Nur an wenigen Orten scheint die Belle Époque so lebendig wie in der ungarischen Hauptstadt. Hier finden sich zahlreiche Beispiele dieses so dekorativen, detailreichen Stils, der für die „Budapester Sezession“ als Ausformung der Art Nouveau steht. Manch ein Gebäude erzählt hier von der glanzvollen Ära des alten Österreich-Ungarns, als Franz Joseph I. und seine Ehefrau Elisabeth - unsere Sisi! - die Geschicke der k.u.k.-Monarchie bestimmten.
Ein authentisches Beispiel ist das Luxushotel „Anantara New York Palace Budapest“ am nach Sisi benannten Erzsébet Boulevard, das seinen Gästen ein tiefes Eintauchen in alte Zeiten ermöglicht-bei allen Annehmlichkeiten von heute. Das Gebäude wurde im Jahr 1894 als europäischer Hauptsitz der amerikanischen New York Life Insurance Company erbaut, damals einer der wichtigsten Versicherungsgesellschaften der Welt, die übrigens heute noch besteht. Mit dem Bau wurde der heimische Architekt Alajos Hauszmann aus Buda beauftragt. Sein Gebäude zeigt einen eklektischen Stilmix, der sich auf die Renaissance, auf Barock und Art Nouveau bezieht. Während in den beiden unteren Stockwerken die Büros der Versicherung lagen, dienten die oberen Etagen als Wohnräume der Angestellten.
Mit dem Bau wurde 1994 auch das „New York Café“ eröffnet, das die gesamte Grandezza eines Kaffeehauses des Habsburgerreichs spiegelt. Damals ein Treffpunkt für Literaten, Poeten, Schauspieler und Journalisten, galt das „New York Café“ mit seinen illustren Fresken, italienischen Kristalllüstern, Statuetten und goldfarbenen Verzierungen schnell als „schönstes Café der Welt“. Bis heute bilden sich tagsüber und in den Abend hinein lange Menschenschlangen, um einen Tisch zu ergattern und dazu einen Cappuccino mit 24 Karat-Goldstaub zu bestellen - vor allem aber, um auf den höchst repräsentativen Treppen und Balkonen Instagram-Bilder für die Ewigkeit zu produzieren. Ein Dachbrand im Jahr 1903 konnte dem Steinbau nichts anhaben, während des Ersten Weltkriegs bevölkerten Soldaten die Räume. Im Zweiten Weltkrieg wurden Teile des Hauses beschädigt, danach wurde es in der Ära des Kommunismus beschlagnahmt, das Café geschlossen, denn es galt, den Austausch freier Rede an öffentlichen Orten zu unterbinden.
Nach wechselvollen Zeiten wurde das Gebäude 2006 von der Hotelkette Boscolo renoviert und zum Hotel umgebaut, das Café im ursprünglichen Glanz wieder eröffnet. 2018 wurde der Komplex von The Minor Hotels übernommen, Muttergesellschaft der Anantara Hotels & Resorts - ein Glücksgriff für Besucher aus aller Welt und für die Stadt selbst, denn das The New York Café ist eine Hauptattraktion mit historischem Flair. Mutig dagegen gesetzt sind die Umbauten durch den österreichischen Architekten Eduard Nopp und TBC Interiors aus Madrid. Eine warme Palette erdiger Töne mit bronzefarbenen Effekten zieht sich durch viele der 185 Zimmer und Suiten des gediegenen Fünfsternehauses, Mobiliar und Deko-Elemente spielen gekonnt auf die Formensprache des Art Nouveau an.
Erster Aha-Moment ist das Betreten der großen Lobby - der frühere Innenhof des Palastbaus wurde mit einem Glasdach gedeckt und leitet Tageslicht in das monumentale Atrium mit seinen zahlreichen Etagen und Bogengängen. In den lockeren Sitzgruppen mit ihren komfortablen Polstermöbeln kann der Gast nun überlegen, ob er seinen Imbiss im The New York Café einnimmt oder lieber im White Salon original ungarische Gerichte wie Paprikahähnchen und Gulasch auf gehobenem Niveau diniert. Nach dem Essen bietet sich ein Pálinka (so heißt der ungarische Schnaps) in der hauseigenen Poet Baran, gefrühstückt wird im Deepwater Restaurant zwischen Terrazzosäulen und vergoldetem Stuck. Das Fazit: Ein Hotel, das mehr ist als die Summe seiner Teile - vielmehr eine Institution, die die Geschichte von Budapest erlebbar macht. Mit einer Detailverliebtheit, die heutzutage selten geworden ist.
FRANZISKA HORN
Erschienen im Tagesspiegel am 05.10.2024