Kann man Elefanten das Fliegen beibringen? Walt Disney kann. Im Trickfilm-Klassiker „Dumbo“ hebt der gleichnamige kleine Dickhäuter tatsächlich ab. Dank seiner großen Segelohren. Schwer, unförmig und groß sind auch die Elefanten der Automobilindustrie. SUVs erleben schon seit Jahren einen gewaltigen Boom – Ende nicht absehbar. Fliegen können sie zwar nicht, aber es grenzt manchmal an ein Wunder, wie leichtfüßig die tonnenschweren Wuchtbrummen um die Kurven gehen. Vor allem die noch gewichtigeren Elektro-SUVs. Ob es Sinn macht? Geschenkt! Alle sind mit von der Partie beim „Größer-schwerer-schneller-Spiel“ Da macht auch Alfa Romeo keine Ausnahme und bringt sein erstes Elektro-SUV. Junior heißt es und Milano hieß es – bis der italienische Staat intervenierte mit der Begründung, wenn schon ein Produkt den Namen Milano trägt, dann muss es auch aus Mailand kommen.
Der flugs in Junior umgetaufte Wagen tritt im B-Segment an. Also bei den Mini-SUV. Dort, wo sich schon VW Taigo oder Toyota Yaris Cross tummeln. Mini fällt der Neue in der Alfa-Familie allein von den Dimensionen her nicht aus. Mit 4,17 Metern Fahrzeuglänge und einer Breite von 1,78 Metern spielt der Junior eigentlich in der Kompakt-Klasse und bietet Passagieren (zumindest vorne) und Gepäck (über 400 Liter) einen standesgemäßen Platz. Mini ist jedoch das Gewicht – vor allem bei den reinen Elektro-Juniors. Sie wiegen nämlich um gute 200 bis 300 Kilogramm weniger als vergleichbare Karossen. 1590 Kilo Gewicht sind es beim Topmodell Veloce. Und damit so viel wie etwa beim aktuellen Porsche 911 Carrera.
Aber noch mal zurück zu den Motorisierungen: Zwei Stromer und ein Hybridmodell haben die Alfisti zunächst im Programm. Der 136 PS starke Ibrida kommt mit dem im Stellantis-Universum schon bekannten 1,2-Liter Benziner und einem zusätzlichen E-Motor im Getriebe daher. Voll unter Spannung stehen die beiden Modelle Elettrica (156 PS) und der Elettrica Veloce (280 PS). Alle drei werden an der Front angetrieben und haben Automatik.
Das höchste Tempo erreicht der Hybrid mit 206 km/h, der Basis-Stromer wird bei 150 abgeregelt, der Veloce darf 200 rennen. Beim Spurt auf Tempo 100 sind Ibrida und der Elettrica mit 7,9 respektive 8,0 Sekunden etwa auf Augenhöhe. Hier zieht die Veloce-Version mit 5,9 Sekunden locker davon.

Was unterscheidet die Top-Version vom elektrischen Basis-Junior? Zunächst einmal ist da die Hochleistungsmaschine (15.200 U/min), auf welche die Alfisti mordsstolz sind, weil sie das 280 PS und 345 Nm starke Aggregat selbst ent- und gewickelt haben. Aufgerüstet wurde der Veloce aber auch in anderen Disziplinen: Beim Fahrwerk, bei den Bremsen, außerdem gibt es ein Sperrdifferential. Das alles können wir testen. Und zwar auf dem ehemaligen Opel-Testgelände bei Rodgau, das vom „Torture Track“ für die Stoßdämpfer bis hin zu einer Hochgeschwindigkeitsrundbahn alles bietet, was das Entwicklerherz begehrt. Das um 25 Millimeter tiefer gelegte Fahrwerk des Junior Veloce erweist sich hier als hart, aber zuverlässig. Freunde der Komfort-Federung werden den kleinen Romeo daher nicht in ihr Herz schließen, weil die straff eingestellten Dämpfer keine Gnade kennen. So wie die Stabilisatoren an Vorder- und Hinterachse. Sie lassen nur wenig Seitenneigung zu. Das ist besonders bei SUVs wichtig, weil sie aufgrund der hochaufragenden Karosserie ja förmlich dazu neigen. In den Kurven jedenfalls hat man mit dem Junior Spaß. Zumal das mechanische Torsen-Differential auf der Vorderachse bei Bedarf Drehmoment und damit Schub auf das kurvenäußere Rad gibt und sich der Wagen dadurch besonders leicht eindreht. Da hilft auch die direkte Lenkung mit, die von der Übersetzung her auf geringe Drehwinkel (V-Kalibrierung) getrimmt wurde.
Auf der „Langen Geraden“ (zwei Kilometer) testen wir die Beschleunigung. Fühlt sich ganz gut an, aber auch nicht mega. Vergleicht man mit dem sino-schwedischen Volvo EX30 oder dem gepimpten Chinesen-Bomber Smart 3 Brabus, die beide mit 428 PS antreten, so muss man feststellen: Da muss sich der Junior brav hintanstellen. Auch wenn er in 5,9 Sekunden von 0 auf Tempo 100 rennt. Aber bleiben wir bei den Stärken des Juniors. Neben der sportlichen Technik überzeugt das sportliche Aussehen. Vor allem in Alfa-Rot mit schwarzem Dach – da wirkt sogar ein SUV schön. Dazu kommt die „Coda tronco“, das abgeschnittene Heck, das dem Romeo eine verwegene Hinter-Partie verleiht. Allerdings erinnern die um die Kotflügel herum gebogenen boomerangförmigen Leuchten stark an den Kia EV6.
Was gibt es zu motzen? Fangen wir mit dem Frunk an, also dem zusätzlichen Kofferraum unter der Motorhaube. Die Plastikschale gibt es nur als Zubehör und dann passt auch nur das Ladekabel hinein. Bei einem Preis von 48.500 Euro für den Veloce (Hybrid: 29.500, Basis-Elettrica ab 39.500 Euro) ist das eher schofel. Aufgeladen wird bei Wechselstrom (AC) mit 11 kW, am Gleichstrom-Schnellader (DC) sind nicht mehr als 100 kW drin. Das ist nicht besonders gut: Genauso wie die Reichweite, die bei einer 51 kWh-Batterie (netto) rund 400 Kilometer (Basis-Modell) betragen soll. Da fehlt uns der Glaube, weil das Verbrauchswerte um die 13 kwH/100 km bedeuten würde. Exakte Zahlen für den Veloce (weil noch nicht homologiert) gibt es dazu leider noch keine. Ebenfalls nicht gefallen hat uns das viele Plastik im Auto. Nicht verschämt versteckt, also dort, wo man nie hinschaut. Sondern direkt am oder auf dem Armaturenbrett wie etwa die Blenden der Rundinstrumente. Das ist eines knapp 50.000 Euro teuren Autos nicht würdig.
Und so fällt unser Fazit eher zwiespältig aus. Vom Fahren her ist der Junior Veloce recht erfreulich. Das fühlt sich echt nach Alfa an. Können Elefanten fliegen? Ja, dieser da aus Italien kann. Allerdings fehlt die letzte Konsequenz bei der Ausstattung und auch bei der Leistung – weshalb es nicht zu einem finalen „Bravo!“ reicht.
Rudolf Bögel
Erschienen im Tagesspiegel am 23.09.2024