Glasbausteine im Wohnbereich hatten noch bis vor Kurzem ein ähnlich verheerendes Image wie der braune Couchtisch mit Fliesenoberfläche oder die Wohnzimmerwand im Gelsenkirchener Barock. Die beiden Letzteren dürfte wohl nach wie vor kaum jemand vermissen, doch bei den Glasbausteinen, den Häuslebauer-Insignien der 1960er- und 1970er-Jahre, sieht es glücklicherweise inzwischen wieder etwas anders aus. Denn trotz aller Schmähungen der letzten Dekaden zeichnet sie ja ihre geradlinige Ästhetik aus: Die schnörkellose Form und die Varianz im durchscheinenden Material machen sie zu vielseitigen Design-Elementen. Profis aus Architektur, Handwerk und Gestaltung entdecken sie daher wieder neu und setzen sie in einen zeitgemäßen Kontext.
Nicht nur im Interior-Bereich, sondern auch in der Gebäudehülle. Denn im Gegensatz zu früher sind die durchscheinenden Quader keine Gefahr mehr für die Energieeffizienz eines Bauwerks. Dank der verbesserten Herstellungsart durch Pressen und Erhitzen entsteht im Inneren des Steins ein Vakuum, das Wärmespeicherung ermöglicht und die gefürchteten Kältebrücken vermeidet. So können auch moderne Treppenhäuser wieder auf spezielle Art belichtet werden, ohne zu viel Einblick in die Privatsphäre zu erlauben. Im Innenraum eines Hauses oder einer Wohnung sind die Glasbausteine von heute optisch vielleicht sogar noch etwas wirkungsvoller als von außen, gerade im Zusammenspiel mit anderen Materialien. Kombiniert mit Sichtbeton bringen sie trotz des gläsernen Antlitzes einen Hauch Wärme in den Look, im Bad sehen sie zusammen mit Holz und als Alternative zu Fliesen richtig edel aus, und als Raumtrenner vermögen sie Struktur zu geben, ohne insgesamt zu wuchtig zu erscheinen.
KAI-UWE DIGEL
Erschienen im Tagesspiegel am 07.06.2025
