Sie haben Brustkrebs.“ Allein in Deutschland erhalten jedes Jahr etwa 70.000 Frauen diese niederschmetternde Diagnose. Damit ist Brustkrebs bei Frauen nach wie vor die häufigste Krebserkrankung. Die Aussichten auf eine vollständige Genesung sind in den letzten Jahren jedoch gestiegen: „Heute können mehr als zwei Drittel aller Patientinnen mit Diagnose ,Brustkrebs' geheilt werden“, sagt die Leiterin des Brustzentrums am LMU Klinikum, Professorin Nadia Harbeck. Zum einen werden Tumore der Brust häufiger im Frühstadium erkannt. Zum anderen sind die therapeutischen Möglichkeiten mittlerweile vielfältiger, sodass es den Medizinern immer besser gelingt, den Tumor zielgenau zu behandeln und auf diese Weise die Chancen auf eine vollständige Genesung zu erhöhen. Ein Grund ist, dass heute weniger die Größe und Ausbreitung des Tumors, sondern vor allem dessen biologische Eigenschaften die Richtung für die individuell geeignete Behandlungsstrategie vorgeben.
Tatsächlich gibt es verschiedene Brustkrebsarten, die sich durch spezifische zellbiologische Merkmale voneinander unterscheiden. Der mit Abstand größte Anteil, etwa 70 Prozent, macht jener Brustkrebstyp aus, der durch das weibliche Geschlechtshormon Östrogen stimuliert wird. Andere Brustkrebszellen haben Rezeptoren für Progesteron. Demgegenüber lässt sich bei etwa 15 Prozent der Brustkrebspatientinnen in Gewebeproben eine erhöhte Konzentration des Wachstumsfaktor-Rezeptors HER2 nachweisen. Aber es gibt auch Tumore, die weder Rezeptoren für Hormone noch für Wachstumsfaktoren auf ihrer Zelloberfläche haben. Dieser „dreifach negative“-Typ gilt als besonders aggressiv und kann schon gestreut haben, obwohl der Tumor bei Diagnosestellung nur wenige Millimeter groß ist.
Die biologische Charakterisierung des Tumors mithilfe von Biomarkern ist für die Therapieentscheidung von großer Bedeutung: „Kennen wir die Tumorbiologie, können wir der Patientin eine maßgeschneiderte Therapie anbieten, die individuell auf sie zugeschnitten ist“, erklärt Professorin Harbeck. Sie selbst hat mehrere nationale und internationale PhaseIII-Studien durchgeführt, die Biomarker als Entscheidungskriterien für die Therapieplanung etablierten - und konnte so aufzeigen, dass eine sorgfältige Analyse des Brusttumors und seiner frühen Veränderungen während der Therapie die lange üblichen Behandlungsansätze gemäß dem Grundsatz „one-size-fits-all“ („eine Größe passt allen“) ersetzen kann.
Gerade bei kleineren Tumoren ist die erste therapeutische Maßnahme oft die Operation. Die Zeiten sind jedoch vorbei, als der Tumor möglichst großflächig entfernt wurde - samt darunter liegendem Brustmuskel und sämtlichen Lymphknoten der Achselhöhle bis hinauf zum Hals. Mittlerweile wird, wann immer möglich, brusterhaltend operiert. Und auch die vorbeugende Entfernung aller Lymphknoten gehört der Vergangenheit an. Voraussetzung für die alleinige Wächterlymphknotenentfernung ist, dass vor der Operation keine vergrößerten Lymphknoten tastbar oder im Ultraschall sichtbar sind. Zugleich geht es immer auch darum, eine Behandlungsstrategie festzulegen, die einerseits alle möglichen Optionen für das Ziel „Heilung“ berücksichtigt, die aber andererseits nicht zu einer „Übertherapie“ führt, mit der für die Patientin unnötige Belastungen verbunden sind. Dazu gehört, dass der früher übliche Ablauf - erst Operation, dann adjuvante (vorbeugende) medikamentöse Therapien - heute nicht mehr zwingend ist. So kann es zum Beispiel sein, dass der Befund nahelegt, den Tumor zunächst mit Medikamenten zum Schrumpfen zu bringen, bevor operiert wird. „Gerade bei einer hormonempfindlichen Brustkrebserkrankung kann eine kurze, etwa drei Wochen dauernde Antihormontherapie bereits vor der Operation wichtige Erkenntnisse liefern. Dies ermöglicht die Anpassung der postoperativen medikamentösen Therapie an die Hormonempfindlichkeit des Tumors bei der einzelnen Patientin“, erklärt Professorin Harbeck.
Auch bei HER2-positiven Tumoren stehen inzwischen wirksame Medikamente zur Verfügung. Bei dieser Tumorart, die im Allgemeinen aggressiver als hormonempfindliche Tumoren ist, ist die Rückfallquote vergleichsweise hoch. Hoffnung verspricht eine zielgerichtete Therapie gegen HER2 (Antikörper, Antikörper-Wirkstoffkonjugate oder kleine Moleküle). Aber auch eine Kombination von mehreren zielgerichteten Medikamenten ist möglich, je nachdem, welche Strategie den bestmöglichen Therapieeffekt und eine gute Lebensqualität verspricht.
Dennoch: Brustkrebs ist und bleibt eine sehr komplexe Erkrankung, deren Behandlung unbedingt Spezialisten vorbehalten bleiben sollte. Die Entscheidung, wo sich die Patientin behandeln lässt, ist deshalb mindestens ebenso wichtig wie die Frage, wie sie behandelt wird. Die Deutsche Krebsgesellschaft empfiehlt ein zertifiziertes Brustzentrum als Anlaufstelle, wo hochqualifizierte Ärzte verschiedener Fachrichtungen Hand in Hand zusammenarbeiten, um für jede Patientin die individuell beste Therapie zu finden. Neben der strukturierten interdisziplinären Zusammenarbeit der Ärzte an den Schnittstellen „Diagnostik - Operation - Systemtherapie - Nachsorge“ bietet ein zertifiziertes Brustzentrum viele weitere Vorteile. So gewährleistet etwa die interdisziplinäre Tumorkonferenz eine leitliniengerechte Auswahl der Therapiemaßnahmen und kontrolliert zudem jeden einzelnen Behandlungsschritt. Einige zertifizierte Brustzentren bieten zudem die Möglichkeit an, an Studien teilzunehmen.
Nicole Schaenzler
Erschienen im Tagesspiegel am 17.05.2024