Sprachlabor (274):Rheinische Verlaufsform

Kühe am Irschenberg

Eine Kuh weidet am Irschenberg (Bayern) auf einer Wiese vor dem Panorama der Alpen.

(Foto: dpa)

"Ich bin am Einschlafen" oder "Ich bin am Saubermachen": Das kann man ohne Weiteres verwenden. Aber zu sagen: "Ich bin am Hassen": Das geht nicht. Die Rheinische Verlaufsform ist nämlich nicht ohne. Das weiß auch die Wissenschaft.

Von Hermann Unterstöger

"DAS HAT GEWIRKT", schreibt Leser B., und er meint damit die Warnung seiner Mutter vor Formulierungen, in denen die Präposition am mit einem substantivierten Infinitiv verknüpft wird: Bin am Saubermachen. Erwischte ihn die Mutter bei so einer Konstruktion, pflegte sie ihn mit diesem Satz ironisch zu rügen: "Bist du wieder die Kuh am Schwanz am Ziehen?" Die Wirkung hat bei Herrn B. angehalten, und so nahm er denn Anstoß an unserem Satz: "Da sind wir schon am Lästern!" Ob er altmodisch sei oder unbelehrbar? Das mag ohne Antwort bleiben, aber dass die Form am + Infinitiv keine aktuelle Verfallserscheinung ist, darf gesagt werden. Man kennt sie (was den aus Düsseldorf stammenden B. interessieren dürfte) als "Rheinische Verlaufsform", rheinisch deswegen, weil sie ursprünglich eine dialektale Eigenart aus dem Rheinischen war, genauer aus dem Ripuarischen. In einer an der Universität Bochum verfassten Seminararbeit wurden ältere Beispiele zitiert: "Die Mutter ist am süss äpfel schnitzen" (pennsylvaniadeutscher Brief) und "Der Meister war gerade am Schmieden" (Hermann Hesse). Metzlers Lexikon Sprache konstatiert eine weite Verbreitung dieser - der progressive oder continuous form vergleichbaren - Konstruktion besonders in der gesprochenen Sprache, was die Frage nach sich zieht, ob sie irgendwann auch in der geschriebenen Sprache mit Anstand bestehen kann. Es ist in der Wissenschaft schon viel darüber gearbeitet worden, mit Erkenntnissen wie der, dass die Rheinische Verlaufsform bei bestimmten Verben funktioniert, bei anderen nicht: Ich bin am Einschlafen geht, Ich bin am Hassen nicht. Die Frage, ob man den Infinitiv nach am groß oder klein schreibt, ist nicht gültig beantwortet. Ariane Reimann kommt in ihrer Dissertation von 1997 (Universität Bamberg) zu dem Urteil, dass sich der Infinitiv der Rheinischen Verlaufsform "in einem Zwischenstadium zwischen nominalen und verbalem Infinitiv befindet", und da er dort vermutlich am Sich-Entwickeln ist, wollen wir ihn nicht länger stören.

Sprachlabor (274): undefined
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: