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LE CORBUSIERS VERGESSENES KLEINOD

DIE SIEDLUNG CITÉ FRUGÈS IN PESSAC IST DAS ERSTE STÄDTEBAULICHE PROJEKT VON LE CORBUSIER, UMGESETZT MIT SEINEM DAMALIGEN PARTNER UND COUSIN ZWEITEN GRADES PIERRE JEANNERET. ALLERDINGS ENTSPRICHT DIE ARCHITEKTUR AUSSCHLIESSLICH DEN BEREITS ZUVOR FORMULIERTEN IDEEN VON LE CORBUSIER. DAS MODULARE UND TYPISIERTE BAUEN STELLTE DIE WEICHEN FÜR DEN MODERNEN SIEDLUNGSBAU. FOTOS: BORDEAUX TOURISME & CONGRÈS

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LE CORBUSIERS VERGESSENES KLEINOD

Vor 100 Jahren begann der Bau der CITÉ FRUGÈS in Pessac

Es ist das erste städtebauliche Projekt von Le Corbusier (mit seinem Büropartner Pierre Jeanneret, Cousin zweiten Grades), das vor genau hundert Jahren in Bau ging und 1927 vorzeitig beendet werden musste, nachdem verursacht durch die Weltwirtschaftskrise dem Auftraggeber das Geld ausgegangen war. Cité Frugès ist eine Siedlung in Pessac an der Peripherie von Bordeaux im Südwesten Frankreichs. Mitten in einem dichten Autobahnen und Eisenbahntrassennetz, gekennzeichnet durch großräumige Wohnsiedlungen von Vorstadtcharakter und Gewerbegebiete. Wohl deshalb, und auch, weil die Siedlung ein Fragment blieb, da von den 130 geplanten Einheiten nur 51 realisiert wurden, verirren sich Architekturfans selten dorthin. Im Werk des schweizerisch-französischen Architekten Charles Edouard Jeanneret alias Le Corbusier nimmt diese Siedlung daher eher den Rang einer Nebenerscheinung ein, zumal sie zunächst auf Ablehnung stieß und schließlich lange Zeit der Verwahrlosung preisgegeben war. Heute ist Cité Frugès Teil des UNESCO-Weltkulturerbes unter der Überschrift „Das architektonische Werk von Le Corbusier - ein herausragender Beitrag zur "Modernen Bewegung“.

Auch wenn es sich um ein Frühwerk handelt, nimmt hier Le Corbusiers Philosophie der Formen und Farben bereits deutlich Gestalt an. Die Bauwerke sind klar strukturierte Kompositionen aus kantigen Kuben in bestechender Ehrlichkeit des Baumaterials. Es ist eine revolutionierte Architektur mit freien, offenen Grundrissen, Stützen im Erdgeschoss, fassadenbreiten Fensterbändern, Dachterrassen und großteils steilen Proportionen, die der Schwere entgegenwirken und den Häusern eine gewisse Schlankheit und Leichtigkeit verleihen.

Gänzlich befremdend dürfte den Zeitgenossen in den 1920er-Jahren die „Polychromie Architecturale“ erschienen sein. Die Farbenlehre zur Farbgebung der Bauwerke etwa mit Horizontblau, Goldgelb, Kastanienbraun oder Jadegrün basiert auf hellen, pastelligen Farbtönen, die das triste Grau des Betons deutlich beleben und freundlicher erscheinen lassen. Der Auftraggeber, selbst ein Aquarellmaler, legte großen Wert auf die Farbigkeit und wirkte bei der Planung mit.

Den Auftrag zum Bau der Siedlung erteilte der Großindustrielle Henri Baronet-Frugès (1879-1974), nachdem er 1923 in der Textsammlung „Vers une architecture“ von den Ideen des jungen Visionärs Le Corbusier gelesen hatte. Das Konzept typisierter Massenproduktion im modularen System und der damit reduzierten Baukosten in avantgardistischer Ästhetik überzeugte ihn. Es sollte eine idyllische Gartensiedlung in gesunder Umgebung für seine Arbeiter (Sägewerk, Zuckerraffinerie, Weingüter und andere Betriebe) werden. Geplant waren 130 Einheiten (manche Quellen sprechen gar von 317), doch die bereits erwähnten finanziellen Probleme des Auftraggebers ließen nur 51 Einheiten zu. Frugès musste Konkurs anmelden, verkaufte seine Unternehmen und verlieẞ Frankreich. Le Cobusier hatte für die Siedlung sieben Typen entwickelt: „Gratte-ciel (die,Hochhäuser), die Typen Arcade und Quinconce, Jumelles, einzeln freistehende Häuser, der Zigzag-Typ und ein Haustyp, der inzwischen nicht mehr existiert“ (Plattform The Link Berlin). Die Akzeptanz der einst als nordafrikanisch apostrophierten Häuser ließ aber zu wünschen übrig, obgleich sich Le Corbusier am traditionellen Haus der Gegend („échoppe bordelaise“) orientiert hatte.

Die Nutzer veränderten daher viel an der Bausubstanz und die Siedlung verfiel zusehends. Erst als in den 1970er-Jahren das Interesse von Fachleuten eine Aufwertung bewirkte und ein Bewohner 1973 sein Haus restaurierte, wurde die Bedeutung der Siedlung der Öffentlichkeit bewusst. Die Chance, seine Ideen in der Ausführung zu präsentieren, die Le Corbusier mit der Realisierung der Siedlung gegeben wurde, hat möglicherweise überhaupt die Anerkennung des Architekten ermöglicht. Inzwischen ist auch das Museum „Maison Municipale Frugès-Le Corbusier" eingerichtet und bietet Führungen durch die Siedlung an.                                REINHARD PALMER

Er­schie­nen im Ta­ges­spie­gel am 09.06.2024

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