Es war eine Idee, die sich der Schweizer Andreas Keel 2009 einfach in den Kopf gesetzt hatte: Eine Badewanne aus Beton musste her, fürs traute Eigenheim. Ein origineller Einfall. In Ralph Siebenthal fand Keel den passenden Kompagnon und Sparringspartner, der das kühne Projekt im Rahmen seines Baugeschäfts realisierte. 2011 war die Wanne voll, fertig zum Planschen also, und der Entwurf überzeugte, sodass die ergonomisch geformte Wanne alsbald im Museum für Moderne Kunst in Barcelona ausgestellt wurde.
Dem Beton blieb Andy Keel treu und gründete sein Label „Dade Design“ in Altstätten in der Schweiz und entwarf Möbel für Küche, Bad und den Outdoorbereich, ganze Monoblöcke als Arbeitsinseln, Waschtische und Pools sowie Badebrunnen für den Garten, alles gefertigt aus sogenanntem ROC Hochleistungsbeton. Bei Mobiliar sollte es nicht bleiben. Was als Start-up in der Garage begann – eine fast schon prototypische Gründerstory – nimmt heute 800 Quadratmeter Produktions- und Ladeflächen ein, mit eigenem Betonwerk, immer noch am Standort Altstätten in der Nähe des Bodensees. Geliefert wird weltweit und, darauf sind die Gründer stolz, seit 2016 CO2-neutral.



Mit den Jahren rückten Aspekte der Nachhaltigkeit immer mehr in Fokus und Arbeitswelt des Unternehmers. Ganz im Sinne von „think big!“ baute er ein zweites Unternehmen namens Openly in der Nähe auf: „Valley Wildnau“ heißt das 20 Millionen schwere, CO2-neutrale Pilotprojekt, wohl größtes Hanfbetonhaus Europas. Zusammen mit dem Holzsystembauer Schöb AG aus Gams im Kanton St. Gallen entwickelte Keel hierfür eigene Holzbau-Fertigelemente, die mit Hanfbeton ausgefacht werden.
Warum Hanf? Weil die Pflanze durch Photosynthese Kohlenstoff aus der Luft stabil in den Pflanzenfasern speichern kann, so die Begründung. Im Detail heißt das: Wegen der Kohlenstoffbindung während des Wachstums der Hanfpflanze besitzt der Baustoff eine negative CO2-Bilanz und fungiert somit als CO2-Senke. Ursprung des von Openly verwendeten Hanfs ist derzeit Frankreich, aber auch in der heimatlichen Schweiz wird die Nutzpflanze angebaut. Hanf wächst in 110 Tagen erntereif, seine Fasern sind extrem stark, dicht und isolierend. Verwendet werden die Schäben, so heißt das Leichtholz der Pflanze. Mit diesen Eigenschaften kann Hanfbeton die Temperatur im Haus konstant halten und Wärme speichern, ist zudem atmungsaktiv, schalldämmend und feuchtigkeitsbeständig.
Ihren klimapositiven Hanfbeton oder Hempcrete nennen die Macher „Cancrete“. Laut Eigenaussage kann in der CO2-Bilanz ein Kubikmeter Hanfbeton einen ganzen Kubikmeter Transportbeton kompensieren. Die Zutaten dafür: Hanf, Kalk, Wasser und wenig Zement. Weil das Material jedoch nur minimale statische Eigenschaften besitzt, wird es stets mit einer Stützkonstruktion aus Holz oder Beton eingesetzt. So möchte das bionische Bausystem laut Website eine architektonische „Lösung für Architekten, Bauherren, Unternehmen und Investmentfonds zur Erreichung ihrer ESG-Ziele“ bieten.
Über 19 Wohnungen verfügt das Mehrfamilienhaus „Valley Wildnau“ im Hanfbetonbau. Eingesetzt wurden hierfür 400 Kubikmeter Hanfbeton und 2600 Kubikmeter Hanfziegel, ebenso wie 1000 Kubikmeter eigens entwickelter Pflanzenkohle-Beton. Außerdem wiederverwendete man Stahlträger aus einem Gebäudeabbruch. Das Ziel? „Mit Openly will ich einen Schritt weiter gehen und mehr Impact für die nachhaltige Entwicklung des Baugewerbes erzielen“, sagt Keel. Zudem steht das System allen zur freien Verfügung, da man damit einen Beitrag zum Klimawandel leisten will. „Wir haben dieses bionische, an der Intelligenz der Natur orientierte Bausystem realisiert, damit es vielfach von Bauträgern und Architekten genutzt werden kann“. Zusatzinfo: Natürlich kann Hanfbeton auch für die Renovierung von bestehenden Gebäuden genutzt werden, um diese von innen und außen zu dämmen. FRANZISKA HORN
Erschienen im Tagesspiegel am 11.02.2024