Kraftturisme - so nennt man in Norwegen einen relativ neuen touristischen Zweig, der industrielle Bauten früherer Epochen ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückt, zumal viele der hochfunktionell ausgerichteten Gebäude inzwischen kulturellen Zwecken gewidmet werden. So sollen Geschichte und Werdegang des Landes auf authentische Weise erfahrbar werden - eine durchaus originelle Annäherung an die eigene Historie, die überraschende Einsichten für Besucher aus anderen Ländern liefert.
An der norwegischen Landschaftsroute Ryfylke mit ihren überragenden Ausblicken in die Schönheit der Fjordlandschaft bildet ein architektonisch ausgeklügeltes Museum ein zusätzliches Besucher-Highlight. Der Standort namens „Allmannajuvet“ wurde vom weltbekannten Schweiter Architekten Peter Zumthor geschaffen, der damit der Geschichte der stillgelegten Zinkgruben in der Schlucht von Allmannajuvet in der Gemeinde Sauda ein Denkmal setzt.
Nunja. Das Stichwort „Zinkgrubenbesichtigung begeistert vielleicht nicht auf Anhieb die ganz großen Touristenströme, könnte man meinen. Doch schon am Parkplatz gewinnt der geneigte Besucher den Eindruck, dass hier ein besonderer gestalterischer Duktus wirkt. Denn schon das Servicegebäude am Rastplatz der Fernstraße verrät mit seinem stringenten Design, dass sich hier ein Könner ans Werk machte. Dieser Verdacht bestätigt sich, sobald man den Weg gen Museum einschlägt und in Richtung der gleichnamigen Schlucht namens Allmannajuvet läuft. Eine meterhohe, in dunklen Tönen gehaltene Holzkonstruktion auf Stelzen lugt zwischen Baumwipfeln hervor. Der Bau birgt ein 2016 eröffnetes, mehrstöckiges Bergbaumuseum, das an die Geschichte dieses abgelegenen Winkels erinnert. Ein Baukörper ähnlicher Machart birgt ein Café und thront ebenfalls auf einem Raster aus Holzstützen. Die Außenwände der Gebäude bestehen jeweils aus 18 Millimeter starken Sperrholzplatten und Jutesackgewebe, beschichtet mit einem deutschen Acrylmaterial namens Polymethylacylat (PMMA).
Zwischen 1881 und 1899 wurden hier in der Gruber und 12.000 Tonnen Zink abgebaut, rund 160 Arbeiter erbrachten körperliche Höchstleistungen, bevor der fallende Zinkpreis zur Schließung führte. Doch der Zinkabbau galt als Vorläufer der Wasserkraftindustrie, kurbelte die örtliche Wirtschaft an und legte den Grundstein für den späteren Aufschwung. Zu jener Zeit, um 1900 herum, galt Norwegen als das zweitärmste Land Europas. Heute gilt jeder Norweger als Millionär, zumindest auf dem Papier, so heißt es, und den Grundstein dafür legte das Land mit seinen Bodenschätzen wie zum Beispiel Öl.
Mit einfachen Mitteln und hohem Aufwand an Körperkraft wurde das Zink aus den nahen Stollen im Berg gewonnen, sogar 12-jährige Kinder mussten mit anpacken, das gewichtige Material einzusammeln, dem zollt das Museum mit seinen Exponaten, Fundstücken und Dokumenten Respekt. Mit seinen dunklen Wänden aus Holz und seiner schlichten Konstruktion erinnert es an die simplen, improvisierten Hütten und Lebensumstände der hart arbeitenden Menschen von damals. Das zugehörige Café mit seinen umlaufenden Panoramafenstern holt die überbordende Natur ins Innere, die hölzernen Tische und Schemel wirken einfach, auch wenn ihre Linienführung mehr Raffinesse aufweist als das Mobiliar damaliger Zeiten gehabt haben dürfte.
Ein vierter Bau, gestalterisch aus gleichem Guss, passt sich ebenso gelungen wie seine benachbarten Elemente in die zerklüftete Landschaft ein. Schon im Jahr 2002 war der Schweizer Architekt damit beauftragt worden, ein touristisches Highlight für die Region hier im Süden des Landes zu schaffen. Für das Areal am Parkplatz wurde Naturstein aus dem Gebiet von Hardanger herangeschafft. Ein Projekt, mit dem Zumthor einmal mehr sein besonderes Einfühlungsvermögen für geologische Vorgaben als auch die Historie des Ortes unter Beweis stellt.
FRANZISKA HORN
Erschienen im Tagesspiegel am 05.10.2024