Da muss ich halt durch!“ Wenn Frauen jeden Monat aufs Neue mit ärgsten Menstruationsschmerzen zu kämpfen haben, versuchen viele, irgendwie damit zurecht zu kommen. Auch wenn das bedeutet, tagelang kaum aktiv am Leben teilhaben zu können. Dass sich hinter ihren Beschwerden eine manifeste gynäkologische Erkrankung - eine Endometriose - verbirgt, die zwar nicht geheilt, aber gut behandelt werden kann, erfahren sie oft erst nach Jahren.
Vielfältige Symptome

Schätzungsweise rund zehn Prozent aller Frauen zwischen 15 und 50 Jahren sind hierzulande von Endometriose betroffen. Und jedes Jahr kommen etwa 40.000 Neuerkrankungen dazu. „Die Dunkelziffer dürfte jedoch sehr viel höher sein“, vermutet Oberarzt Professor Thomas Kolben, Zentrumskoordinator des zertifizierten Endometriose-Zentrums der LMU Frauenklinik. Tatsächlich zeigen Untersuchungen, dass vom Auftreten der Symptome im Mittel ganze 10,4 Jahre vergehen, bis die betroffene Frau die endgültige Diagnose „Endometriose“ erhält. Denn auch wenn die Erkrankung in jüngster Zeit verstärkt in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt ist, fehlt bei der Behandlung von Frauen mit ausgeprägten Menstruationsschmerzen, die sich kaum durch schmerzstillende oder krampflösende Medikamente mildern lassen, immer noch allzu oft das Verständnis dafür, dass höchstwahrscheinlich von einer krankhaften Ursache ausgegangen werden muss. Das können gutartige Veränderungen von gebärmutterschleimhautartigem Gewebe sein, die jedoch außerhalb der Gebärmutterhöhle wachsen, die Ärzte sprechen auch von Endometrioseherden. Häufige Orte sind zum Beispiel die Muskelwand der Gebärmutter, die Eierstöcke oder die Region zwischen Gebärmutter und Mastdarm. Aber auch in der Bauchhöhle, an Harnblase, Nieren und sogar am Zwerchfell sowie in der Lunge können sich Gewebeinseln angesiedelt haben. Anhand der Lokalisation der Herde unterscheiden die Ärzte dann verschiedene Endometriosetypen.
Je nach befallenem Organ oder Gewebe können die Beschwerden ganz unterschiedlich sein. Deshalb wird Endometriose auch als „Chamäleon der Gynäkologie“ bezeichnet. So kann es sein, dass neben starken Menstruationsschmerzen auch Schmerzen beim Geschlechtsverkehr, bei der gynäkologischen Untersuchung, beim Wasserlassen oder beim Stuhlgang, aber auch chronische Schmerzen im Beckenraum (Chronic Pelvic Pain Syndrom), Durchfall, Übelkeit, Erbrechen, ausgeprägte Erschöpfung, Ohnmachtsanfälle, Migräne und viele weitere Beschwerden zum Krankheitsbild gehören. Für die Intensität der Schmerzen spielt die Ausdehnung einer Endometriose jedoch allenfalls eine untergeordnete Rolle: „Schon sehr kleine Endometrioseherde können massive Beschwerden verursachen, wohingegen wir auch Patientinnen mit sehr ausgedehntem Befall kennen, die nur über sehr geringe Symptome berichten“, erklärt Professor Kolben. Vor allem aber ist die Erkrankung eine der Hauptursachen für ungewollte Kinderlosigkeit: „Fast die Hälfte der Patientinnen in der reproduktionsmedizinischen Betreuung wegen unerfüllten Kinderwunsches leidet unter Endometriose“, sagt Professor Kolben. Insgesamt seien etwa 30 Prozent der Betroffenen von Sterilität betroffen, so der Endometrioseexperte.
Immer noch ungeklärte Entstehungsmechanismen
Noch fehlt eine schlüssige Erklärung, was Zellen, die der Gebärmutterschleimhaut sehr ähnlich sind oder womöglich sogar von ihr abstammen, dazu veranlasst, sich an fremden Geweben und Organen anzusiedeln. Einer Theorie zufolge kommt es zu übermäßigen Kontraktionen der Gebärmuttermuskulatur und damit zu Verletzungen in tieferen Schleimhautschichten, was wiederum dazu führt, dass Zellen aus diesen Schichten im Sinne eines Rückflusses von Menstruationsblut (retrograde Menstruation) über die Eileiter in den Bauchraum gelangen und sich dort ansiedeln. Aber auch Zellumwandlungen könnten eine Rolle spielen. Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass Zellen des Bauchfells die Fähigkeit besitzen, sich eigenständig in Gebärmutterschleimhautzellen umzuwandeln. Es gibt noch einige weitere Theorien zur Entwicklung einer Endometriose; abschließend geklärt sind die Entstehungsmechanismen bislang nicht.
