Er arbeitet auf internationaler Ebene, stets individuell und höchst verschwiegen: Im Türspalt des Designerapartments steht Cyril Vergniol, Inhaber des Innenarchitekturbüros Stylagos aus Paris. Dunkles Shirt, dunkle Hose – Vergniol wirkt unprätentiös. Gerade noch hat er einige Deko-Objekte auf einem Tisch arrangiert, nun führt er die Besucher durch den nach frischer Farbe riechenden living space. Mittig prangt ein langgezogenes Sofa, das zugleich als Raumteiler und Buchablage dient, die niedrigen Sessel in Cremeweiß erinnern an den Mid-Century-Stil. Von diesen Sitzen blickt man auf die offen gehaltene Miele-Küche mit dem monumentalen Arbeitsblock.
Vor den Fenstern: Die schmalen Boulevards von Manhattan, turmhohe Hochhäuser, Straßenschluchten. Die fertig gestaltenen Apartments beschließen ein Bauprojekt, von dem ganz New York sprach: Die Umwandlung des Art-Déco-Skyscrapers „One Wall Street“ (OWS) von 1931 – hier wurde ein Bürogebäude zu einer Wohnanlage mit Eigentumswohnungen umgebaut. Wo früher Banker ein und aus gingen, logieren heute Weltbürger mit exquisiten Ansprüchen. Und dem nötigen Portemonnaie dafür. Um den Verkauf der 566 feudalen Eigentumswohnungen anzukurbeln, ließ der örtliche Bauunternehmer Harry Macklowe einige Wohnungen als Designertraum gestalten. Hinter diesen „Beispielwohnungen“ steht eine eigene Zunft: das Homestaging. Voll möblierte und wohlgestaltete Wohnlandschaften, die den überbeschäftigten Kunden das neue Zuhause schmackhaft machen sollen. Gut ausgestattete Garniervorschläge also, die auf Wunsch mitsamt Inventar zu haben sind.
„Es liegt in der Natur des Homestaging, verschiedene Geschmacksrichtungen zu bedienen“, sagt Vergniol. „Doch ich lege in meiner Arbeit vor allem Wert darauf, einen starken Ausdruck zu kreieren, ob er nun positiv oder negativ empfunden wird. Ich will es nicht jedem recht machen oder einen Ort erschafffen, der gesichtslosen Hotelketten ähnelt“.
Dass Heimauststatter Vergniol gut fährt mit seiner Strategie, zeigen zahlreiche Auftragsarbeiten auf diversen Kontinenten. Die wichtigsten Eigenschaften des Designers? Stilgefühl, natürlich – und ein hohes Maß an Diskretion. Namen von Kunden oder Auftraggebern nennt Vergniol nicht. Nur das verrät er über sich: Aufgewachsen an der Elfenbeinküste in Westafrika besuchte er später ein Internat in Frankreich und absolvierte eine Business School. „Mein Metier habe ich dann als Partner von Alberto Pinto gelernt, damals einem der wichtigsten Interior Designer Frankreichs.
Nach 15 Jahren Zusammenarbeit verkaufte ich meine Anteile an die Pinto-Familie und gründete meine eigene Agentur Stylagos in Paris, in der Nähe des Elysée-Palasts. Meine ersten Aufträge führten mich nach Korea, in die Türkei, in die Vereinigten Staaten und natürlich auch zu Projekten hier in Europa.“
Rund zehn Mitarbeiter hat Stylagos heute, drei weitere in Athen, Griechenland. Zum Portfolio zählen High-End-Residenzen und Hotels wie das Crillon in Paris, Restaurants und auch die Boote der Klienten. „Mit hoher Diskretion und Respekt vor der Privatsphäre, man will nicht öffentlich dargestellt werden.“ Was den Stil von Stylagos ausmacht? „Klassischer Chic mit einem Touch eleganter Nüchternheit, mit besten Materialen und Oberflächen, manchmal in der Tradition der französischen Decorative Arts“. „Eklektisch“ nennt Vergniol seinen Ansatz und meint damit einen Mix aus Alt und Neu, aus Stilmöbeln, Fundstücken, Kunstwerken und eigenen Entwürfen.
Neben einem beinah enzyklopädischen Wissen über Stile, Kunst und Einrichten braucht so ein Undercover-Stylist vor allem beste Kontakte. Wie die Kunden ist auch jeder Auftrag andersartig. Wer trotzdem nachfragt, bekommt doch noch einige realisierte Projekte genannt, für Christian Dior Home Collection und Fendi Casa, für Domizile in Paris, London und Moskau, Miami und Istanbul, auf den Kykladen oder in der Schweiz. FRANZISKA HORN
Erschienen im Tagesspiegel am 11.02.2024