Er gilt als die Krönung jeder 911er-Baureihe: der Porsche Turbo. Seit 1974 Jahren rauscht der Sportwagen mit dem markanten Heckflügel über die Straßen und lässt Ferrari, Lamborghini und Co. alt aussehen. Unbändige Kraft und absoluter Komfort - das zeichnet einen Turbo auch heute noch aus, oder wie es damals beim Debüt auf dem Pariser Autosalon hieß: Ein Turbo müsse „Leistung und Luxus in vollendeter Harmonie vereinen“. 50 Jahre ist das her und nun stehen sechs Turbos aus unterschiedlichen Epochen vor uns. Ihre Mission: 413 Meilen kalifornischer Straßen rocken. Und wir dürfen ans Steuer. „Hit the road, Jack“ dröhnt der Klassiker von Ray Charles aus unserem inneren Lautsprecher.
Und hier ist die Turbo-Familie:
911 Turbo 3,0 Coupé (930) - der Urvater. Fast hätte das erste Modell Strabo geheißen. Strabo wie Straßen-Turbo. Die Luftaufladung wurde zum ersten Mal nämlich in der Renn-Serie verwendet. Die Idee hat sich beim Straßenmodell dann Gottseidank nicht durchgesetzt und so heißt der erste Superporsche seiner Art Turbo 3.0. Er basiert auf der G-Serie, hat aber breitere Kotflügel und den markanten Heckspoiler. Das Fahrwerk verfügt über härtere Federn und dickere Stabilisatoren. Das Sahnestück ist jedoch der Motor: Ein Dreiliter-Sechszylinder-Boxer mit Turbo, der den nur 1140 Kilogramm schweren Porsche in nur 5,5 Sekunden von O auf 100 bringt. Spitze 250 km/h. 911 Turbo Coupé (993) der Luftikus: Es sollte über 20 - Jahre dauern, bis der nächste Turbo auf die Welt kommt. Die Baureihe 993 ist die letzte mit Luftkühlung. Den 3,6 Liter großen Biturbo-Boxermotor gibt es mit 408, 430 und 450 PS. Letzterer rennt mit Allrad in 4,1 Sekunden von O auf 100. Die Spitze liegt bei 300 km/h. Ein Quantensprung im Vergleich zum Vorgänger.
911 Turbo S Coupé (996) - der Gesuchte: Von den Leistungsdaten her holt der wegen seiner Scheinwerfer auch Spiegelei-Porsche genannte Sportwagen in der Turbo-S-Variante gerade mal seinen Vorgänger ein. Er hat 450 PS, schafft den Sprint auf Tempo 100 aber nur in 4,2 Sekunden, dafür ist er bis zu 307 km/h schnell. Sein Gewicht liegt mit 1590 kg um 90 kg höher als beim 993. Vom Band liefen 600 Coupés und 963 Cabrios. Gesuchte Klassiker heutzutage, auch weil sich der von 2001 bis 2005 gebaute Sportwagen wie Butter fährt. 911 Turbo Coupé (997) - der Geflügelte: Für viele Fans gilt die Baureihe 997 als schönster 911er der Neuzeit. Der 911 Turbo feiert in Genf seine Premiere. Das neue Bugteil hat drei große Lufteinlässe, der aus- und einfahrende Heckspoiler, der für 27 Kilogramm Abtrieb sorgt, prägt das Heck. Der 480 PS starke Biturbo-Sechszylinder-Boxer bekommt Turbolader mit variabler Turbinengeometrie und beißt deshalb auch in den unteren Drehzahlbereichen richtig zu. Ein Turboloch sucht man vergeblich - trotz eines Gewichts von 1695 Kilogramm geht es in 3,9 Sekunden von 0 auf 100. Bis zu 310 km/h schnell. Wir meinen: Klassisch schön und knackig wie am ersten Tag.
911 Turbo S Coupé (991) - der Aerodynamiker. Erstmalig ausgestattet mit einem aktiven Aerodynamik-System holt sich der 2013 bei der IAA vorgestellte Turbo gleich die Krone: Der Top-Speed liegt bei 318 km/h, schon nach 3,1 Sekunden erreicht die Tachonadel 100 km/h. 560 PS machen es möglich. Der Rohbau besteht zur Hälfte aus Aluminium - deshalb sinkt das Gewicht trotz viel mehr Technik wieder auf 1605 Kilogramm. Die serienmäßigen Sportsitze sind mit Leder beschlagen, der Dachhimmel kommt mit Alcantara daher.
911 Turbo S (992) - der Schnellste: Von diesem Modell leitet sich auch die Jubiläumsausgabe (siehe Bericht rechts) ab. Mit 650 PS, 800 Nm Drehmoment und einer Spitzengeschwindigkeit von 330 km/h ist der Turbo S ein wahres Monster. Kaum zu bändigen, und nach zwei Wimpernschlägen oder 2,7 Sekunden sind wir bei Tempo 100. Und ewig lockt das Gaspedal. Doch Vorsicht: Wer zu schnell damit spielt, der wird auch schnell Sheriffs Liebling.
Was alle Turbos eint: Ihr natürliches Habitat befindet sich nicht auf US-Straßen. Sie sind zu schnell und die Strafen zu hoch. Dafür können die Turbos ihren zweiten Trumpf ausspielen, der ihnen in die Wiege gelegt wurde: der Komfort. Mit einer Ausnahme ist die ganze Turbo-Bande nämlich langstreckentauglich. Bis auf den Urvater aller Turbos, den Porsche 930. Wir fahren ein frühes Modell, die Nummer 25 von 30 gebauten Fahrzeugen. Schon alleine das nötigt uns einen gehörigen Respekt ab. Aber es gibt noch einen weiteren Grund so vorsichtig zu sein wie der Elefant im Porzellanladen. Der 3.0 Turbo ist eine Diva. Der 260 PS starke Boxer fährt sich in den niedrigen Drehzahlen, na ja! Aber kaum hat man die 4000 Umdrehungen pro Minute erreicht, pfeift der Turbo sein Lied dazu. Ruckartig explodiert die Leistung, das Heck schiebt mit aller Macht an - bis wir in 5,5 Sekunden Tempo 100 erreichen. Von wegen Servo! Hier müssen wir noch selber kurbeln. Die Lenkung arbeitet extrem präzise, das Fahrwerk geht keine Kompromisse ein. Und spätestens beim Bremsen merkt man: Hier muss man noch Auto fahren. Denn es bremst nicht der Verstärker das Auto, sondern die Muskelmasse im Oberschenkel des Fahrers.
Pfeifen, knattern, knallen - der 930 zählt nicht zu den Leisen auf der Straße. Runterschalten, Gas geben, Turbo genießen und hochdrehen. Das ist Autofahren in seiner pursten Form. Von daher gibt es einen klaren Sieger der kleinen Ausfahrt: Die Nummer 1 bleibt die Nummer 1. Auch nach 50 Jahren noch.
Rudolf Bögel
Erschienen im Tagesspiegel am 18.11.2024