AIs das Aids-Virus in Afrika erstmals in Erscheinung trat, geschah dies zunächst mehr oder weniger völlig unbemerkt. Aids steht für „acquired immune deficiency syndrome“, was übersetzt so viel wie „erworbenes Immunschwächesyndrom“ heißt. In der zweiten Hälfte der 70er-Jahre wurden laut Robert-Koch-Institut „retrospektiv die ersten HIV-Infektionen in Deutschland beschrieben“. In der ersten Hälfte der 80er-Jahre begann dann die, zunächst noch unerkannte, Ausbreitung des Virus, die 1985 mit 5000 Neuinfektionen ihren Gipfel erreichte. Als eigenständige Krankheit anerkannt wurde Aids 1981 durch die US-Bundesbehörde Center for Disease Control.
„Unterscheiden muss man aber zwischen Aids und HIV-positiv, das vielfach mit Aids gleichgesetzt wird“, erklärt Dr. Stefan Günther, Leiter des Gesundheitsamts für den Landkreis Weilheim-Schongau, und fährt fort: „Während die HIV-Infektion, die Abkürzung steht für human immunodeficiency virus, bedeutet, dass ein Patient zwar bereits mit dem Virus infiziert, also HIV-positiv ist, spricht man von Aids nur dann, wenn die für den Virus typischen Krankheiten, also zum Beispiel lebensbedrohliche Infektionen mit Bakterien, Pilzen, anderen Viren und Parasiten bis hin zu Tumoren, bereits ausgebrochen sind.“ Häufige Symptome für eine akute HIV-Infektion sind, neben vielen anderen, Fieber, Müdigkeit, Unwohlsein, Kopfschmerzen, Appetitverlust, Hautausschlag, Übelkeit, Nachtschweiß oder Gewichtsverlust. Da diese Symptome jedoch sehr unspezifisch sind und zahlreiche andere Ursachen dafür ausschlaggebend sein können, bleiben viele HIV-Infektionen zunächst unerkannt. Nur ein HIV-Test kann hier Gewissheit bringen. Dieser wird bei den Gesundheitsämtern nach wie vor kostenlos und anonym angeboten. In Weilheim etwa jeden Donnerstag von 16 bis 17.30 Uhr.
Hohe Dunkelziffer bei HIV-Infektionen
Die HIV-Infektion gehört zu den sexuell übertragbaren Krankheiten, wie etwa Syphilis, Gonorrhoe, besser bekannt als „Tripper“, oder Pilzinfektionen. Während diese jedoch behandelbar und rechtzeitig erkannt - auch heilbar sind, galt in den 80er-Jahren eine HIV-Infektion als nahezu sicheres Todesurteil, denn es gab keinerlei Medikamente gegen das Virus (wie so vieles aus der Medizin kommt das Wort „Virus“ aus dem Lateinischen und bedeutet eigentlich Schleim, Saft oder Gift).
„Wenngleich die Krankheit nach wie vor unheilbar ist, kann sie inzwischen jedoch erfolgreich behandelt werden“, sagt Dr. Günther. Seit 1996 nämlich gibt es entsprechende Medikamente. „Bundesweit gibt es derzeit rund 127.000 HIV-positiv getestete Personen, bayernweit sind es mit Stand 2021 etwa 12.200 Personen“, informiert der Chef des Gesundheitsamts. Laut des „Gemeinsamen Programms der Vereinten Nationen für HIV und Aids“ gab es im Jahr 2022 weltweit 39 Millionen HIV-positive Menschen. „Nicht außer Acht lassen darf man bei all diesen Zahlen natürlich die Dunkelziffer, denn viele, die das Virus in sich tragen, wissen nichts davon, da sie keinerlei Symptome bemerken oder die Symptome, die sie bemerken, anderen Ursachen zuordnen“, sagt Dr. Günther. Daher empfiehlt er, wenn man unsicher ist oder zu besonders gefährdeten Personenkreisen gehört, sich im Zweifelsfall immer testen zu lassen. Auch wenn ein positiv ausfallender Test nach wie vor ein heftiger Schlag sei, könne man mit einer HIV-Infektion heute besser leben als vor oder um 1996, dem Jahr in welchem man erstmals Medikamente zur Behandlung von Aids entdeckte. Während man zu Beginn der Medikation nämlich noch etwa dreißig Tabletten am Tag, ganz streng nach der Uhr, einzunehmen hatte, sind es heute nur noch zwei Tabletten täglich, die einem HIV-Infizierten die Chance geben, auch wenn er sich die Krankheit in frühen Jahren zugezogen hat, ein hohes Alter zu erreichen.„Das ist zweifellos eine gute Nachricht“, so der Mediziner.
