Süddeutsche Zeitung

Sprachlabor (212):Ein Mischwesen

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SZ-Redakteur Hermann Unterstöger hält sich an Schiller und warnt vor Missbrauch und Etikettenschwindel.

DIE RHYTHMISCHE SPORTGYMNASTIK (RSG) ist, von Ausnahmen abgesehen, eine reine Frauensportart, und insofern sticht tief ins Männerherz, was Leser W. unter dem Auftakt "Auf ein Wort unter uns Herren Pfarrerstöchterinnen" dazu vorbringt: Die SZ sei ein Gender-Kampfblatt, womit es sich nicht vertrage, dass in einem Text über RSG dauernd von "Kampfrichtern" die Rede ist. Bei aller Bußbereitschaft ist zweierlei zu erwidern. Zum einen kommen in dem Text genau drei Kampfrichter vor, dafür fünf Kampfrichterinnen (was zugegebenermaßen verwirrt und nach KampfrichterInnen oder ähnlichen Mischwesen förmlich schreit). Zum anderen verwendet der Deutsche Turner-Bund ebenfalls ausschließlich den Begriff Kampfrichter . Wir zitieren die Kampfrichter-Ausbildungsordnung: "Mit einem durchgängigen Kampfrichtersystem ist die Grundlage für eine systematische und aufbauende Kampfrichterausbildung [ . . . ] gegeben."

DASS DIE POLIZEI VON HONGKONG fast 900 Milchschmuggler verhaftet und dabei an die neun Tonnen Trockenmilch "konversiert" hat, animierte unsere Leserin Th. zu dem Aperçu, dass man allenfalls mit dem Pulver konversieren könne. Bis heraus ist, wie das geht, halten wir uns an Schiller, der die Schmuggler wohl als "konfiszierte, widrige Kerls" bezeichnen würde.

DER DOPING-MISSBRAUCH hat es unserer Leserin K. angetan, wenn auch nicht in dem Sinn, der sich nach heutigem Sprachgebrauch alsbald einstellt. Mit Rücksicht darauf, dass man unter Missbrauch nach einer alten Definition "die Anwendung einer Sache auf eine ihrem Zwecke und ihrer Bestimmung zuwider laufende Art, im Gegensatze des rechtmäßigen Gebrauches" versteht, findet sie, dass das Doping gar nicht genug missbraucht, also zweckwidrig betrieben werden kann. Da Doping per definitionem der Missbrauch von Medikamenten ist, sollte der Missbrauch dieses Missbrauchs Pflicht und Ehrensache sein. Ihr Wort in Sportlers Vene!

ETIKETTENSCHWINDEL, und zwar grammatikalischen, wirft Leser B. der Kollegin vor, die in einem Prozessbericht die längst vergangenen Taten des Angeklagten folgendermaßen schildert: "Ein junger Mann prügelt, betrügt, dealt und zerstört" und so fort. Natürlich darf man stilistische Mittel wie dieses nicht totreiten, aber was Herr B. als "journalistische Schwindelei" geißelt, ist nichts anderes als das gute alte historische oder narrative Präsens: "Aus den Tiefen der Steppe bricht Attila mit seinen Horden und . . ."

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Quelle:
SZ vom 17./18.08.2013
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