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Psychoonkologie: Seelische Unterstützung in schweren Zeiten

Dr. Friederike Mumm.   Foto: Alexander Spraetz

SPEZIAL WELTKREBSTAG

Psychoonkologie: Seelische Unterstützung in schweren Zeiten

Dr. Friederike Mumm, Leiterin des Interdisziplinären Zentrums für Psycho-Onkologie am CCC München LMU, erklärt, warum psychoonkologische Betreuung in der modernen Tumortherapie unverzichtbar ist.

Jäh aus der Normalität heraus katapultiert werden - so erleben viele den fürchterlichen Moment, wenn der Arzt oder die Ärztin ihnen mitteilen muss: „Es ist Krebs“. Völlig unvorbereitet werden die Betroffenen mit Krankheit, neuen Lebensrealitäten und der Endlichkeit des Lebens konfrontiert und müssen einer Emotionsflut an Angst und Hilflosigkeit, Unsicherheit, Scham, Trauer und Verzweiflung standhalten. Doch nicht nur das Wissen, unter einer potenziell lebensbedrohlichen Erkrankung zu leiden, sondern auch die Belastungen durch die oftmals langwierige und kräftezehrende Therapie verlangen den Betroffenen viel ab - und ebenso ihren Angehörigen. „Hilfe finden Betroffene bei den Psychoonkologinnen und Psychoonkologen“, sagt Dr. Friederike Mumm. Dr. Mumm ist Oberärztin der Medizinischen Klinik und Poliklinik III des LMU Klinikums und Leiterin des Interdisziplinären Zentrums für Psycho-Onkologie (IZPO) am CCC München LMU.

Frau Dr. Mumm, welche Ziele verfolgt die Psychoonkologie?
Dr. Friederike Mumm:
Nahezu alle Krebspatienten reagieren auf die Diagnose mit einer hohen psychosozialen Belastung und geraten zeitweilig aus dem Gleichgewicht. Sie sind zutiefst erschüttert und reagieren mit großer Verunsicherung, Angst bis hin zu Panik. Aber auch während der Behandlung gibt es immer wieder Phasen, in denen quälende Gedanken und Gefühle vorherrschen. Neben Ängsten sind das zum Beispiel oft Niedergeschlagenheit, Traurigkeit, Hilflosigkeit oder auch Wut. Andere beschreiben die verschiedenen Etappen der Krebsbehandlung als emotionale Achterfahrt zwischen Hoffen und Bangen, Zuversicht und Mutlosigkeit, die als sehr anstrengend erlebt wird. All dies sind ganz normale menschliche Reaktionen auf ein schwerwiegendes Lebensereignis. In diesen höchst belastenden Zeiten kann die Begleitung durch einen Psychoonkologen ein wichtiger stabilisierender Anker sein. Ziel ist es dabei immer, den Betroffenen darin zu unterstützen, die seelischen und körperlichen Belastungen besser zu verarbeiten und so die Lebensqualität zu erhalten oder zu verbessern. Auch wenn nicht jeder Patient einen Psychoonkologen braucht - zu wissen, dass es diese Möglichkeit im Fall der Fälle gibt, erleichtert.

Können alle an Krebs erkrankten Patienten das psychoonkologische Angebot in Anspruch nehmen?
 Psychoonkologische Angebote können von allen Betroffenen in allen Phasen der Erkrankung in Anspruch genommen werden: während der Diagnosefindung, zum Zeitpunkt der Diagnosemitteilung und der Therapie, der Nachsorge oder beim Wiedereinstieg in den Alltag. Dies kann auf viele Arten geschehen: in Form von Einzel-, Paar-, Familien- oder Gruppengesprächen, von kreativen und körperorientierten Therapien wie Atem- und Kunsttherapie, der Vermittlung von Entspannungstechniken oder auch von Informationen zu weiteren unterstützenden Angeboten wie Bewegung, Ernährung und Sozialleistungen. Darüber hinaus beraten wir bei allen praktischen Fragen des Alltags und begleiten den Wiedereinstieg in den Beruf. Und weil sich eine Krebserkrankung immer auch auf das Lebensumfeld des Betroffenen auswirkt, richtet sich das psychoonkologische Angebot nicht nur an die Erkrankten, sondern in gleichem Maße auch an ihre Angehörigen.

