Kunst am Bau - das ist normalerweise eher etwas, mit dem sich Erbauer K großer Projekte gerne schmücken. Doch es geht auch in klein und fein - wie ein Projekt aus München zeigt. Mit ihrem Haus haben die Bewohner, eine Münchner Familie, und der Künstler Linus Rauch aus Berlin ein Gesamtkunstwerk entwickelt, das tatsächlich einzigartig ist. Doch von Anfang an: Mit dem Haus R8b im Münchner Stadtteil Hartmannshofen haben die Münchner Neutard Schneider Architekten im Rahmen einer Nachverdichtung ein architektonisches Schmuckstück geschaffen: Der eingeschossige, mit dunkler Längslattung versehene Massivholzbau präsentiert sich mit klaren Linien und eine an die Barn(-Scheunen)-Architektur angelehnte Form mit flachem Satteldach. Errichtet in traditioneller Holzbauweise aus Mondholz von Weißtannen aus Niederbayern, passt es sich charmant in den Hinterhof eines Miet- und Geschäftshauses aus den 1950er Jahren ein. Hier ersetzt es die frühere Garagenzeile auf dem Grundstück, dessen üppiger alter Baumbestand weitgehend erhalten und sogar noch ergänzt werden konnte.



Eine Idylle aus Licht und Grün, die auch im Haus spürbar ist - und die den befreundeten Künstler inspirierte. „Wir hatten schon vor dem Einzug Werke von Linus Rauch. Als wir hier ins Haus neu eingezogen sind, erzählten wir ihm von unserem außergewöhnlichen neuen Domizil, und er wollte es sich ansehen“, erzählt Familie Ipsch-v-Iperen. Rauch war von Haus, Atmosphäre und Architektur so angetan, dass gemeinsam mit den Bewohnern die Idee entstand, Kunst nur für diesen Ort zu entwickeln - als Teil seines laufenden Projekts mit dem Titel „home work“, das er neben seiner sonstigen künstlerischen Arbeit und Ausstellungen in Galerien, Institutionen und Kunsträumen verfolgt. „Bei "home work" handelt es sich um eine Reihe von Ausstellungen in privaten Räumen, die durch künstlerische Interventionen transformiert und für einen begrenzten Zeitraum der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Die Arbeiten entstehen jeweils während eines Aufenthalts in den Räumen. Dabei verbinden sich Strömungen meiner Arbeit, wie zum Beispiel die Verwendung von vorgefundenen Materialien, mit spezifischen Aspekten des Ortes, der Architektur oder meiner Beziehung zu den Bewohnern“, so der Künstler.



Auch in München war er im August 2023 vor Ort und setzte sich bei einem mehrtägigen Besuch intensiv mit den Besonderheiten des Hauses R8b auseinander. In Reaktion auf die Architektur und die besonderen Lichtverhältnisse des Ortes entwickelte er das Konzept für die mehrteilige Arbeit „Sinus“: Dafür verwendete er transparente Kunststoffplatten, die an das Wellblechdach des Gebäudes erinnern und die Wellenform einer Sinuskurve aufweisen - sie verändern in verschiedenen Bereichen des Hauses und des Innenhofs in ständigem Wechsel das Spiel von Licht und Schatten im Raum. „Das Konzept greift formale und materielle Aspekte der Struktur des Hauses auf und rekontextualisiert sie als Elemente der Intervention im Innen- und Außenraum“, erklärt Rauch sein Konzept. Ein Stück Treibgut, das von einem Sonnenschirm stammt und ebenfalls die charakteristische Sinuskurve aufweist, fand in einem Vorhang und mehreren Gemälden eine neue Verwendung. „Wir waren total fasziniert, wie er von morgens bis abends ununterbrochen, mit so viel Liebe zum Detail die Werke Stück für Stück entstehen ließ. So viele Beobachtungen der Natur, dem Licht und der Veränderung je nach Tageszeit flossen in die Werke ein sowie die menschlich geschaffenen Einflüsse der Architektur. Sowohl der Prozess als auch das Ergebnis waren und sind für uns absolut faszinierend“, freuen sich die beiden Bewohner und ergänzen: „Uns lädt die wundervolle Kunst immer wieder ein, den Ort, an dem wir leben, neu, anders wahrzunehmen und zu erfahren. Die Werke stehen für sich, komplimentieren zugleich die Architektur und erzeugen für uns ein ganz besonderes Lebens- und Wohngefühl.“ BARBARA BRUBACHER
Erschienen im Tagesspiegel am 02.11.2024