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Die körpereigene Abwehr nutzen

Derzeit stehen Krebstherapien mit mRNA-Impfstoffen im Fokus der Forschung. Foto: Adobe Stock, Kl-generiert

SPEZIAL WELTKREBSTAG

Die körpereigene Abwehr nutzen

Die Immuntherapie hat sich vom Hoffnungsträger zu einem anerkannten Behandlungskonzept gegen verschiedene Krebserkrankungen entwickelt

Vermutlich nicht für alle, aber doch für eine Reihe von Krebsarten werden Immuntherapien über kurz oder lang unverzichtbarer Teil des Behandlungskonzepts sein. Anders als etwa die klassische Chemotherapie ist die immunonkologische Therapie jedoch in der Regel nicht darauf ausgerichtet, den Tumor direkt anzugreifen - dieser Part wird dem körpereigenen Immunsystem überlassen, das in die Lage versetzt werden soll, Krebszellen aufzuspüren und anzugreifen. Hierbei macht man sich zunutze, dass das körpereigene Abwehrsystem durchaus über sehr effiziente Strategien verfügt, um bösartig mutierte Körperzellen zu eliminieren - und dies sogar noch, wenn die Krebserkrankung bereits fortgeschritten ist. Das Problem: Krebszellen sind dem Immunsystem oft einen Schritt voraus und bedienen sich zudem zahlreicher Tricks, um der Immunabwehr zu entgehen. Sie senden hemmende Signale aus, die den Angriff der Immunzellen abblocken, schalten auf ihren Oberflächen verräterische Strukturen (Tumorantigene) ab oder nehmen Merkmale von spezialisierten Immunzellen an. Diese Tarnung ist so perfekt, dass sie wie gesunde Zellen aussehen und vom Immunsystem nun nicht mehr als fremd erkannt werden können. Es bedarf deshalb geeigneter Zielstrukturen, die eine Krebszelle von einer gesunden Körperzelle unterscheiden.
Mögliche Angriffspunkte, die Täuschung von Krebszellen auffliegen zu lassen und den Immunreaktionen der Körperabwehr wieder zu mehr Effizienz zu verhelfen, gibt es viele. Dementsprechend breit gefächert ist inzwischen das Spektrum an immuntherapeutischen Ansätzen. Noch sind viele von ihnen keine Standardtherapie, in spezialisierten onkologischen Zentren und Universitätskliniken werden einige jedoch inzwischen routinemäßig eingesetzt. Hier ist es außerdem möglich, Zugang zu (noch) nicht zugelassenen Immuntherapeutika unter kontrollierten Bedingungen im Rahmen von klinischen Studien zu bekommen. Außerdem ist man in den spezialisierten Zentren gut vorbereitet, falls es zu Nebenwirkungen kommt. Diese unerwünschten Wirkungen, die von Entzündungen im Darm, der Nieren oder auf der Haut bis hin zu lebensbedrohlichem Leberversagen reichen können, sind vor allem auf den aktivierenden Effekt zurückzuführen, den die Wirkstoffe auf das körpereigene Immunsystem haben. Dann kann es passieren, dass das Immunsystem ähnlich wie bei Autoimmunerkrankungen - mit einer überschießenden Immunaktivität reagiert und an Organen Entzündungsprozesse auslöst.

Immun-Checkpoint-Therapie

Eine der bekanntesten Immuntherapien ist die Immun-Checkpoint-Therapie mit Checkpoint-Hemmern oder Checkpoint-Inhibitoren, wie sie in der Fachsprache heißen. Das sind Medikamente, die sich gezielt gegen die Strategie von einigen Krebszellen richten, zentrale Kontrollpunkte des Immunsystems, die Checkpoints, so zu manipulieren, dass sie als schädliche Zellen unerkannt bleiben und der Immunabwehr entgehen. Beispielsweise können Krebszellen Immun-Checkpoints dazu nutzen, falsche Signale zu senden, um auf diese Weise die Aktivität von T-Zellen zu drosseln, die normalerweise krankhaft veränderte Zellen an ihren Antigenen erkennen und bekämpfen. Das Ergebnis ist eine unkontrollierte Vermehrung der Krebszellen. Die Checkpoint-Inhibitoren wirken dem „Missbrauch“ der Krebszellen entgegen, indem sie die manipulierten Immuncheckpoints blockieren und es dem Immunsystem wieder ermöglichen, eine Immunantwort gegen die Krebszellen einzuleiten und diese anzugreifen.
Bisher kommt die Immuntherapie mit Checkpoint-Inhibitoren vor allem bei Patientinnen und Patienten mit einer fortgeschrittenen oder metas-tasierten Krebserkrankung zum Einsatz, etwa bei Melanomen, Hodgkin-Lymphom, Lungenkrebs, Kopf-Hals-Tumoren, Blasen- oder Nierenzellkrebs. Es kann auch sein, dass die Therapie mit anderen Behandlungsformen wie der Chemotherapie oder einem anderen Checkpoint-Inhibitor kombiniert wird. Die Erfolge sind beachtlich: Bei einigen Patienten bilden sich hierdurch sogar bereits fortgeschrittene Tumore zurück. Allerdings: Nicht jeder Betroffene spricht auf die Therapie an. Deshalb läuft die Forschung auf Hochtouren, um sogenannte Biomarker zu identifizieren, die Auskunft darüber geben, ob ein Krebspatient von der Immuntherapie profitiert oder nicht.

