Welche Formen von Gelenkersatz setzen Sie im Bereich der Schulter primär ein?
Prof. Dr. Sandmann: Die sogenannte anatomische Prothese, die aus Gelenkkopf und Pfanne besteht, wird eingesetzt, wenn eine Schultergelenkarthrose vorliegt und die Rotatorenmanschette - also der „Motor“ der Schulter - funktioniert. Sollte dies nicht der Fall sein, setzen wir inverse Prothesen ein. Wie der Name schon sagt, findet sich bei dieser Art der Prothese eine umgekehrte Anordnung. Der kugelförmige Teil der Prothese wird am Schulterblatt, der schalenförmige Prothesenstiel im Oberarmschaft eingesetzt. Dadurch erhält die Schulter wieder ein festes Drehzentrum und der Delta-Muskel einen verbesserten Hebel, was zu einer Wiederherstellung der Schultermuskelfunktion führt.
Welche Methoden bevorzugen Sie hauptsächlich bei der Implementierung von Gelenkersatztechnologien?
Prof. Dr. Sandmann: Die Frage ist eigentlich, welches Implantat für welchen Patienten in Frage kommt, um, angepasst an die entsprechenden Bedürfnisse, auch das optimale Ergebnis erreichen zu können. Da spielt die sogenannte Modularität eine wichtige Rolle. Das bedeutet, dass die Prothese aus verschiedenen Komponenten zusammengesetzt wird und dadurch individuell auf den Arthrosegrad des einzelnen Patienten angepasst werden kann. Man kann sich das wie eine Art Baukasten vorstellen, aus dem die einzelnen Komponenten ausgewählt und entsprechend zusammengesetzt werden.
Auf welche Methoden stützen Sie sich, um eine präzise Prothesenauswahl entsprechend den individuellen Bedürfnissen des Patienten zu treffen?
Prof. Dr. Sandmann: Nach ausführlicher Anamnese folgt die entsprechende Bildgebung, bestehend aus einem Röntgenbild in zwei Ebenen und einer Schnittbildgebung (CT bzw. MRT). Diese werden in ein Softwareprogramm eingespielt, das mir ermöglicht, das Implantat bereits virtuell einzupassen und Implantatgröße oder Prothesenlage optimal zu planen. Gerade bei Knochendefekten oder starker Gelenkabnutzung kann dies sehr hilfreich sein. Bei der Operation wird mit einem Zielgerät die kalkulierte Resektionsebene genau vorgegeben, sodass das Implantat präzise implantiert werden kann. Die Wahrscheinlichkeit einer ungenauen Prothesenplatzierung kann dadurch erheblich minimiert werden, was die Lebensdauer der Prothese erhöht und Komplikationen minimiert.
Welche zeitlichen Rahmenbedingungen umfasst der Genesungsprozess und in welchem Ausmaß können Patienten eine Wiedererlangung ihrer Mobilität erwarten?
Prof. Dr. Sandmann: Die Rehabilitation nach einer Schulterprothese ähnelt der Rehabilitation nach dem Gelenkersatz an anderen großen Gelenken. Nach dem Eingriff wird das Gelenk für die ersten drei Wochen geschont. Neben Lymphdrainage erfolgt schon während des stationären Aufenthaltes Physiotherapie. In aller Regel schließt sich dann eine Reha-Phase an. Nach sechs Wochen hat das Gelenk schon meist eine gute Mobilität. Physiotherapie wird aber in der Regel für die ersten drei bis vier Monate durchgeführt.
Welche Fortschritte und Innovationen in der Endoprothetik erwarten Sie in den nächsten zehn Jahren?
Prof. Dr. Sandmann: Durch die individuelle präoperative Planung, die Verbesserung der Prothesen durch modulare Komponenten und virtuelle CT-basierte Zielinstrumente haben wir schon einen großen Schritt nach vorne gemacht. Die Navigation, wie sie heute ja aus keinem Auto mehr wegzudenken ist, wird flächendeckend zur Anwendung kommen und zum Standardrepertoire in der Schulterendoprothetik gehören. Dies gilt ebenfalls für Augmented Reality und KI (Künstliche Intelligenz). Auch diese Hilfssysteme werden uns Chirurgen helfen, manches besser zu machen und die Prothese noch optimaler an die individuellen, anatomischen Gegebenheiten anzupassen. Aber auch bei Ausfall der Assistenzsysteme muss der Chirurg noch in der Lage sein, die OP optimal auszuführen - das wird sich auch in den nächsten zehn Jahren nicht ändern.
Schulterzentrum Sporttraumatologie
Prof. Dr. med. Gunther Sandmann & Prof. Dr. med. Peter Habermeyer
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Sprechstunden: Mo. - Fr. nach Vereinbarung
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Erschienen im Tagesspiegel am 17.05.2024