Sprachlabor (170):Rätselhafte Sache

SZ-Redakteur Hermann Unterstöger liest im Wörterbuch und Dialektbuch nach.

Jacob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrum offiziell eingeweiht

Das Jacob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrum wurde am 19.11.2009 eröffnet. Hier im Bild der Lesesaal, der neuen Zentralbibliothek der Humboldt-Universität zu Berlin.

(Foto: dpa)

"DIESE IHRE FORMULIERUNG", schreibt Leser L., "ist schlicht und ergreifend Unsinn", und er meint damit den Satz, dass sich Basim Usmani, der Frontman der muslimischen Punkrocker-Band The Kominas, "eine abermalige Bierflasche" aufgemacht habe. Keine Frage, eine "weitere" Flasche hätte dem Punkrocker wie auch dem deutschen Sprachgebrauch ungleich besser angestanden, doch dass es zum Adverb abermals das Adjektiv abermalig gibt, muss deswegen nicht verschwiegen werden. Es handelt sich dabei um ein Pärchen wie nachmals/nachmalig und vormals/vormalig , deren adjektivische Hälften auch nicht für alles und jedes verwendet werden können. Adelung bietet zu vormahlig die Erläuterung "was vormahls war oder geschahe", und wenn wir das auf unseren Fall übertragen, können wir der Bierflasche viel zugestehen, nicht aber, dass sie abermals war oder geschahe. Was die Sache übrigens völlig rätselhaft macht, ist der Umstand, dass Basim Usmani laut Text vor der inkriminierten Bierflasche gar keine andere aufgemacht hatte, und ohne erstmalige Flasche gibt es auch keine abermalige.

DAS SPRACHLABOR hatte über den ESM-Mechanismus geschrieben, er rattere "nur deswegen penetrant vor sich hin, um so etwas wie Stabilität herzustellen", eine Konstruktion, die von den Lesern R. und K. als redundant und marottenhaft durchschaut wurde. Der Verfasser hat sein Haupt verhüllt, aber nicht so schnell, dass er nicht vorher noch einen Blick in Grimms Wörterbuch hätte werfen können, worin es unter dem Stichwort deswegen heißt: "es kann ein satz mit weil, um, damit, dasz folgen."

DIE LIEBE ZUM DIALEKT ist oft größer als das Vermögen, sich darin adäquat zu bewegen, und wenn aus dieser Spannung heraus ein Fehler passiert, sind die Mundartfreunde schneller zur Hand, als unsereins schauen kann. Im Streiflicht war kürzlich zu lesen, dass in Österreich eine sehr dicke und auch sehr dumme Frau als "blede brade Blunzn" bezeichnet werde, und wenn da nicht der berühmte Druckfehlerteufel seine Hand im Spiel hatte, dann war es wohl so, wie Herr B. stellvertretend für viele andere Leser vermutet: dass ein nichtbayerischer Kollege "ein wenig unglücklich" mit dem hiesigen Dialekt operierte. Statt brade Blunzn hätte es natürlich blade Blunzn heißen müssen, und was es mit einer bladn Person auf sich hat, wissen wir seit Ludwig Hirschs Lied vom "Bladn Buam" mehr als genau: "Die Mama steht den ganzen Tag am Herd. / Sie kocht so gern, was anders hat s' nie glernt. / Der Bua wird immer fetter, / er is schon blad wie a Gasometer . . ." Dass blad nicht gleich blad sein muss, zeigt das Beispiel Karl Sestas, der Fleischhauer und Schmied gelernt hatte und entsprechend stämmig war. Man nannte ihn den "Bladn", aber seinem Ruhm als Fußballer, Ringer und Sänger war dies in keiner Weise abträglich.

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