Die Aufholjagd kann beginnen. Nach diversen Rückschlägen will Audi mit einer neuen elektrischen Flotte aufholen. Das erste Modell ist der Q6 e-tron. Er steht auf der gemeinsam von Audi und Porsche entwickelten Plattform PPE (Premium Platform Electric). Die sechs wichtigsten Fakten zum neuen Q6 e-tron:
Modelle und Motoren: Zunächst einmal wird jeder Audi Q6 e-tron mit zwei Elektro-Maschinen und Allradantrieb ausgeliefert. Die E-Motoren sind eine echte Eigenentwicklung. Die permanent erregte Heckmaschine auf der Hinterachse spielt überwiegend die erste Geige, auch in Sachen Effizienz. Sie hat 280 kW Leistung und ein Drehmoment von 540 Nm. Das vordere asynchrone Aggregat fungiert mit seinen 140 kW und 275 Nm als Booster und Stabilisator. So kommt der normale Q6 e-tron 55 insgesamt schon auf eine Gesamtleistung von 285 kW (387 PS), der SQ6 fährt mit 380 kW (516 PS) vor. Damit spurten die rund 2,3 Tonnen schweren Straßenkreuzer in 5,9 respektive 4,3 Sekunden von 0 auf 100. Später folgen noch der Basis-Q6 mit nur einem Aggregat auf der Hinterachse und einer kleineren 83-kWh-Batterie.
Akku und Reichweite: Die Powerbank im Unterboden des Q6 wächst auf 100 kWh, nutzbar sind davon 94,9 kWh. Damit sollen Reichweiten über 600 Kilometer möglich sein. Bei einem Durchschnittsverbrauch zwischen 17 und 20 kWh dürfte das im Einzelfall möglich sein. Die Batterien werden in Ingolstadt gebaut. Bis zu 300.000 Kilometer Laufleistung (15 Jahre) verspricht Audi und gibt eine Garantie für 160.000 Kilometer oder acht Jahre.
Ladeleistung und -geschwindigkeit: Für Wechselstrom, etwa an der heimischen Wallbox, hat der Q6 e-tron einen 11-kW-Lader (optional 22 kW) an Bord. So weit, so langsam. Interessant wird es bei Gleichstrom-Zapfsäulen. Dort will Audi mit bis zu 270 kW laden, und zwar auf einem ziemlich langen und hohen Plateau. Erst ab 40 Prozent Akkustand fällt der Wert langsam ab. Schon nach zehn Minuten sollen am 800-Volt-Schnelllader bis zu 255 Kilometer Reichweite aufgetankt werden. Von 10 bis 80 Prozent, so die Prognose, vergehen 21 Minuten. Das wäre bei 600 Kilometern so etwas wie Langstreckentauglichkeit. Positiv wirkt sich auch das neue Thermomanagement auf die Ladeleistung aus. Die Batterie kann aufgewärmt und gekühlt werden, damit sie möglichst schnell das Maximum an Strom aufnehmen kann.
Bremsen und Rekuperation: Hier will Audi eine technische Duftmarke setzen. Rund 95 aller Bremsvorgänge sollen in Strom umgewandelt werden. Dabei rekuperiert das System bis zu 220 kW in der Spitze. Großen Wert haben die Entwickler auf das so genannte Blending gelegt. Das ist der Übergang, wenn das elektrische Abbremsen mit den beiden Maschinen nicht mehr genügt und herkömmlich mit Scheiben und Klötzen die Geschwindigkeit reduziert werden muss. Bei einem Kurztest auf einem abgesteckten Kurs konnten wir die Probe aufs Exempel machen. Auch bei Vollbremsungen aus hohen Geschwindigkeiten haben wir den Zeitpunkt nicht bemerkt, wann die herkömmlichen Bremsen zugebissen haben.
Licht und Schatten: Beim neuen Q6 lernt das Licht sprechen. Die hochauflösenden OLED-Panels am Heck bestehen aus 360 Segmenten. Alle zehn Millisekunden erzeugt ein Algorithmus ein eigenes Bild. Dadurch wirkt das Licht lebendig. In Gefahrensituationen warnt es sogar mit einem leuchtenden Dreieck den nachfolgenden Verkehr. Zum Beispiel wenn man sich dem Stau-Ende nähert. Außerdem können die Licht-Signaturen, vorne wie hinten, individualisiert werden. Mit bis zu acht unterschiedlichen Varianten. Bedienung und Bedienbarkeit: Der Bildschirm ist kein Bildschirm mehr, sondern eine digitale Display-Landschaft, die wie eine Hohlkelle gebogen ist. Sie integriert das 11,9 Zoll große virtuelle Cockpit und den 14,5 Zoll großen Touch-Screen fürs Infotainment. Als ob das alles noch nicht genügt: Auch ein Head-up-Display ist mittlerweile an Bord. Tempo, Verkehrszeichen oder Assistenz-Symbole werden auf die Windschutzscheibe projiziert und schweben optisch in 200 Metern Entfernung vor dem Auto. Was einer Bildschirmgröße von 88 Zoll oder 224 Zentimetern in der Diagonale entspricht. Erstmalig darf auch der Beifahrer über einen eigenen 10,9-Zoll-Bildschirm verfügen. So wird der Beifahrer zum Navigator oder zum Bord-DJ.
Unser erster Eindruck: Ein Audi ist ein Audi ist ein Audi. Das trifft vor allen Dingen auf das Fahrwerk zu. Die Luftfeder mit den passiven Dämpfern stellt den Komfort bereit, den ein Audi-Käufer erwartet, kann aber auf Anforderung auch mit straff-sportlichen Attributen glänzen. So viel zumindest konnten wir bei dem Kurztest auf einem abgesperrten Parkplatz feststellen. Der technologische Fortschritt bei Batterietechnik und Antrieb muss sich allerdings noch einem ausführlicheren Praxistest unterziehen. Ob Audi mit der PPE-Plattform tatsächlich wieder vom Jäger zum Gejagten wird, muss sich also erst noch zeigen.
Rudolf Bögel
Erschienen im Tagesspiegel am 21.05.2024