Sprachlabor (95):Egal ob Mütze oder Kuppel

SZ-Redakteur Hermann Unterstöger erklärt "dereinst" und "Gottvater".

SCHUSTER, BLEIB bei deinem Leisten! Nie war dieses Sprichwort besser am Platz als bei dem Streiflicht, das sich unlängst vermaß, die größte Häkelmütze der Welt mit der Kuppel des Petersdoms zu vergleichen. Der Autor behauptete, dass eine Kuppel von unten her gebaut werde, eine Mütze hingegen von oben her. Er zog sich damit eine Rüge unserer Leserin K. zu, die weiß, dass man beim Bau solcher Gewölbe, sie seien nun aus Stein oder Wolle, immer unten beginnt. Unsere Handarbeitsredaktion bestätigt das. Eine Mütze ist nichts anderes als ein sich nach oben verjüngender Schlauch. Man beginnt beim Häkeln mit ein paar gleichbleibenden Runden in der Länge des Kopfumfangs. Danach wird der Schlauch durch systematisches Abnehmen von Maschen verengt und am Ende vernäht. Bei der Kuppel des Petersdoms ging das ganz ähnlich.

Leipziger Buchmesse

Messebauer tragen Teile überdimensionaler Lexika vor der Leipziger Messe.

(Foto: ddp)

ABSINKENDE oder längst abgesunkene Wörter erfreuen sich bei den Schreibern großer Beliebtheit. Die Leser teilen dieses Faible, solange sie nicht das Gefühl haben, die Wörter würden falsch verwendet. Leser R. stößt sich daran, dass das Kloster St. Botolph's in Colchester als "dereinst stattliche Anlage" bezeichnet wurde; der herrschende Gebrauch von dereinst als einem in die Zukunft gerichteten Adverb gibt ihm recht. Ältere Texte zeigen freilich, dass dereinst einst sowohl in die Zukunft als auch in die Vergangenheit weisen konnte. So schreibt Ewald Christian von Kleist am Ende eines langen, der Sehnsucht nach Ruhe gewidmeten Gedichts: "O! ruft mich bald! O Doris, drücke du / Mir dort dereinst die Augen weinend zu!" Anders August von Platen. In der Hymne "Abschied von Rom" spricht er von einer Göttin, "welche dereinst dem Odysseus reichte den Becher, indem sie / Süßen Gesang an dem Webstuhl sanft erhob".

FORMEL-1-CHEF Bernie Ecclestone hat schon viele Titel verliehen bekommen, den vorläufig höchsten unlängst von unserer Seite 3. Dort nannte man ihn den "Gottvater der Formel 1", was unser Leser Z. aber nicht auf ihm, also auf Gottvater, sitzen lassen will. Herr Z. vermutet hier einen "filserhaften Übersetzungsversuch des Wortes godfather " (Pate, Gevatter), einen wohl allerorten gern geübten Versuch. Wie anders hätte sonst die taz vor Jahr und Tag das "Gedränge im Gottväter-Olymp" beschreiben können, in dem vom Gottvater des Soul (James Brown) über den Gottvater der Zeichenlehre (Roland Barthes) bis zum Gottvater der Intimbeichte (Paul Sahner) alles da war, was auf sich hält, sogar der Gottvater aller Drinks? (Das war der Whisky, und zwar ebenfalls in der SZ.)

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