Süddeutsche Zeitung

Streit bei den Münchner Philharmonikern:Weltstadt mit Zweifeln

Die Stadt streitet mit Christian Thielemann, Generalmusikdirektor der Münchner Philharmoniker, über eine Verlängerung seines Vertrags. SZ-Leser sind sich uneins, ob er bleiben soll.

"Thielemann muss bleiben!" schrieb Joachim Kaiser am 23. September. Die Leser sind gespalten:

"Man will einen starken Charakter mit Charisma an der Spitze, der aber bitte schön auch nachgiebig und überhaupt lieb und kuschelig sein soll; man will einen international geachteten und renommierten Dirigenten, der aber auf gar keinen Fall mit anderen Orchestern auftreten darf; einen Weltstar, der aber eigentlich nicht so oft in Bayreuth und Wien weilen soll; man will jemanden, der ständig in München präsent ist, gleichzeitig aber auch ganz viele tolle Gastdirigenten; man will ein breitgefächertes Programm, aber dann sollen die Gastdirigenten sich doch auch am schmalen Repertoire von Christian Thielemann bedienen dürfen.

Ja, was denn nun? Mir wäre es natürlich sehr lieb, wenn Thielemann nach Dresden käme. Vielleicht hat ja wenigstens die Staatskapelle Dresden gelernt, dass man, wenn man einen teamfähigen, gerne durch die Welt jettenden, alles dirigierenden Chef sucht, meist das Gegenteil eines faszinierenden Künstlers bekommt, nämlich einen Riesenlangweiler wie Fabio Luisi."

Christine Heinke Dresden

Inkarnation der Wegwerfgesellschaft

"Es ist peinlich, dass sich der musikalisch inkompetente Stadtrat und unser Intendant hier als Inkarnation der Wegwerfgesellschaft erweisen - nicht bereit, einem Dirigenten von Rang die Zeit zu bewilligen, die er bräuchte, um das Orchester klanglich zu formen und schließlich nach seinen Vorstellungen zu vollenden.

In eine Zeit, in der nichts zu schnell gehen kann und Geduld in allen Lebenslagen als geradezu archaisch angesehen wird, scheinen sich diese Verantwortlichen wohl gut einzufügen. Christian Thielemann ist der Dirigent in München, der unserer Stadt höchstes Niveau verleiht."

Daniel Bayerstorfer München

Das Recht der Abonnenten

"Ja, Herr Thielemann soll weiter hier dirigieren, auch als Chef. Allerdings haben wir Zuhörer unverändert das Anliegen an ihn und die Stadt, dass er seine Präsenz, seine Auftrittshäufigkeit spürbar erhöht. Wenn Herr Thielemann zum Beispiel von den acht Aboreihen nicht nur jeweils zwei, sondern vier übernimmt, haben alle, auch wir Konzertbesucher, etwas davon.

Herr Thielemann hat auf ganz selbstverständliche und naturgegebene Weise weitreichende Chefkompetenzen, und das Orchester der Stadt wird - auf ebenso natürliche Weise - ein, das Spitzenorchester. Das Beispiel des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks und anderer großer Orchester, die sich - ganz dem Zeitgeist ergeben - einen Dirigenten mit einem, ja zwei oder sogar drei anderen Dirigierplätzen buchstäblich teilen, zeigt musikalisch sehr wohl, dass gerade auf diesem Niveau aus mehr auswärtigen Dirigaten am Ende doch weniger gute Musik wird. Auch Spitzendirigenten müssen nämlich viel Zeit mit "ihrem" Orchester aufwenden, damit tatsächlich und vor allem stetig Spitzenleistungen herauskommen."

Robert Vorwallner München

Von Bob Dylan nie etwas gehört

"Warum will Joachim Kaiser Thielemann unbedingt halten? Dessen Repertoire ist so reduziert, dass man von einer Ausblendung ganzer Epochen der deutschen Musik sprechen kann: Haydn, Mozart, die Bach-Söhne kommen bei ihm nicht vor, vom Barock selbst ganz schweigen.

In der Oper ist er völlig auf Wagner beschränkt. Seine Borniertheit bewies er schon bei seinem Amtsantritt, als er in einem SZ-Interview damit prahlte, von Bob Dylan nichts gehört zu haben. Zum Vergleich: Leonard Bernstein setzte sich mit knapp 70 an die Seite der Bühne , um ein Konzert der Rolling Stones zu verfolgen!"

Heinrich Maul München

Niemand ist unersetzbar

"Die Nürnberger haben lieber eine Prozessniederlage akzeptiert, als Thielemann weiter zu beschäftigen. So etwas spricht doch Bände! Auch wenn er bestimmte Werke einer bestimmten Epoche ohne Frage genial zu interpretieren weiß.

Andere können das auch, unter Kempe, Celibidache oder Levine gab es auch unvergessliche Momente. Es wird sie weiter geben. Als Beckenbauer bei Bayern München aufgehört hat, wurde auch weiterhin sehr guter bis genialer Fußball hier gespielt."

Walter A. Meier München

Wiener Musiker ohne Chef

"Kein Wort über die klägliche Bilanz in Berlin, kein Wort darüber, dass Thielemann den vom Orchester geforderten Zusatz im Vertrag zur Frage von Gastdirigaten, nicht unterschreiben will. Das Argument, er wolle sich "seinen" Klang nicht kaputtmachen lassen, ist lächerlich.

Wieso sind die Wiener, die keinen Chefdirigenten kennen, immer noch eines der besten Orchester der Welt? Ich habe vor kurzem in der Berliner Philharmonie im Rahmen eines Schostakowitsch-Zyklus drei Konzerte gehört: drei Orchester, drei Dirigenten. Unter Thielemann hätte keines dieser Konzerte stattgefunden."

Reinhard Bink Marburg

Hochkultur diskreditiert sich

"Wenn Hochkultur sich so offensichtlich durch Zurschaustellung ihrer Krücken aus Geldohnmacht und Vertragsklauseln profiliert, verliert sie jeden Kredit in ihren Auftrag."

Charles Zimmer Denklingen

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Quelle:
SZ vom 26.09.2009/ag/pfau
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