Im Bregenzerwald gibt es gleichviel Kühe wie Einwohner“, sagt Conny Krieger vom heimischen Tourismusamt auf einer Spritztour durch eine der schönsten Regionen Vorarlbergs. Sie erklärt: „Hier leben 32.000 Menschen in 23 Dörfern. Wir sind stark im Handwerk, und Baukultur ist das größte Differenzierungsmerkmal der Region.“Wiegerufen erscheint eine hypermoderne Bushaltestelle am Wegrand des Dorfes Krumbach, eine von sieben insgesamt, die 2014 im Rahmen des internationalen Architekturprojekts „Bus Stop“ ganz unterschiedlich gestaltet wurden.
Architektur mit hohem Nutz- wie Schauwert, die noch dazu als Attraktion fürs Sightseeing taugt, diesen Mehrwert hat man hier trefflich umgesetzt. Erst recht gilt das für die zahlreichen geschindelten Gebäude, Wohn- oder Geschäftshäuser, die als schönste Zier des Landes gelten. Beim genauen Hinschauen fällt auf: Die Wohnbereiche sind häufig mit runden Schindeln versehen, die angeschlossenen Ställe mit eckigen Schindeln.„Ja, die runde Machart ist seltener und teurer“, erklärt Josef Felder aus Mellau. Felder ist einer von nur noch fünf Schindelmachern, die es noch gibt im Ländle. Eine aussterbende Zunft. Auch Felders Vater war schon Schindelmacher. Sein Foto hängt an der Werkstattwand.
Josef Felder sagt: „Das Schindeln ist sozusagen die Königsklasse des Holzhandwerks, darüber steht nur noch die Instrumentenklasse. Es gibt viele Vorbedingungen für gute Schindeln: Das verwendete Holz darf keine Astlöcher haben, es muss nass sein beim Schindeln.“ „Schindeln sind quasi die teuerste Fassade, die man verwenden kann“, sagt Ehefrau Gabi Felder beim Rundgang durch die Werkstatt. Fichte, Lärche, Zirbe - das nötige Holz wird teils aus der Schweiz geliefert.
Was lässt sich über die Lebensdauer einer geschindelten Fassade sagen? „Das hängt davon ab, wo das Haus steht oder ob es ein schützendes Vordach hat. Bei manchen Almhütten sind die Fassaden 150 Jahre alt. Generell kann man sagen, dass sie 80 bis 90 Jahre halten“, erfährt man. Dann geht es zur Sache: Felder zeigt auf ein dickes Holzrad, das von einem rund 250 Jahre alten Fichtenstamm gesägt wurde. An der geriffelten Oberfläche lassen sich die Jahresringe gut abzählen. Das Rad wird in Segmente zerlegt, welche maschinell in exakt gleiche Scheiben gespalten werden, dabei entstehen eckige, sieben Millimeter dicke Rohlinge mit einer Länge von 21 Zentimetern. Am Ansatz werden die Rohlinge etwas dünner gehobelt, damit sie sich später besser legen: Je drei Schindeln werden später der Länge nach überlappend auf eine Verschalung getackert, in seitlich versetzten Reihen.
Für runde Schindeln ist ein weiterer Arbeitsgang notwendig, bei welchem die Ecken gestanzt werden, das macht diese etwas teurer. Anschließend müssen die Rohlinge beim Trocknen viel Feuchtigkeit verlieren, bevor sie verschickt und verarbeitet werden. „Komplett unbehandelte Schindeln halten sich am besten“, weiß Josef Felder. Dazu kommt: „Sobald sie behandelt werden, zum Beispiel geölt, müssen sie irgendwann nachbehandelt werden, und das ist aufwendig.“
Seit wann wird eigentlich im Bregenzerwald geschindelt? „Seit den ersten Häusern, die ungefähr aus dem 16. Jahrhundert stammen. Auch die Walser haben schon ihre Dächer geschindelt und mit Steinen fixiert. Wobei es hier in der Gegend eher sogenannte Wälder-Häuser gibt, mit geschindeltem Wohnbereich, den Stall mit Brettern geschirmt.“ Es ist ein hoch gefragtes Handwerk, das Josef Felder betreibt: „Mir werden die fertigen Schindeln buchstäblich aus der Hand gerissen. Die Architekten verlassen sich dabei ganz auf unser Wissen, unsere Erfahrung.“ Einer von diesen ist Baumeister Jürgen Haller, der ebenfalls im 1300-Einwohner-Dorf Mellau ansässig ist. Sein „Tempel 74“, ein Apartmenthaus mit cool designten Ferienwohnungen, ist über die Grenzen Vorarlbergs hinaus bekannt. Auch sein Architekturbüro hat Haller in diesem Baukomplex untergebracht. Und die Schindeln der Tempel-Fassade stammen von Josef Felder aus Mellau. Ehrensache!
FRANZISKA HORN
Erschienen im Tagesspiegel am 02.11.2024