Süddeutsche Zeitung

Sprachlabor (262):Irritierte Leser

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SZ-Redakteur Hermann Unterstöger rechnet vor und beseitigt Unklarheiten.

GEQUÄLT reagierten die Leser H. und B. auf diesen Satz: "Russland seine Justiz hatten Chodorkowskij schwere Wirtschaftsstraftaten vorgeworfen . . ." Es war weniger der Plural hatten, der sie irritierte, als vielmehr die Genitivumschreibung Russland seine Justiz für Russlands Justiz. Wie immer diese Formulierung entstanden sein mag, so, wie sie da steht, wirkt sie wie eine Übernahme des bairischen Genitivs ins Hochdeutsche. Das heißt, im Bairischen gibt es überhaupt keinen Genitiv, stattdessen wird mit dem Dativ, dem Possessivpronomen sein und der Präposition von gearbeitet: Georgs Fahrrad heißt dann s Radl vom Schorsch oder am Schorsch sei Radl. Die SZ erscheint indessen nicht auf Bairisch, und selbst wenn, hätte man nicht Russland seine Justiz geschrieben, sondern am Putin sei Justiz .

25 MILLIONEN JAHRE nach seinem Aussterben musste sich der Riesenvogel Pelagornis sandersi bei uns sagen lassen, dass seine Spannweite (6,4 Meter) die des Wanderalbatros (ca. 3 Meter) "um das Doppelte" übertroffen habe. Unsere Leser T. und J. rechneten aus, dass er seine Flügel dann rund 9 Meter ausgebreitet hätte. Der Fehler ist wohl so alt wie die Pelagornithiden, und wenn es damals schon eine Schule gegeben haben sollte, mussten Schüler, die in die Vervielfältigungsfalle tappten, zehnmal in die Höhlenwand kratzen: "Um das Doppelte ergibt das Dreifache."

UNGLEICH ERNSTER sind die Interventionen unserer Leser N. und K. Sie handeln von Krieg und Tod und von der Frage, wie man all dem sprachlich halbwegs gerecht wird. Herr N. hält es für völlig absurd, von israelischen Angriffen "auf Ziele der palästinensischen Hamas" zu sprechen. Das würde doch, wörtlich verstanden, nichts anderes bedeuten, als dass die Israelis sich selber angriffen - sie sind schließlich die Ziele der Hamas. Herr K. ärgert sich über den Satz: "Der Warschauer Aufstand von 1944 wird gern mit dem Aufstand im Warschauer Ghetto 1943 verwechselt." Nun gibt es zwar das Adverb gern auch im Sinn von gewöhnlich, meistens, oft; bestes Beispiel dafür ist das Sprichwort "Gleich und gleich gesellt sich gern". In Herrn K. s Ohren tönen da Urteile wie das mit, dass das Weißbier gern kalt getrunken wird, und er findet, "dass dieses gefällige gern doch nur in Zusammenhängen des Geschmacks, der Vorlieben und der freundlichen Launen verwendet werden kann".

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Quelle:
SZ vom 09./10.08.2014
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