Hyundai muss sich diesen Spruch jedoch gefallen lassen, weil er ganz einfach stimmt: Santa Maria! Santa Fe, Du bist aber groß geworden! Im Vergleich zur ersten Generation, die Anfang 2000 auf den Markt kam, ist eine ganze Lineallänge dazugekommen.
Groß und mächtig steht das Korea-SUV vor uns - ein Raumkreuzer mit bis zu sieben Sitzen und über 2000 Liter Ladevolumen. Tatsächlich ist er mit 4,83 Metern im Vergleich zu BMW X7 (5,18 m) oder Mercedes GLS (5,21), die ein ähnliches Platzangebot haben, aber nur ein Waisenknabe. Was auch auf den Preis zutrifft, der per se mit 56.700 Euro nicht gerade gering ausfällt, aber mit den Nobelhobeln der deutschen Premium-Konkurrenz, die sich im sechsstelligen Bereich bewegt, beileibe nicht mithalten kann. Was der Santa Fe bietet, ist beachtlich. Erstens bekommt man mit dem neuen Flaggschiff ein frisches Design, das Ecken und Kanten hat. Rustikal, hemdsärmelig, amerikanisch. Lässig ist das Tagfahrlicht in den Front- und Heckscheinwerfern in Form eines H's wie Hyundai. Weniger gefallen hat uns die Schrankwand-Optik des Hecks, die an einen Möbelwagen erinnert. Aber dadurch fällt die Ladekante niedrig aus und die riesige Heckklappte schwingt weit auf, was die Beladung einfach macht. Das Gestühl, das je nach Gusto mit fünf, sechs oder sieben Sitzen bestellt werden kann, lässt sich komplett flachlegen, dann passen zwischen 628 Liter und 2032 Liter hinein.
Die letzte Reihe erklimmt man relativ einfach, indem man die zweite Sitzbank umklappt und nach vorne schiebt. Funktioniert übrigens auch gut von hinten, was aufkeimende Klaustrophobie-Ängste dämpft. Praktisch auch: Der versteckte Haltegriff in der C-Säule, so kommt man leichter in das doch recht hohe SUV. Fein, dass es auch in der dritten Reihe Ladebuchsen für Smartphones gibt und sogar eine eigene Klimaeinheit. Da freut sich dann auch der Hund, wenn er im heißen Sommer mitfährt.
Aber jetzt zum wichtigsten Platz im Auto: Dem des Fahrers. Zwei 12,3 Zoll große Displays fügen sich zu einem nach innen gebogenem Bildschirm zusammen. Links der Digital-Tacho, in der Mitte der Touchscreen, der logisch bedienbar ist. Die Klimaanlage und viele andere Funktionen steuert man separat über Knöpfe und Tasten. Auf Wunsch gibt es zwei Ladeschalen für Smartphones in der Mittelkonsole. Ob man ein Handschuhfach braucht, das mit UV-Licht desinfiziert, das sollte jeder für sich selbst entscheiden. Die Verarbeitung im Santa Fe ist von erster Güte, die Materialien fühlen sich gut an, sogar Nappa-Leder kann man bestellen. Das Gestühl ist für unseren Geschmack zu weich. Das trifft auch auf die Federung zu. Sie ist butterweich, fast schon amerikanisch, hält das Auto einigermaßen in der Waage, bei längeren Bodenwellen schaukelt und schunkelt die Karosserie mit. In den Kurven macht das Riesen-SUV einiges mit, allerdings lässt sich das Gewicht von 1,9 Tonnen (Voll-Hybrid) oder 2,1 Tonnen (PHEV) nicht ganz leugnen und Wegregeln. So wie die Fahr- und Windgeräusche ab 130 km/h. Der Korea-Kreuzer ist halt eher ein sanfter Riese, mit dem man bestenfalls über die Straßen gleitet.
Beim Antrieb kann man zwischen zwei Varianten wählen. Dem Voll-Hybrid, der genauso wieder Plug-in-Hybrid, mit einem 1,6-Liter-Benziner daherkommt und von einem 65 PS starken Elektromotor auf der Vorderachse unterstützt wird. Die Systemleistung liegt bei 215 PS und 367 Nm Drehmoment, was zu Spurtwerten knapp unter zehn Sekunden reicht. Den HEV kann man als Fronttriebler oder als Allrad bestellen. Unter den Rücksitzen befindet sich eine 1,49 kWh große Traktionsbatterie, die vom System (Bremsenergie) gespeist wird. Rein elektrisch kann nur der PHEV fahren. Er hat eine 98 PS starke E-Maschine an Bord, die Systemleistung liegt bei 253 PS. Unverständlich ist, warum der Akku nur 13,8 kWh fasst, das reicht nur für 50 bis 60 Kilometer elektrische Reichweite. Und noch ein Wert hat uns enttäuscht: Die Anhängelast fällt mit 1,1 Tonnen sowohl beim HEV als auch beim PHEV ebenfalls recht schwach aus. Unser Fazit ist trotzdem positiv: Der Santa Fe bietet richtig viel Auto mit richtig viel Platz, guter Verarbeitung und vielen cleveren Ideen. Eine ideale Familienkutsche: da kann man nur verzückt„Duzi, Duzi“ sagen.
Rudolf Bögel
Erschienen im Tagesspiegel am 18.11.2024