CAR-T-Zell-Therapien

Forscher haben Wege gefunden, Immunzellen von krebskranken Patienten im Labor so zu verändern, dass diese gegen Krebszellen sehr viel effektiver vorgehen können - auf diesem Prinzip basieren die CAR-T-Zell-Therapien. Zunächst werden dem Patienten körpereigene T-Zellen über eine Blutentnahme entnommen, die dann in einem hochspezialisierten Labor gentechnisch verändert werden. Am Ende stellen diese T-Zellen einen speziellen Rezeptor, den sogenannten chimären Antigen-Rezeptor (CAR), her - aus den T-Zellen sind CAR-T-Zellen geworden, die der Patient als Infusion zurückerhält. Die CAR-T-Zellen binden im Körper nun gezielt an die Krebszellen an und lösen so eine Immunreaktion zur Beseitigung der Krebszellen aus. Bei einigen Leukämien und auch bei Lymphomen haben sich CAR-TZell-Therapien als sehr effektiv erwiesen. Oft sind sie der letzte Ausweg für die Betroffenen, weil vorangegangene Behandlungen nicht ausreichend wirksam waren. Von der Herstellung der CAR-T-Zellen, die sehr aufwendig ist, bis zur CAR-T-Zell-Infusion können allerdings mehrere Wochen vergehen. In dieser Zeit erhalten die Patientinnen und Patienten oft eine Überbrückungstherapie - meist eine Chemotherapie. Derzeit wird der Einsatz von weiteren Zelltherapien auf Basis neuer therapeutischer Zielmoleküle geprüft, ebenso stehen neue Therapieansätze im Fokus der Forschung, um CAR-T-Zell-Therapien auch für andere Krebsarten wie Eierstockkrebs, Sarkome oder Magenkrebs zu erschließen.

Therapeutische Krebsimpfung mit mRNA

Einige vorbeugende Impfungen gegen krebsauslösende Erreger, zum Beispiel humane Papillomaviren (HPV), sind bereits etabliert. Derzeit befinden sich jedoch weltweit auch eine Reihe von therapeutischen Krebsimpfstoffen in der klinischen Prüfung, die gegen verschiedene Krebsarten entwickelt wurden wie Melanome, Hirntumore, Brust-, Prostata- und Eierstockkrebs, Nierenzell-, Darm-, Leber- oder Lungenkrebs. Sie alle basieren auf dem Prinzip der Immuntherapie: Das Immunsystem von Krebspatientinnen und -patienten in die Lage zu versetzen, Krebszellen zu erkennen beziehungsweise wiederzuerkennen und wirkungsvoll zu bekämpfen. In Studien werden derzeit verschiedene Ansätze untersucht, allen voran individuelle Krebstherapien mit mRNA-Impfstoffen. Ziel ist, das Immunsystem gegen spezifisch veränderte Proteinstrukturen auf den Oberflächen von Krebszellen (Neoantigene) scharfzumachen. Das Besondere an den mRNA-Impfstoffen ist, dass sie nur den Code der Krebsproteine enthalten. Dieser Code dient den körpereigenen Zellen als Bauanleitung, nun das gleiche Neoantigen zu erzeugen, das auch die Krebszellen tragen. Auf diese Weise kann das Immunsystem Krebszellen nun als fremd erkennen, die angegriffen und zerstört werden müssen. Bis es die therapeutischen Impfstoffe in die Patientenversorgung schaffen, wird es allerdings noch eine Weile dauern. Andere Immuntherapien sind dagegen kurz davor, sich als Standardtherapie zu etablieren - auch, weil die Ergebnisse insgesamt ermutigend sind: Viele immuntherapierte Krebspatienten haben bislang keinen Rückfall erlitten. Ob man wirklich von Heilung sprechen kann, bleibt abzuwarten.
Nicole Schaenzler

Längst etabliert:

Monoklonale Antikörper in der Immuntherapie

Die Immuntherapie mit gentechnologisch hergestellten monoklonalen (gleichartigen) Antikörpern hat bereits einen festen Platz in der Krebstherapie: Sie binden direkt an der Oberfläche von Krebszellen an und blockieren unter anderem die Wachstumssignale ins Innere der Krebszellen, um so das Tumorwachstum zu hemmen. Bewährt hat sich eine Therapie mit monoklonalen Antikörpern zum Beispiel in der Therapie von HER2-positivem Brustkrebs, fortgeschrittenem Darmkrebs mit nachgewiesenem EGF-Rezeptor auf den Krebszellen, aber auch bei systemischen Krebserkrankungen wie Lymphome und Leukämien.
Relativ neu sind sogenannte bispezifische Antikörper. Sie bestehen aus Bestandteilen von zwei unterschiedlichen monoklonalen Antikörpern und vereinen zwei Prinzipien in sich: Zum einen richten sie sich direkt gegen die Krebszellen, indem sie an ihre Oberfläche binden, zum anderen rekrutieren sie körpereigene T-Zellen, die Krebszellen zerstören sollen. Bei einigen Krebsarten kommen bispezifische Antikörper bereits zum Einsatz, etwa bei der akuten lymphatischen Leukämie oder dem follikulären Lungenkrebs. Andere werden gerade in Studien getestet, zum Beispiel in der Behandlung von Prostatakrebs.
schae

Er­schie­nen im Ta­ges­spie­gel am 02.02.2024

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