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"IMMER EINEN SCHRITT VORAUS"

DAS AUSSTELLUNGSGEBÄUDE DER LANGEN FOUNDATION IN HOMBROICH IST EIN MUSTER BEISPIEL DER SYNTHESE AUS MODERNE UND JAPANISCHER TRADITION. FOTO: ANIL ÖZTAS / STADT NEUSS

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"IMMER EINEN SCHRITT VORAUS"

Der autodidaktische ARCHITEKT TADAO ANDŌ schenkte dem Brutalismus Leichtigkeit

Er gehört zu den berühmtesten Architekten unserer Zeit. Seine mehr als 40 bedeutenden Großbauwerke weltweit weckten stets größtes Interesse und wurden vielfach ausgezeichnet, darunter mit dem Pritzker Architecture Prize Laureate 1995 und dem Praemium Imperiale 1996. Er bekleidete sechs Professuren in den USA und in seinem Heimatland Japan. Kurzum: Eine brillante Weltkarriere, die indes in Deutschland wohl gar nicht möglich gewesen wäre, denn Tadao Andō hat nie Architektur studiert. Er hat überhaupt nie studiert. 1941 in einem Randbezirk von Osaka geboren, lernte er lediglich bei einem Schreiner in der Nachbarschaft, mit Holz umzugehen, indem er Modelle von Schiffen, Flugzeugen und Gussformen anfertigte. Um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, wurde er allerdings Profiboxer. Doch anders als hierzulande, versteht man es in Japan, jede Lebenserfahrung sinnvoll zu nutzen. Später sollte Andō sagen: „Ebenso wie beim Boxen ist das Entwerfen von Architektur ein Kampf. Ich muss vorwärts gehen, immer einen Schritt voraus sein, sonst verliert man.“

Auf das Erleben kommt es an

Um zu gewinnen, muss man aber auch hart arbeiten. Und das tat er, nachdem ihm ein Buch mit Skizzen von Le Corbusier eine neue Welt eröffnete und eine neue Lebensaufgabe schenkte, zu der er sich berufen fühlte. Bis dahin hatte er nur einmal als Schüler in Tokio die Gelegenheit, international hochrangige Architektur zu sehen: das Imperial Hotel von Frank Lloyd Wright. In Abendkursen lernte er das Zeichnen, um seine Pläne entwerfen zu können, in Fernkursen Innenarchitektur, um die ästhetischen Prinzipien kennenzulernen. Und er ging von 1962 bis 1969 auf Reisen nach Europa, in die USA und nach Afrika. „Ich habe Architektur studiert, indem ich Gebäude besichtigte und Bücher über sie las“, sagte Andō in einem Interview 1995. Die Studien betrieb er äußerst akribisch, sodass er sogleich nach der Rückkehr das bis heute bestehende eigene Atelier Tadao Andō Architect & Associates in Osaka gründen konnte.

Das Erstaunliche ist aber, dass Andō in der Lage war, alle seine gesammelten Erfahrungen und Einblicke soweit zu verinnerlichen und intellektuell aufzuarbeiten, dass er auf Anhieb einen eigenen, ausgeprägten Baustil entwickelte. Er verstand es, den in jener Zeit weltweit verbreiteten Brutalismus, also die karge Sichtbetonbauweise, mit der japanischen Bautradition mit all ihren religiös-philosophischen Konzepten und dem Holz als Material zu einer Synthese sowie in Einklang mit dem jeweiligen Ort zu bringen. Sein Grundprinzip ist die Einfachheit des Gebauten und gezielte Lichtführung, um die Leere und den Raum für sich sprechen zu lassen. Die Schönheit der Zen-Philosophie steht dafür Pate und hat entsprechend als Ziel die innere Ruhe und den Seelenfrieden. Andōs Architektur will denn auch weniger gesehen, als erfahren und empfunden werden.

In der äußeren Erscheinung suchte Andō mit dünnem, plastisch formbaren Sichtbeton - Ausdruck von Reinheit und Schwerelosigkeit, wie im Ausstellungsgebäude der Langen Foundation in Hombroich von 2014 besonders eindrucksvoll umgesetzt - und dank geometrischer Grundformen die maximale Einfachheit zu erreichen. Die Schaltafeln orientieren sich in der Größe nach den Tatami-Matten, womit Andō seinen Bauwerken die menschliche Dimension zugrunde legt. Neben den Schalungsrändern verleihen die Rödellöcher, rein technisch von Schalungsankern erzeugt, den Wänden eine monotone Struktur. Das minimalistische Prinzip der Wiederholung und Reihung spielt also eine zentrale Rolle. Die Organisation der Räume ist allerdings meist komplex, denn es geht in der japanischen Bautradition darum, stets überraschende Raumwirkungen und ästhetisch interessante Sichtachsen herzustellen. Die Draufsicht auf das Westin-Hotel auf Awaji in Japan gibt eine Vorstellung von der Komplexität der inneren Raumorganisation.
In den letzten zwei Jahrzehnten widmete sich Tadao Andō Umwelt- und Naturprojekten, die vor allem das Leben im Einklang mit der Natur propagieren.

REINHARD PALMER

Er­schie­nen im Ta­ges­spie­gel am 07.12.2024

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