Sorglosigkeit nimmt zu
Doch wie alles hat auch dies zwei Seiten. „Die gute Behandlungsmöglichkeit von HIV hat leider auch zu einem sehr viel sorgloseren Umgang mit der Krankheit geführt“, bedauert Dr. Günther. Das ist die schlechte Nachricht. Galt Aids früher fast ausschließlich als eine Krankheit, die bevorzugt homosexuelle Männer und Hämophilie-Patienten betraf (Hämophilie ist eine Erbkrankheit, die zu einer Störung der Blutgerinnung führt), so kann heute davon keine Rede mehr sein. Durch den allgemein lockereren Umgang mit der Sexualität, womöglich auch bedingt durch die vielen Dating-Portale, ist die Bandbreite der Infizierten größer geworden, sodass auch heterosexuelle Menschen aus allen Kreisen davon bedroht sind. Auch und gerade in der Drogenszene ist das Risiko, sich etwa durch nicht sterile Nadeln zu infizieren, nicht gerade gering. Eben dieser sorglosere Umgang mit der Krankheit führt dazu, dass immer mehr auf Kondome verzichtet wird, eine Tatsache, die dann im Gegenzug zum Anstieg weiterer sexuell übertragbarer Krankheiten, nämlich wie schon erwähnt Tripper und Syphilis führen kann, von Pilzinfektionen ganz zu schweigen.
„Eine Infektion mit HIV hat heute ein wenig von ihrem Schrecken verloren“, erklärt Dr. Günther. Nichtsdestoweniger ist sie nach wie vor präsent und bedarf immer noch einer lebenslänglichen Behandlung. Und nach wie vor wird daran gearbeitet, neue Medikamente zu finden, denn die Nebenwirkungen der heute gebräuchlichen „sind nicht ohne“, wie der Experte ausführt. So können beispielsweise Übelkeit, Kopfschmerzen, Erbrechen sowie Magen-Darm-Probleme als Nebenwirkungen auftreten. Auch nach einer Möglichkeit zur Impfung wird geforscht, „aber da ist bislang noch nichts in der Pipeline“.
Einen gewissen Erfolg konnte man hingegen in Sachen Prävention erzielen. So gibt es inzwischen die Präexpositionsprophylaxe, bei der HIV-negative Personen präventiv Medikamente einnehmen, um sich so vor einer möglichen Ansteckung mit dem Virus zu schützen. So kann das Risiko einer Ansteckung, beispielsweise bei ungeschütztem Geschlechtsverkehr, verringert werden. Die Weltgesundheitsorganisation hat sich für 2025 die „95-95-95“-Lösung zum Ziel gesetzt. Das heißt, dass 95 Prozent der HIV-Infizierten von ihrer Infektion wissen sollen, von diesen 95 Prozent wiederum 95 Prozent in einer entsprechenden Therapie sein sollen und bei 95 Prozent derer, die in Therapie sind, die Viruslast unter der Nachweisgrenze liegen soll.
Auf die Frage, ob Aids wohl irgendwann vielleicht heilbar sein kann, antwortet Dr. Stefan Günther: „Ich würde es mir sehr wünschen, aber ich glaube nicht, dass das noch zu meinen Lebzeiten der Fall sein wird.“
Bis dahin gilt auf jeden Fall sein Rat: „Durch den Gebrauch von Kondomen, sterilen Nadeln beim Stechen von Piercings oder Tätowierungen sowie einer strikten Kontrolle des Bluts im Rahmen von Blutspenden kann man einer Infektion ziemlich sicher entgehen.“
Michael K. Albrecht
Zahlen - Daten - Fakten
HIV-Infektionen und Aids sind durch die Corona-Pandemie etwas aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit geraten. Das soll und darf aber nicht sein, denn die Zahl der Betroffenen ist global betrachtet - erschreckend hoch:
* 2022 lebten weltweit 39 Millionen Menschen mit HIV.
* 86 Prozent wussten von ihrer HIV-Infektion.
* 28,7 Millionen (76 Prozent) hatten Ende 2022 Zugang zu HIV-Medikamenten.
* 1,3 Millionen Menschen infizierten sich 2022 weltweit neu mit HIV.
* 630.000 Menschen starben im Zusammenhang mit ihrer HIV-Infektion.
(Quelle: Deutsche Aidshilfe) dfr
Erschienen im Tagesspiegel am 17.05.2024