Porsche am Scheideweg. Nach dem europaweit beschlossene Verbrenner-Aus, blieb auch dem renommierten Sportwagenbauer kein anderer Ausweg mehr. Also runter mit dem Verbrenner vom Holzweg und rauf auf die Electric Avenue. Mit dem Taycan hat Porsche zwar bewiesen, dass man emotionale Sportwagen auch ganz ohne Schall und Rauch bauen kann. Aber ein ganz neues Modell zu launchen, das ist eine Sache.
Gleich die Melkkuh zu schlachten, dürfte weitaus riskanter werden. Vom Macan wurden seit 2013 rund 850.000 Exemplare verkauft. Jahr für Jahr polierte das SUV die Konzernbilanz auf. Aufgrund von Cyber-Security-Auflagen landet der Verbrenner-Macan schon früher beim Abdecker. Zumindest in Europa. Ersetzt wird er nun doch ein rein elektrisches Modell. Bleibt Porsche damit in der Erfolgsspur?
Überdurchschnittlich jung, überdurchschnittlich weiblich: Von so einer Kundschaft träumen Automobilchefs normalerweise. Der Macan war ein echter Eroberer. Nach nur einer Generation und zwei Facelifts nun Vollbremsung und Kehrtwende. Raus mit den Vier- und Sechszylindern, rein mit den E-Maschinen. Und das Versprechen: „Nach zehn Jahren heben wir den Macan auf ein ganz neues Niveau“, so Baureihen-Chef Jörg Kerner. Bei einem Elektroauto fängt das naturgemäß ganz woanders an als bei einem Verbrenner - nämlich bei der Reichweite. Um die 600 Kilometer sollen Macan 4 und Turbo schaffen. Kerner: „Wir haben die Aerodynamik auf Reichweite getrimmt. Der neue Macan hat einen cw-Wert von 0,25. Vorher waren es 0,35. Das alleine bringt 85 Kilometer zusätzlich.“
Grundvoraussetzung für ordentliche Reichweiten ist aber der Akku: Die Lithium-lonen-Batterie hat im Macan eine Kapazität von 100 kWh (netto 95). Bei einem angegebenen Verbrauch von 17,9 kWh (18,8 Turbo) klingen die 600 Kilometer nicht ganz unmöglich. Allerdings muss die Rekuperation schon kräftig mithelfen, um solche Ziele zu erreichen. Dank 800-Volt-System holen sich die beiden Elektromaschinen bis zu beachtlichen 240 kW beim Bremsen zurück. Wie sieht der Verbrauch im echten Leben aus? Bei unserer rund 100 Kilometer langen Testfahrt mit viel Stopp-and-Go und wenigen Passagen, in denen wir den Macan Turbo laufen lassen konnten, standen 20,3 kWh auf dem Display. Sehr ordentlich. Ob das im Alltagstest Bestand hat - das werden wir sehen. Genauso wie die versprochene Ladegeschwindigkeit. Hier will Porsche am 800 Volt tauglichen HPC-Lader bis zu 270 kW schaffen. Unter idealen Bedingungen soll sich der Akku in 21 Minuten von 10 auf 80 Prozent füllen lassen. Oder 250 Kilometer Reichweite in zehn Minuten. Bei Wechselstrom braucht man hingegen viel Geduld und Muße. Rund zehn Stunden muss der Macan an der Leitung hängen - es gibt nämlich nur einen 11-kW-Lader. Angetrieben werden die Macans über zwei permanenterregte E-Maschinen, die ihre Kraft je nach Anforderung zwischen den Achsen verschieben. Mehr Heck-Power für Sportfeeling, mehr Frontantrieb für die Stabilität. Und gemeinsam volle Kraft voraus, um für gute bis traumhafte Spurtwerte zu sorgen. Schon der Macan 4 rennt in 5,2 Sekunden von 0 auf 100. Der Turbo toppt das locker mit 3,3 Sekunden. Eine irrsinnige Beschleunigung, die auch dem Körper einiges abverlangt. Bis 1.130 Newtonmeter Drehmoment - so richtig wohl fühlen wir uns dabei nicht. Aber diese Wahnsinns-Beschleunigung braucht es gar nicht, um mit dem Macan Spaß zu haben. Stichwort Fahrwerk. Die Stahlfedern reagieren sportlich- straff - aber bequem genug. Wir erinnern uns: Der Macan ist auch ein Auto für Frauen mit Komfort-Anspruch. Die Luftfeder, die es im Turbo serienmäßig gibt, reagiert hingegen hart, aber herzlich. Kein Wunder, der Turobo wurde auf extreme Performance ausgerichtet. Ungetrübten Fahrspaß bietet die Lenkung.
