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Science F(r)iction aus Südtirol: Nitzan Cohens Projekte

DIYR: SELBSTGEMACHTES, NEUE PRODUKTIONSART UND DINGE, DIE EINEN PERSÖNLICHEN WERT BESITZEN. FOTO: @GERHARDTKELLERMANN

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Science F(r)iction aus Südtirol: Nitzan Cohens Projekte

Innovative Lösungen für ökologische und soziale Herausforderungen: Mit seinem „Design Friction Lab“ beantwortet Nitzan Cohen von der FU Bozen wesentliche Fragen der Zeit.

Seit Nitzan Cohen 2015 eine Professur für Product Design an der Freien Universität Bozen annahm, verbunden mit einem Start-up zum Realisieren zukunftsfähiger Entwürfe - seitdem hat München einen Top-Designer weniger. Cohen, Jahrgang 1973, studierte erst in Tel Aviv, dann an der Design Academy Eindhoven, verdiente sich erste Sporen in der Kaderschmiede von Konstantin Grcic als Projektleiter und gründete 2007 in München ein eigenes Studio. Mit weitem Portfolio: Er richtete Restaurants wie das „Roecklplatz und das „Zerwirk Deli“ in München oder das „Table“ der Kunsthalle Schirn ein, entwarf Sitzmöbel für Mattiazzi, modulare Regale für Nanoo.

Stets am Dialog und am Diskurs über Design interessiert, unterrichtete Nitzan als Gastprofessor an Hochschulen in Stuttgart und Saarbrücken, dann ereilte ihn der Ruf nach Südtirol. Nun, nach intensiven Jahren der Entwicklung und Tüftelei, zeigen der Professor und sein Team die Ergebnisse ihres „design friction lab“, ein interdisziplinärer Think Tank mit praxisiorientierten Ergebnissen. Das Ziel: eigene Visionen und Lösungen für drängende Fragen der Zeit wie den Klimawandel zu finden. Weil's auf dem Weg zu realtauglichen Entwürfen häufig auch zu - konstruktiver! - Reibung kommt, entstand der Name „design friction lab“, darin mitschwingend die Fiktion als immerwährende Frage für „,was ist möglich?“.

WÄHREND SICH ÜBLICHE VERPACKUNGEN VIELFACH NEGATIV AUF DIE UMWELT AUS WIR - KEN, KÖNNEN ALTERNATIVEN AUS PFLANZLICHEM INNOCELL-SCHAUM PROBLEMLOS ENTSORGT WERDEN. FOTO: DESIGN FRICTION LAB
WÄHREND SICH ÜBLICHE VERPACKUNGEN VIELFACH NEGATIV AUF DIE UMWELT AUS WIR - KEN, KÖNNEN ALTERNATIVEN AUS PFLANZLICHEM INNOCELL-SCHAUM PROBLEMLOS ENTSORGT WERDEN. FOTO: DESIGN FRICTION LAB

„Um uns gibt es Probleme wie die kaum zu stoppende Umwelt-Katastrophe. Da stellt sich die Frage stets neu, was Design können soll“, sagt Cohen. Die Arbeit des „design friction labs“ teilt sich derzeit in drei Projekte. Das erste namens DIYR steht für „Do it yourself Revolution“. Dahinter stecken Selbstmach-Anleitungen für rund 70 unterschiedliche Produkte und ihre Varianten: Leuchten oder Bluetooth-Lautsprecher, Garderobenständer, Kleiderbügel und Regale, Ventilatoren, sämtlich personalisierbar und anpassbar. Was der Nutzer zur Herstellung braucht? Zum Beispiel einen 3D-Drucker-den haben nicht viele zu Hause, aber hierfür gibt es das weltweite FabLab-Netzwerk aus Hitech-Werkstätten, darunter eines in München.“ Auch Teile vom Baumarkt kommen für die DIYR-Entwürfe zum Einsatz, ebenso Elektronik-Komponenten. Weil die Anleitungen kostenlos zu haben sind, heißt das für den Designer: „Genau, dass dieser nichts verdient, ich weiß. Es sind eben echte Open-Source-Produkte, die für alle zugänglich sein sollen.“

Ein demokratischer Gedanke. „Ja, es ist radikal, was wir machen. Und es ist es ein wichtiger Trend im Design: Von einer Originalquelle stammend können alle das Gleiche nachbauen“, erklärt der Professor. Vielleicht kein Zufall, dass Nitzan Cohen in einem Kibbuz in Israel groß wurde, wo das Leben kollektiv gedacht und Ressourcen geteilt werden? „Ja, so bin ich aufgewachsen. In solch einer Gesellschaftsform ist ,sharing‘ ein Grundprinzip, da teilen sich beispielsweise 1000 Menschen 50 Autos. Das möchte ich gar nicht besonders altruistisch nennen, es ist einfach natürlich“, sagt Nitzan schlicht. Ein zweites Projekt des Design Friction Lab produziert Sustainable Smart Parasites (SSP) - die sogenannte Parasiten verbessern das Zusammenleben, gegliedert in drei Bereiche. Statt Batterien kommt Nano-Elektronik zum Einsatz, die z. B. auf ein Substrat wie eine weiche, silikon-basierte Membran gedruckt wird. Ein System, das mittels Sensoren zum Messen und Überwachen und ebenso zum Heizen verwendet werden kann. Noch so ein Parasit: Mit dem „Printed Foxhole Radio“ liefert das Lab ein sich energetisch selbstversorgendes Radio in Kreditkartengröße. Das Vorgänger-Modell tauchte im Zweiten Weltkrieg auf, als sich alliierte Soldaten ein Gerät aus Kupferdraht, Bleistift und Rasierklinge bastelten. Das dritte Forschungsprojekt „Innocell“ widmet sich biologisch abbaubaren Produkten, essbar oder nicht essbar: nachhaltige Verpackungen aus pflanzlichem Innocell-Schaum, der problemlos recycelt werden kann.

FRANZISKA HORN

Er­schie­nen im Ta­ges­spie­gel am 02.03.2024

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