Fest steht jedoch, dass die Endometrioseherde denselben hormonellen Einflüssen unterworfen sind wie die Gebärmutterschleimhaut: Unter dem Einfluss der Geschlechtshormone wachsen sie zu Beginn des Monatszyklus genauso wie die Schleimhaut der Gebärmutter - und bei jeder Menstruation bluten sie mit. Problematisch kann es werden, wenn das Blut nicht abfließen kann. Dann können große blutgefüllte Zysten entstehen. „Hinzu kommen weitere Komplikationen wie lokale Entzündungsreaktionen sowie eine daraus resultierende Überempfindlichkeit von schmerzübermittelnden Nerven. Ebenso kann es zu einer Neueinsprossung derartiger Nerven kommen. Zudem führt der wiederkehrende Schmerz zu Lern- und Anpassungsprozessen im Gehirn, dies spielt in der Schmerzchronifizierung eine wichtige Rolle“, erklärt Professor Kolben. Auffällige Symptome können bereits mit der ersten Monatsblutung beginnen. Häufiger treten sie jedoch im Alter zwischen 20 und 30 Jahren auf - und sie werden dann zu ständigen Begleitern, die nicht mehr von selbst wieder verschwinden. Erst mit Beginn der Wechseljahre tritt meist eine deutliche Besserung ein. „Aber es kommt auch vor, dass Frauen jenseits der Menopause noch mit Symptomen zu kämpfen haben“, weiß Professor Kolben.
Weshalb Frauen überhaupt an Endometriose erkranken, ist unklar. Obwohl die Krankheit schon seit mehr als hundert Jahren bekannt ist und so viele Frauen betroffen sind, weiß man bislang nur wenig über die Ursachen. Auffällig ist, dass Töchter von Endometriosepatientinnen deutlich häufiger erkranken als Töchter von gesunden Frauen. Doch müssen, so die einhellige Expertenmeinung, noch andere Faktoren hinzukommen, damit es zum Ausbruch der Erkrankung kommt. „Zu verstehen, wie Endometriose entsteht, ist letztlich die grundsätzliche Voraussetzung, eine kausale Therapie zu entwickeln“, sagt Professor Kolben. Deshalb hat die Bundesregierung fünf Millionen Euro zur Erforschung der Erkrankung bereitgestellt. Bis erste Ergebnisse vorliegen, wird es jedoch noch eine Weile dauern.
Schwierige Diagnose
Leicht zu diagnostizieren ist Endometriose nicht, gerade in frühen Stadien basiert die Diagnosestellung vor allem auf der entsprechenden Krankengeschichte. Ein erfahrener Arzt oder eine erfahrene Ärztin kann jedoch durch eine Tast- und Ultraschalluntersuchung insbesondere tief infiltrierende Endometrioseherde relativ gut identifizieren. Die abschließende definitive Diagnose kann letztlich nur mit einer Bauchspiegelung gesichert werden. „Die Laparoskopie dient dann meist nicht nur der Diagnostik, sondern auch gleich der Therapie“, erklärt Professor Kolben. Die Behandlung von Patientinnen, die unter Endometriose leiden, sollte als ganzheitlicher Ansatz verstanden werden. Hierbei müssen die Wünsche und Bedürfnisse sowie Lebensumstände der Patientinnen in das Therapiekonzept mit einfließen. „In unserem Endometriosezentrum der LMU Frauenklinik, das auf der höchsten Stufe zertifiziert ist, gewährleisten wir dies in enger Zusammenarbeit mit unseren Kooperationspartnern der verschiedenen anderen Fachdisziplinen“, sagt Professor Kolben. „Außerdem arbeiten wir im Rahmen zahlreicher Forschungsprojekte aktiv an der Verbesserung der Diagnostik und Therapie auf dem Gebiet der Endometriose“ - so sei das Team stets auf dem neuesten Stand, um allen Patientinnen eine optimale Beratung und Behandlung an der LMU Frauenklinik anbieten zu können.
Nicole Schaenzler
Erschienen im Tagesspiegel am 17.05.2024