Das Auto zirkelt so präzise um die Kurven, dass man gar keine Geraden mehr fahren mag. Dabei hilft die elektronische Quersperre PTV plus. Und auch die optionale Hinterachslenkung, die bis zu fünf Grad einschlägt, schadet beim Thema Agilität nicht. Ganz abgesehen davon, dass sie den Wendekreis um knapp einen Meter auf 11,1 Meter verkürzt. Das ist VW-Golf-Niveau. Für das Sportfeeling im Familien-SUV sorgt auch der im Vergleich zum Vorgänger um 140 Millimeter tiefere Schwerpunkt und die ideale Gewichtsverteilung von 50:50 (Turbo 48:52) zwischen Vorder- und Hinterwagen. Sitzen wie im 911er, thronen wie im Cayenne - so ist der neue Macan. Von außen wirkt der Fünfsitzer geschmeidig. Dabei sind die Kotflügel wuchtiger und die Karosserie um zehn Zentimeter länger geworden. Auffällig sind auch die neuen Side-Blades und die rahmenlosen Türen. Der Radstand legt um knapp neun Zentimeter zu: Für Fonds-Passagiere ist das wie ein Upgrade von Eco auf Premium-Economy. Das gilt auch für das Front-Gestühl. Denn erstmalig werden für den Macan auch Massagesitze angeboten. Braucht man auch, das Armaturenbrett ist nämlich großes Kino: Bis zu fünf Bildschirme hat Porsche hier untergebracht. Wir zählen mit: Mit 12,9 Zoll ist das Curved-Display des Fahrers natürlich die Nummer eins. Der zentrale Infotainment-Screen bietet mit 10,9 Zoll die gleiche Größe, wie der eigene Beifahrer-Bildschirm (Nummer zwei und drei). Der Vierte im Bunde ist das kleine Klima-Display in der Mittelkonsole. Fein, dass man hier nicht im Hauptmenü herumtippen muss, sondern eine eigen Bedieneinheit hat. Über die größte Leinwand verfügt jedoch das Head-up-Display. Ebenfalls ein Newcomer im Macan. Es hat mit 87 Zoll (221 Zentimeter Diagonale) schon fast Autokino-Maße, existiert aber nur rein virtuell im leeren Raum vor dem Wagen. Platz genug für die ein oder anderen AR-Elemente (Augmented-Reality) - wie den fliegenden Pfeilen, wenn man abbiegen will. Unser Fazit zum Macan: Sieht aus wie ein Porsche, fährt sich wie ein Porsche, ist ein Porsche - von daher alles okay. Wenn da nicht der Preis wäre. Rund 14.000 Euro liegt der elektrische und besser ausgestattete Macan 4 über dem alten Macan-Einstiegsmodell (265 PS). Vergleicht man mit dem alten Macan S (380 PS), sind es knapp 5.000 Euro mehr. Das vorläufige Top-Modell, der Turbo, kostet noch mal 30.000 Euro mehr und kommt auf 114.600 Euro. Wer angesichts der Preise eine gewisse Kaufzurückhaltung vermutet, der liegt falsch. Selten sei ein Modell, das noch gar nicht in den Showräumen stünde, so oft „blind“ bestellt worden wie der Macan, heißt es nicht ganz ohne Stolz bei Porsche.
Rudolf Bögel
TECHNISCHE DATEN
PORSCHE MACAN 4
(MACAN TURBO)
Motoren: 2 permanenterregte
Synchronmaschinen
Leistung: 285 kW (385PS)/470 kW (639 PS)
Drehmoment: 650 Nm (1.130 Nm)
Antrieb: Allrad
Batterie: 100 kWh (95 netto)
Verbrauch kombiniert: 17,9 kWh/100 km (18,8)
Reichweite: 613 km (591)
Ladeleistung: bis zu 270 kW (DC, 800 Volt),
21 min. (10-80%) bis zu 135 kW (DC, 400 Volt),
33 min. (10-80%) bis zu 11 kW (AC), 10 std. (0-100 %)
Beschleunigung: (0-100 km/h): 5,2s (3,3 s)
Höchstgeschwindigkeit: 220 km/h (260)
Abmessungen: (L/B/H): 4,78/1,94/1,62 m
Radstand: 2,89 m
Wendekreis: 11,1 m
Kofferraum: 540-1.3481(480 -1.288)
Gewicht/Zuladung: 2.405 kg/515 (545)
Anhängelast (gebremst): 2.000 kg
Grundpreis: 84.100 Euro (114.600)
Erschienen im Tagesspiegel am 21.05.2024