Süddeutsche Zeitung

Sprachlabor (263):Schwer erträglich

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SZ-Redakteur Hermann Unterstöger ordnet Oberbegriffe und eine Nachsilbe.

BEI ALLEM RESPEKT vor dem Tod müssen aus diversen aktuellen Anlässen wieder mal die sterblichen Überreste bedacht werden. Leser Sch. stellt die alte Frage, was an Körperteilen toter Menschen noch sterblich sein soll und worin sich Überreste von Resten unterscheiden. Die Antwort ist genauso alt und recht einfach. Natürlich besteht zwischen Überrest und Rest kein substanzieller Unterschied, und dass Tote keine sterblichen Teile hinterlassen, gilt gleichfalls als gesichert. Wir befinden uns mit dieser Wendung im Reich der Euphemismen, jener manchmal kurios aufgeputzten Begriffe also, mit deren Hilfe der Mensch sich um die fahlen und schwer erträglichen Tatsachen sprachlich herumdrückt. Wie soll man sonst sagen: Leiche? Körper? Madensack? In Johann Martin Millers Roman "Siegwart" sucht ebendieser Siegwart das Grab seiner verschiedenen - auch so ein Schonwort - Braut auf und sagt unter Zähren: "Leb wohl, theurer Staub" sowie: "Leb wohl, Ueberrest Sophiens!"

EIN KOPPELWORT von gigantischer Größe schleudert unser Leser Dr. B. in den journalistischen Sprachraum: das "Angeberisch-Wichtigtuerisch-Blasierte". Und wo sieht er dieses Monster walten? Er sieht es dort walten, wo in den Blättern von Leuten die Rede ist, die Literatur-, Kunst-, Theater- oder Musikwissenschaft en studiert haben wollen. Das Angeberische, Wichtigtuerische und Blasierte rührt Dr. B. zufolge daher, dass es diese Fächer überhaupt nicht gibt, sondern dass sich um Literatur, Kunst, Theater und Musik jeweils nur eine Wissenschaft kümmert. Pate dieses Etikettenschwindels dürften die Geistes- beziehungsweise Naturwissenschaften sein, die aber keine Disziplinen sind, sondern Oberbegriffe. Dies den Adepten der Kommunikationswissenschaft en ins Notiz-, Merk- und Stammbuch.

MIT DEM SUFFIX "-e" kann man Verben in Substantive verwandeln: wiegen/Wiege, durchreichen/Durchreiche oder scheuchen/Scheuche. Nun ist Leserin T. bei uns über die Verkaufe gestolpert und fragt, ob solche Ableitungen negativ konnotiert seien. Sagen wir so: Wörter wie Lache, Anmache, Denke oder Schreibe wirken gesucht und sind für viele eine Grause. Indessen verschwinden sie, wenn sie nichts taugen, auch schnell wieder, siehe die legendäre Heule (Kofferradio), mit der Jugendliche in der DDR die Aufpasse zu ärgern pflegten.

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Quelle:
SZ vom 16./17.08.2014
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