Betreuen Psychoonkologen auch Langzeitüberlebende?
Ja, auch lange nach einer überstandenen Krebserkrankung kann die Psychoonkologie einem Betroffenen noch helfend und unterstützend zur Seite stehen. Diese Gruppe der,Langzeitüberlebenden' oder auch ,Cancer Survivors' wird immer größer, denn die Chancen, eine Krebserkrankung zu überleben, sind in den vergangenen Jahren stetig gestiegen. Das ist eine gute Nachricht, die vielen Betroffenen Mut machen sollte. Richtig ist jedoch auch, dass diese Gruppe oft mit körperlichen und psychosozialen Langzeitfolgen zu kämpfen hat. In diesen Fällen können die individuell abgestimmten Angebote der Psychoonkologie hilfreiche Maßnahmen zur Unterstützung und Milderung der Auswirkungen sein.

Was umfasst das psychoonkologische Angebot im Einzelnen?
Die Bandbreite des psychoonkologischen Angebots ist breit gefächert, um so möglichst allen individuellen Bedürfnissen und Wünschen der an Krebs erkrankten Patienten gerecht werden zu können. Dementsprechend gibt es sowohl ambulante als auch stationäre Angebote, die von einer einmaligen psychosozialen Beratung bis hin zur längerfristigen Therapie in allen Stadien einer Krebserkrankung in Anspruch genommen werden können. Zudem kann die psychoonkologische Betreuung jederzeit unterbrochen und dann später fortgesetzt werden. Art, Weise und Ausmaß der Unterstützung sind hochindividuell und richten sich danach, was der Einzelne braucht und was ihm guttut. Denn so wie es den Krebs an sich' nicht gibt, so individuell unterschiedlich werden auch die krankheitsbedingten Auswirkungen und Belastungen erlebt. Das eine Patentrezept oder die eine für alle Betroffenen gleichermaßen geeignete Bewältigungsstrategie gibt es daher nicht. Unsere Aufgabe ist es vielmehr, gemeinsam mit dem Betroffenen seinen ganz eigenen, individuellen Weg der Krankheitsbewältigung zu finden.

Sie selbst leiten das Interdisziplinäre Zentrum für Psycho-Onkologie (IZPO) am LMU Klinikum. Wer gehört zu Ihrem Team?
Die ganzheitliche psychoonkologische Betreuung von Menschen mit einer Krebserkrankung setzt ein inspiriertes, multiprofessionelles Team voraus. Deshalb arbeiten am IZPO und im CCC München Expertinnen und Experten aus verschiedenen Fachrichtungen zusammen, die in engem Austausch mit den Behandlungsteams der einzelnen onkologisch tätigen Kliniken sind. Neben Psychotherapeuten und Psychologen gehören auch Sozialarbeitende, Pflegefachkräfte, Physiotherapeuten, Ergotherapeuten und Seelsorger dazu - ebenso wie Vertreter und Vertreterinnen des Ethikkomitees, alles auch im engen Austausch mit dem Patientenbeirat. Eine enge Kooperation besteht mit dem Patientenhaus des CCC München. Im Bedarfsfall vermitteln wir an heimatnahe Krebsberatungsstellen oder auch niedergelassene psychotherapeutische Kollegen.

Wie wird im Klinikalltag ermittelt, wer eine hohe psychosoziale Belastung hat?
In zertifizierten Krebszentren und Spitzenzentren wie dem CCCM ist ein Screening auf psychosoziale Belastungen für jeden Patienten vorgesehen. Hierfür stehen uns einfache, aber aussagekräftige Belastungsscreenings wie das Distress-Thermometer zur Verfügung. Das Distress-Thermometer besteht aus einer Zehn-Punkte-Skala sowie einer umfassenden Liste an praktischen, emotionalen, familiären, spirituellen und körperlichen Problemen, mit der auch die Art der Belastung ermittelt werden kann. Ergänzend erfragen wir den Wunsch nach psychologischer Unterstützung. Unabhängig davon können sich Betroffene natürlich auch direkt an uns wenden.

Gibt es gegenüber der Psychoonkologie auch Vorbehalte?
Einige Patienten und auch Angehörige stehen der Psychoonkologie skeptisch gegenüber, es ist nicht selbsterklärend, was geschieht und wie ein solches psychologisches Gespräch helfen kann. Ihnen sei jedoch versichert, dass die enorme psychische Belastung infolge der einschneidenden Erfahrungen durch den Krebs keineswegs gleichbedeutend mit einer psychischen Erkrankung ist, sondern eine natürliche menschliche Reaktion. Hilfe in Anspruch zu nehmen, ist kein Zeichen von Schwäche, ganz im Gegenteil. Psychologisch begleitet zu werden, ist vielmehr eine vielfach bewährte Möglichkeit, eigene Wege zu finden, wie ein gutes Leben mit der Krankheit gelingen kann. Auch schwierige, tabuisierte Themen finden dort - wenn gewünscht - Raum, was als hilfreich empfunden wird.

Welches sind die häufigsten Themen, mit denen sich Patienten an Sie wenden?
Viele Menschen werden von Unsicherheiten und Ängsten geplagt: Angst vor der Therapie, Angst vor einem Versagen der Behandlung oder Rückkehr des Krebs, die sogenannte Progredienzangst, Angst vor dem zur Last fallen, vor drohender Versehrtheit des Körpers oder Entstellung - Angst vor dem Tod. Angst und Panik lähmen jedoch, die Wahrnehmung verengt sich, sogar die Gehirnfunktion ist reduziert. Hier kann die psychologische Begleitung wertvolle Dienste leisten: Wir helfen den Betroffenen, die bedrückende Situation anzunehmen und sich darin besser zurechtzufinden. Aber auch die belastenden Einschränkungen, die durch die Erkrankungen oder die Therapie hervorgerufen werden, sind wichtige Themen. Oft geht es zum Beispiel darum, depressive Symptome, Schlafstörungen oder eine Fatigue zu erkennen und zu behandeln. Oder auch um Kommunikation mit dem Behandlungsteam, Familienmitgliedern, Freunden oder Arbeitskollegen.

Und wenn es ein ganzes Bündel an Sorgen und Nöten zu bewältigen gilt?
Auch in diesem Fall begleiten wir die Betroffenen Schritt für Schritt: Wir wenden uns gemeinsam ihren Gefühlen zu, ordnen die Themen, die ihnen besonders am Herzen liegen, suchen gemeinsam nach Antworten auf drängende Fragen, bieten einen geschützten Raum, in dem alles gesagt werden darf, halten gemeinsam aus und bestärken darin, neue Perspektiven zu entwickeln - trotz und mit Krebs. Wichtig ist, dass die eigenen Ressourcen erkannt werden, die dann für die Entwicklung neuer Bewältigungsstrategien genutzt werden können. Hierfür müssen wir den Blick auch auf das werfen, was neben der Krankheit da ist, was den Betroffenen also im Leben stützt, sinnstiftend ist und trägt.

Was bewegt Menschen, die ihre Behandlung erfolgreich abgeschlossen haben?
Viele Betroffene merken in der Zeit nach der medizinischen Behandlung, dass ihr Leben nicht mehr zu ihnen passt - schließlich verändert eine schwere Krankheit wie Krebs nicht nur den Körper, sondern auch persönliche Prioritäten und Bedürfnisse. Meiner Erfahrung nach beschäftigen sich vor allem jüngere Patienten nach Abschluss der medizinischen Therapie verstärkt mit Themen wie Wiedereinstieg in den Beruf, Familienplanung, Partnerschaft, Sexualität und sozialer Absicherung - hierzu besteht ebenfalls viel Gesprächsbedarf.
Interview: Nicole Schaenzler

Gut zu wissen:

Ansprechpartner für Betroffene und Angehörige
• Interdisziplinäres Zentrum für Psycho-Onkologie, LMU Klinikum
www.lmu-klinikum.de/ccc/patientenportal/interdisziplinares-zentrum-fur-psycho-onkologieizpo/451f3f428f14ab55
• Patientenhaus am Comprehensive Cancer Center München (CCCM)
www.ccc-muenchen.de/patienten/patientenhaus-am-ccc-munchen/f4f7749f372a4538
• Krebsberatungsstelle lebensmut e.V.
https://lebensmut.org
• Krebsberatungsstellen der Bayerischen Krebsgesellschaft e.V.
www.bayerische-krebsgesellschaft.de
• Netzwerk Psychosoziale Onkologie München (N-PSOM) e.V.
https://n-psom.de/therapeutensuche
• Netzwerk Psycho Onkologie 5-Seen-Land/Oberland
Psychoonkologie 5Seen Oberland (psychoonko-5seen-oberland.de )
• Krebsinformationsdienst des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ)
www.krebsinformationsdienst.de/service/adressen/adressen-index.php

Er­schie­nen im Ta­ges­spie­gel am 02.02.2024

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