Mehrere internationale Architekturpreise einzuheimsen, ist insofern nicht leicht, da ein einziges Bauwerk selten den unterschiedlichen Kriterien der Preisjurys gerecht werden kann. Das Haus L011 in Gräfelfing vom Münchner Architekturbüro Stephan Maria Lang hat es seit 2020 trotzdem schon auf acht renommierte internationale Auszeichnungen gebracht. Vom German Design Award über den kanadischen Grand Prix du Design bis hin zum indischen Rethinking the Future Award. Obgleich die Aufgabenstellung viele Grenzen gesetzt hatte und ungewöhnliche Lösungen verlangte.
Das Haus in der Villenkolonie mit Gartenstadtcharakter sollte einer Patchworkfamilie mit fünf Kindern und einem Hund gerecht werden. Der Bauherr wünschte zugleich, die über Jahrzehnte gewachsenen Bäume auf dem Grundstück von 536 Quadratmetern Fläche in die Konzeption einzubinden. Die vielfältige Funktionalität des Alltags inklusive nötiger Robustheit mit der Einfühlung in die Gegebenheiten des Grundstücks und der Umgebung zu verbinden, stellte also die vordergründige Aufgabe. „Der T-förmige Baukörper mit seiner Holzschindelfassade wurde im Dialog mit einer den Ort prägenden, Jahrzehnte lang gewachsenen Buche entwickelt, die als Schattenspender und Lichtfilter draußen einem Esstisch auf Biergartenriesel Halt gibt“, skizziert Lang den Lösungsansatz, mit dem Geborgensein und Intimität zur Offenheit in ein harmonisches Verhältnis treten konnten.
Ein Bauwerk aus den natürlichen Gegebenheiten heraus zu entwickeln, ist seit jeher der Hauptansatz von Stephan Maria Lang, der die Baukörper daher als komplex durchgebildete Skulpturen konzipiert, um sie stimmig in die Umgebung einzufügen. Doch dann müssen rein konstruktive Aspekte hinzutreten, die in der Lage sind, eine Verbindung zur gebauten Funktionalität herzustellen. Im Gräfelfinger Schindelhaus ist dieses Prinzip vor allem im Erdgeschoss gut nachvollziehbar, gehen doch Innen und Außen geradezu nahtlos ineinander über. Sie bilden eine Einheit und lassen die 185 Quadratmeter Wohnfläche wesentlich größer erscheinen, andererseits holen sie die umgebende Natur optisch ins Haus. Wohnzimmer, Esszimmer und Küche öffnen sich nach außen, während die privateren Zimmer im Obergeschoss die Intimität wahren.
Ein wichtiges Gestaltungselement der Architektur ist das Licht, nicht nur durch die Verstärkung der Plastizität, dank der Kontrastierung von Licht und Schatten. Für malerische, ja magische Wirkungen sorgen die Bäume, die mit ihren Kronen das Sonnenlicht organisch filtern und so im Haus für eine besondere Atmosphäre sorgen. Zur Hainbuche im Westen öffnet sich deshalb auch die Fassade mit einem zweistöckigen Fenster.
Entscheidend für Preisjurys ist immer auch die Sorgfalt im Detail, sowohl im Entwurf wie auch in der Verarbeitung der Materialien. Hier bleibt auch nichts ohne Bezug zum Ganzen. Die Komposition aus Linien, Flächen und Körpern sorgt für den adäquaten Rahmen, die überraschenden Ausblicke zu inszenieren. „Die abgesenkte Augenhöhe des Wohnbereichs lässt ein Sitzgefühl wie auf einer Decke im Garten entstehen“, so die Idee Langs für den hyggeligen Raum vor dem Kamin. Farbige Oberflächen – außen in der Schweiz grob handgespaltene Lärchenholzschindeln, Kupferverkleidung, Naturstein, innen Marmor, Sichtbeton, Putz, Rohstahl, geölte Eiche und Muschelkalk für die Böden und Bäder – ergänzen die Komposition und profitieren mit der Zeit von der natürlichen Verwitterung.
In Sachen Nachhaltigkeit punktet das Haus in Massivbauweise nicht nur mit ökologisch unbedenklicher Dämmung und natürlichen Baumaterialien, sondern auch energetisch. Eine solar unterstützte Bodenwärmepumpe liefert die Energie. Aber auch die durch die großflächige Verglasung einstrahlende Sonnenwärme wird im Stein des Fußbodens gespeichert. Im Wassermanagement sorgen Regenwassernutzung und natürliche Versickerung für weitere ökologische Aspekte.
Dass all diese Qualitätsmerkmale auch auf einem relativ kleinen Raum umsetzbar sind, ist wohl die interessanteste Schlussfolgerung. REINHARD PALMER
Erschienen im Tagesspiegel am 11.02.2024